Unterstützung für Eltern: Helfen will erforscht sein
Der Hamburger Senat will Einzelfall-Hilfen zur Ausnahme erklären, doch Experten warnen davor. Die Wohlfahrtsverbände wollen am neuen Konzept mitarbeiten.
Sandra Neumann (Name geändert) ist 36 Jahre alt und hat sechs Kinder. Fünf wohnen bei Verwandten oder Pflegeeltern, nur das jüngste ist ihr geblieben. Sie hat eine harte Zeit hinter sich, versteckte jahrelang ihre Drogensucht. Heute ist sie clean, lebt mit ihrer zweijährigen Tochter in einer Billstedter Wohnung und träumt davon, ihre älteren Kinder zurück zu bekommen.
Ein positives Beispiel für Familienhilfe. Denn die beim Rauhen Haus angestellte Sozialpädagogin Katja R. hat sie seit der Geburt der Jüngsten begleitet. Hat ihr den Rücken gestärkt, ihr geholfen, ihre Geschichte aufzuarbeiten, Kontakt zu den älteren Kindern aufzunehmen, ihre Wohnung zu renovieren, eine Ausbildung zu beginnen, ihr Leben zu ordnen.
Heute ist die Hilfe beendet, aber die Frauen haben telefonischen Kontakt.
"Ich habe gelernt, ganz anders zu leben", sagt Neumann. "Früher bin ich immer dahin und dorthin, Hauptsache ich war nicht allein." Sie gebe viel von dem Gelernten an Freundinnen weiter, beispielsweise, wie man es schafft, vor Gericht zu sprechen. R. hat der Mutter auch einen Job als Honorarkraft an einer Schule vermittelt. Dort betreut sie Spiele, hat also Sinnvolles zu tun, während ihre Tochter in der Krippe ist.
Es müsste viel mehr Familienhilfen geben, sagt Neumann. "Hätte ich die schon früher gehabt, dann wären meine anderen Kinder vielleicht noch bei mir".
Um Familienhilfe gibt es zur Zeit eine heftige Debatte. Seit vor fünf Jahren unbemerkt von den Behörden die siebenjährige Jessica verhungerte, sind Fallzahlen und Kosten gestiegen. Die Sozialbehörde geht davon aus, dass diese Hilfen teuer und oft nicht wirksam sind.
In einem Konzeptpapier vom 24. August kündigt sie eine radikale Umsteuerung der Hilfen zur Erziehung (HzE) an. Wurde vom Jugendamt bei Problemfällen bisher in der Regel erst mal ein Sozialarbeiter in die Wohnung der Familie geschickt, soll dies künftig "grundsätzlich" nicht mehr stattfinden. Und wenn doch, dann nur, wenn nichts anderes hilft.
Statt dessen sollen Eltern vorrangig an sozialräumliche Angebote wie Familienzentren verwiesen werden. Ferner werden Kontrakte mit Bezirken geschlossen, in denen die Erziehungshilfen durch "Zielzahlen" begrenzt werden und im Gegenzug Geld für neue Sozialraumangebote bereit gestellt wird.
Die GAL-Jugendpolitikerin Christiane Blömeke hält diese Umsteuerung für "fachlich gefährlich". Es fehlten Analysen über die Ursache des Fallanstiegs und die Wirksamkeit bestehender Hilfen.
Sie hat eine Große Anfrage zum Thema gestellt und kommt zu dem Fazit, dass der Senat auch die Wirksamkeit der neuen Alternativangebote nicht belegen kann.
Es fehle eine "gründliche Analyse" vor einer Umsteuerung, das kritisieren auch die Jugendamtsleitungen in einem Papier. Auch gebe es nicht genug Angebote, die die HzE ersetzen könnten. Deren Entwicklung habe "mit der zunehmenden Verarmung" von Teilen der Bevölkerung "nicht Schritt gehalten".
"Das sehen wir auch so", sagt Behördensprecherin Nicole Serocka. Deswegen gebe man zehn Millionen Euro für neue Angebote aus. "Ziel ist, dass Familien aus der Isolation heraus kommen und wenn möglich Gruppenangebote wahrnehmen".
Ob das klappt? Der CDU-Jugendpolitiker Christoph de Vries hat auch rechtliche Bedenken. "Es darf nicht sein, dass notwenige Hilfen verwehrt werden". Die Bürgerschaft werde dazu im Januar einen Experten anhören. Es sei aber nicht gut, dass die Umsetzung in den Bezirken schon jetzt stattfinde.
Auch die Wohlfahrtsverbände hatten große Sorge, sehen die Sache nach einem Workshop mit der Behörde aber entspannter. Man wolle jetzt ein "gemeinsames Handlungskonzept" erarbeiten, sagt Sprecher Michael Edele. Besagtes HzE-Papier sei nur ein Diskussionspapier.
Das sieht die Behörde anders. "Das HzE-Papier steht", sagt Serocka. Der Workshop habe nicht stattgefunden, "um etwas zu verhandeln".
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