Unternehmenskritiker vor Gericht: Hess-Natur bleibt stur
Der Ökomodenhersteller und die Betreiber einer kritischen Webseite treffen sich am Donnerstag vor Gericht. Es geht um Vorwürfe gegen den neuen Investor.
BERLIN taz | Johannes Mosmann wirkt mitgenommen. Seine Stimme klingt müde, der Enthusiasmus der vergangenen Monate scheint einer Erschöpfung gewichen. Seitdem sich im vergangenen Jahr die Ereignisse bei dem Ökomodeproduzenten Hess-Natur überschlagen haben, hat er kaum eine ruhige Minute. Am Donnerstag wird der Konflikt seinen vorläufigen Höhepunkt erreichen: Dann treffen sich Mosmann und sein Kollege Andreas Schurack, Betreiber der Website wir-sind-die-konsumenten.de, mit Hess-Natur vor dem Frankfurter Landgericht Gericht.
Die Ursachen der Auseinandersetzung gehen in das Jahr 2011 zurück. Damals gab es erste Gerüchte um eine Übernahme des Ökomodenherstellers, der zu dem Zeitpunkt noch dem Karstadt-Quelle-Mitarbeiter-Trust gehörte. Bald im Gespräch: die Schweizer Beteiligungsgesellschaft Capvis. Der Private Equity Fonds ist kein Unbekannter. Zuvor hatte er unter anderem den Haushaltswarenproduzenten WMF übernommen und in der Folge auf Rendite getrimmt.
Das wollten die Mitarbeiter und Kunden von Hess-Natur keinesfalls – und gründeten deshalb mit Unterstützung von Verbänden wie der Kampagne für saubere Kleidung eine Genossenschaft. Das Ziel: das Unternehmen selbst zu übernehmen.
In dem Kontext starten Mosmann und Schurack die Website. „Eigentlich sollte das ein positives Statement sein, auf dem Kunden kommunizieren können, was sie kaufen wollen, wenn Hess-Natur an die Genossenschaft geht“, sagt Mosmann heute. Doch das Unternehmen ging an Capvis, und in der Folge häuften sich die Äußerungen von Nutzern, die zum Boykott des Versandhändlers aufriefen.
Sofortiger Boykott
„Warum wird es einem so schwergemacht, fair und ökologisch einzukaufen. Guter Wille ist hier offensichtlich nicht genug. Ab sofort boykottiere ich Hess-Natur bis auf weiteres“, heißt es beispielsweise in einem Posting vom 14. Januar. Ob es sich tatsächlich um eine ehemalige Kundin handelt, lässt sich allerdings nicht nachprüfen.
Parallel dazu recherchieren Mosmann und Schurack im Umfeld des neuen Eigentümers und erheben bald schwere Vorwürfe. Die Anwalte von Hess-Natur reagieren schnell: Die Aussage, Zahlungen der Kunden flössen in die Rüstungsindustrie, lässt das Unternehmen per einstweilige Verfügung ebenso untersagen wie Boykottaufrufe und den Vorwurf, Capvis sei in die Rüstungsindustrie verstrickt. Ob es dabei bleibt oder nicht, das muss nun das Gericht entscheiden.
„Unsere Kunden sollen nicht durch Falschbehauptungen in die Irre geführt werden“, begründete eine Hess-Natur-Sprecherin das juristische Vorgehen. Zur Frage eventueller Verbindungen zur Rüstungsindustrie hatten Mosmann und Schurack Recherchen veröffentlicht, wonach Capvis über den Investor HarbourVest an Rüstungsprojekten beteiligt sei.
Dem widerspricht Hess-Natur in seinem Schreiben an das Gericht: Zu den Investoren von HarbourVest zähle auch der australische Staat und habe dort lediglich Pensionsgelder angelegt – auch solche von ehemaligen Militärs. Über eine andere Beteiligungsgesellschaft gebe es zwar Verbindungen zu einem Unternehmen, das auch Antriebe für die militärische Nutzung herstelle. Die habe aber weder mit Capvis noch mit Hess-Natur etwas zu tun.
Nächste Instanz
Für den Fall, dass das Gericht Hess-Natur recht geben sollte, kündigt Mosmann an, in die nächste Instanz zu gehen. Er berichtet von Gesprächen mit Mitarbeitern des Unternehmens, die froh seien über die Aufmerksamkeit. „Solange die Öffentlichkeit ein Auge darauf hat, kann Capvis keinen harten Rationalisierungskurs fahren“, sagt er.
Auch Christiane Schnura, Koordinatorin der Kampagne für saubere Kleidung, gibt an, ein Auge auf das Unternehmen zu haben. „Bislang hat sich, was die Arbeitsbedingungen angeht, noch nichts geändert.“ Man beobachte aber, ob das so bleibe. „Denn der Investor ist natürlich äußerst problematisch.“ Schnura weist jedoch darauf hin, dass Hess-Natur schon vor dem Einstieg von Capvis in den Händen von Karstadt-Quelle war und nicht mehr das kleine, gründergeführte Unternehmen wie zu Zeiten von Heinz Hess.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Jeder fünfte Schüler psychisch belastet
Wo bleibt der Krisengipfel?
Gespräche in Israel über Waffenruhe
Größere Chance auf Annexion als auf Frieden