Unterkünfte für Lampedusa-Flüchtlinge: Eine Bleibe für den Winter
Bei der St.Pauli-Kirche sind acht Wohncontainer für Lampedusa-Flüchtlinge aufgestellt worden. Vorrang haben Asylantragssteller, kontrolliert wird das aber nicht.
Eine Hürde ist genommen: Am Donnerstag sind die ersten acht Wohncontainer für Lampedusa-Flüchtlinge auf dem Gelände der St. Pauli-Kirche aufgestellt worden. Die Christianskirche in Ottensen erwartet noch am Freitag den Bescheid, auch dort Notunterkünfte für die Gruppe „Lampedusa in Hamburg“, die im Frühjahr nach ihrer Odyssee an der Elbe gestrandet ist und nun ein humanitäres Bleiberecht verlangt, aufstellen zu dürfen.
Die beheizten Wohncontainer geben zwei bis drei Flüchtlingen Platz, in etwas geordneteren Verhältnissen den Winter zu überstehen. Bislang hatten rund 80 libysche Kriegsflüchtlinge auf Isomatten und in Schlafsäcken auf dem Steinfußboden des Kirchenschiffs geschlafen. Da das Kirchenschiff nur bedingt beheizt werden kann, ohne die Kirchenorgel zu zerstören, war eine andere Lösung notwendig.
„Die Stadt hat signalisiert, dass sie dankbar ist, wenn die Kirche ihr bei der öffentlichen Unterbringung der Flüchtlinge hilft“, sagen die St. Pauli-Pastoren Sieghard Wilm und Martin Paulekun. Die Frage nach der Vor- und Refinanzierung der rund 70.000 Euro sei noch in der Abstimmung. Dieser humanitären Nothilfe war ein politisches Tauziehen der besonderen Art vorausgegangen. Als die Nordkirche im Oktober beim Bezirksamt Altona die Bauanträge stellte, hatte der Staatsrat der Stadtentwicklungsbehörde, Michael Sachs, die neue Bezirksamtsleiterin Liane Melzer (beide SPD) anweisen wollen, einen solchen Beschluss zu verhindern, weil es sich bei den Flüchtlingen formal um „Illegale“ handeln würde. Die Bezirksversammlung stimmte jedoch einstimmig dem Begehren der Kirche zu.
300 libysche Kriegsflüchtlinge stranden, nach ihrer Flucht 2011 zur italienischen Insel Lampedusa, Anfang des Jahres in Hamburg, ausgestattet mit EU-Papieren.
Die Rückführung nach Italien ist laut SPD-Senat die einzige Möglichkeit nach dem EU-Dublin-II-Abkommen.
Unterkunft haben seit Juni rund 80 Flüchtlinge in der St. Pauli-Kirche gefunden, wo sie auf dem Fußboden übernachten.
Mit Personenkontrollen versucht die Polizei die Flüchtlinge aufzuspüren. Es kommt zu täglichen Protesten und einer Klage gegen die rassistischen Kontrollen.
In Verhandlungen mit der Nordkirche sichert die Innenbehörde zu, dass eine Abschiebung nicht vor Abschluss eines individuellen Asylverfahrens erfolgt. Die Flüchtlinge dürfen trotz der offiziellen "Duldung" ihre italienischen Pässe behalten.
Die Mehrheitsfraktionen bauten jedoch einen Pferdefuß ein, in dem die Kirche dafür Sorge zu tragen hätte, – was nach dem Baurecht gar nicht geht – dass nur Flüchtlinge dort Platz finden, die bei der Ausländerbehörde einen individuellen Asylantrag gestellt hätten. „Von den 80 Personen bei uns haben bis zum heutigen Tag 35 einen Antrag auf humanitäres Bleiberecht gestellt“, sagt Pastor Paulekun. Für dieses Kontingent sei der Bedarf konzipiert. Es werde aber keine Kontrollen geben, die Container könnten „ohne Ansicht der Person“ von den Flüchtlingen genutzt werden. „Wir sind nicht die diejenigen, die registrieren und kontrollieren“, ergänzt Pastor Wilm: „Ich gehe mal nicht davon aus, dass die Polizei kontrollieren wird.“
Die Flüchtlinge befinden sich indes in einem Dilemma. Im Moment sagt ihnen die Innenbehörde offiziell noch zu, für alle diejenigen, die einen individuellen Asylantrag stellen, diesen wohlwollend zu bearbeiten. Ab 1. Dezember treten jedoch neue Paragrafen im Aufenthaltsgesetz in Kraft, wonach das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge alle Kompetenzen an sich ziehen kann. Ob es das tut, weiß selbst die Ausländerbehörde nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut