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Unterhauswahl in JapanKein großes Herz für Politiker

Skurrile Regelungen schränken den Wahlkampf für das Votum am Sonntag ein. Posten können vererbt werden. Beides stützt die Dauerregierungspartei LDP.

LDP-Abgeordnete im Unterhaus am 1. Oktober: Der kurz darauf zum Premier gewählte Shigeru Ishiba sitzt oben ganz rechts Foto: Tomohiro Ohsumi/AsiaPac/getty

Takasaki taz | Der Hauptbahnhof von Takasaki, einer Großstadt zwei Zugstunden nördlich von Tokio, ist der perfekte Ort für eine Wahlkampfrede. Zahlreiche Geschäfte und Restaurants sorgen für viel Laufpublikum. Auch Hiroki Yamada, der lokale Kandidat der oppositionellen Konstitutionell-demokratischen Partei bei der Parlamentswahl am Sonntag, legt hier einen Stopp ein.

Auf dem Wahlkampfkleinbus prangen sein Name, sein Konterfei und das Kürzel der liberalen CDP. Sie ist Japans größte Oppositionspartei. Der hochgewachsene, grauhaarige Mann gürtet sich eine Schärpe mit seinem Namen um, stellt sich auf den Bürgersteig und wirft in seiner Rede der konservativen Liberaldemokratischen Partei (LDP) dunkle Geldgeschäfte, Vererbung von Ämtern und Anhäufung von Privilegien vor.

„Solange wir das nicht ändern, gibt es keine glückliche und gesunde Zukunft für Japan“, ruft der Oppositionspolitiker. Aus den Lautsprechern auf dem Kleinbusdach schallen seine Worte ohrenbetäubend laut über den Bahnhofsvorplatz.

Doch niemand bleibt zum Zuhören stehen. Die meisten wenden nicht einmal den Kopf in seine Richtung. Das geringe Interesse erstaunt: Schließlich rumort es im Wahlvolk heftig wegen eines Finanzskandals in der Regierungspartei. 82 LDP-Abgeordnete hatten insgesamt 3,5 Millionen Euro an Einnahmen nicht ordnungsgemäß angegeben.

Japan wählt

Der neue Premier Shigeru Ishiba strebt bei der Neuwahl des Unterhauses am 27. Oktober mit seiner Liberaldemokratischen Partei (LDP) ein frisches vierjähriges Mandat an. Mit seinem Partner, der buddhistischen Komei-Partei, will Ishiba eine einfache Mehrheit erreichen. Die Koalition könnte dann bis zu 55 Sitze verlieren und bliebe immer noch an der Macht.

Größte Oppositionspartei ist die Konstitutionelle Demokratische Partei Japans (CDP), Nachfolgerin der zentristischen Demokratischen Partei (DPJ), die 2009 bis 2012 regierte. Zweitstärkste Oppositionsgruppe ist die Japan Innovation Party (Nippon Ishin no Kai), die auf liberale Reformen drängt und damit liebäugelt, der Regierung beizutreten.

Schwache Vertretung von Frauen in der Politik ist das auffälligste Manko. Im aufgelösten Parlament betrug der Frauenanteil nur 10 Prozent. Zwar ist jetzt jeder vierte Kandidat weiblich, ein Nachkriegsrekord. Bei der LDP sind aber nur 16 Prozent der Bewerber Frauen. (mf)

Trotz schlechter Umfragen dürfte die LDP weiter regieren

Der Rücktritt von Premier Fumio Kishida zum 1. Oktober, die Auflösung interner Machtgruppen sowie Strafen für 39 Mandatsträger halfen der LDP, die Japan seit 1955 fast ununterbrochen regiert, nicht aus dem Umfragekeller, sodass sie bei dieser Wahl erstmals seit 2009 ihre Mehrheit verlieren könnte.

Zum Regieren bräuchte sie dann ihren kleinen Partner, die buddhistische Komeito. „Es ist eine äußerst harte Wahl mit beispiellosem Gegenwind“, gestand der neue Regierungschef Shigeru Ishiba.

Dennoch erwartet Rintaro Nishimura vom Politikberater Asia Group, dass die Koalition aus LDP und Komeito weiterregieren wird. „Das Wahlsystem nützt der LDP“, meint Nishimura. Zwei Drittel der 465 Mandate werden per einfacher Mehrheit direkt vergeben. Wo sich die Oppositionsparteien nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen können, setzt sich häufig der LDP-Vertreter durch.

Öffentliche Reden dürfen wahlkämpfende Politiker in Japan nur in den zwölf Tagen vor dem Wahltag halten

Lokale Lobbys wie Bauern und Baufirmen unterstützen ohnehin meist die LDP. Nur ein Drittel der Mandate wird per Zweitstimme proportional zu den Parteianteilen anhand ihrer Listen bestimmt.

Kleine Poster, kaum Reden, kein Haustürwahlkampf

Skurrile Vorschriften schränken den Wahlkampf so ein, dass sich die Opposition nur schwer Gehör verschaffen kann. Öffentliche Reden dürfen Politiker nur in den zwölf Tagen vor dem Wahltermin halten. Ihre maximal DIN-A2 großen Wahlposter müssen die Kandidaten an eine vorgeschriebene Stelle auf den wenigen offiziellen Wahlständern kleben. Das beliebte, da auffällige rote Herzsymbol um ihr Gesicht herum darf höchstens 42 Zentimeter hoch sein.

Statt einer politischen Aussage betont die Wahlwerbung den Namen der Kandidatin oder des Kandidaten. Auf dem Wahlzettel muss man nämlich die Schriftzeichen des Namens mit der Hand schreiben.

Daher stehen die Kandidaten frühmorgens vor den Pendlerbahnhöfen und wiederholen im 15-Sekunden-Takt unter ständigen Verbeugungen ihren Namen. Tagsüber fahren sie mit einem Lautsprecherwagen durch die Straßen, winken mit weißen Handschuhen aus dem Fenster und nennen in Endlosschleife wieder nur ihren Namen mit der Aufforderung zur Wahl. Mehr ist gesetzlich nicht erlaubt.

An Haustüren zu klingeln, ist verboten, das Verteilen von Geschenken wie Kugelschreibern ebenfalls. Wahlwerbung per E-Mail geht nur, wenn der Empfänger vorher zugestimmt hat. Immerhin ist die Wähleransprache über soziale Medien wie Twitter und YouTube seit elf Jahren zugelassen – aufgrund einer Fehleinschätzung der Behörden.

„Damals konnte man sich nicht vorstellen, welche Bedeutung diese Medien einmal bekommen“, erklärt der Politologe Harumichi Yuasa von der Tokioter Meiji-Universität. Doch diese Wahlwerbung erreicht nur Japaner, die sozialen Medien folgen.

Politdynastien sind „Rassepferde der Politikwelt“

Personalmangel bremst die Wahlkampfaktivitäten zusätzlich. Bis auf Fahrer und „Announcer“ in den Lautsprecherbussen müssen alle Wahlkampfhelfer ehrenamtlich arbeiten. Einzig erlaubter Tageslohn sind eine Bento-Essensbox für 6 Euro und Süßigkeiten für 3 Euro.

Das erklärt, warum die LDP über viele Jahre auf die Mitglieder der aus Südkorea stammenden Vereinigungskirche als willfährige Wahlkampfhelfer zurückgriff. Im Gegenzug tolerierte die LDP, dass die Sekte ihre japanischen Angehörigen finanziell auspresste.

Auch die traditionelle Vererbung von politischen Ämtern nützt der Regierungspartei: Den Wahlbezirk Gunma Nummer 4, zu dem Takasaki gehört, dominiert Tatsuo Fukuda. Jeder kennt den Namen dieser LDP-Dynastie, weil sein Vater und Großvater von hier ins Parlament einzogen und jeweils Premierminister wurden.

„Rassepferde der Politwelt“ heißen solche prominenten Politiker, die sich generationsweise im Parlament ablösen. Fast jeder dritte LDP-Abgeordnete gelangte als Kind oder Enkel eines vorigen Mandatsträgers ins aktuelle Parlament, indem sie Namen, Wahlbezirk und Spender erbten.

Skandalpolitiker ist auch ohne Wahlkampf siegessicher

Dank dieser Boni siegte auch Fukuda schon vier Mal. Allerdings läuft es diesmal nicht so glatt wie gewohnt: Auch Fukuda füllte eine schwarze Kasse, wenn auch nur mit 6.000 Euro. Daher strich ihn seine Partei, so wie 33 andere Abgeordnete, von ihrer Liste für die proportional vergebenen Sitze.

Doch Fukuda braucht keine Absicherung über die Parteiliste, er dürfte auch jetzt direkt gewinnen. Sein Gegenkandidat Yamada, dem am Bahnhof niemand zuhören wollte, ist ein politischer Neuling und stammt nicht aus der Region.

Fukuda lässt ihn einfach ins Leere laufen. Unter dem Slogan „Neustart“ tritt der 57-jährige Dynastie-Sprössling nur vor loyalen Unterstützern auf und verzichtet auf Reden an Bahnhöfen. Zur Ausrede verweist er auf seine zeitraubende neue Aufgabe als amtierender LDP-Generalsekretär.

In Wirklichkeit will er, dass traditionelle LDP-Wähler möglichst wenig von seiner Verfehlung mitbekommen. „Dieser Wahlbezirk ist fest in der Hand der LDP“, seufzt Yamadas Wahlkampfhelferin Chika Setsumi fast resigniert.

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2 Kommentare

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  • "Auch die traditionelle Vererbung von politischen Ämtern nützt der Regierungspartei: Den Wahlbezirk Gunma Nummer 4, zu dem Takasaki gehört, dominiert Tatsuo Fukuda. Jeder kennt den Namen dieser LDP-Dynastie, weil sein Vater und Großvater von hier ins Parlament einzogen und jeweils Premierminister wurden."



    So etwas ist bei Konservativen und darüber hinaus in Europa nicht unbekannt, mit fallen auch gleich so einige Familiennamen ein. Aber es gab auch immer Töchter, die mit anderen Namen reüssieren konnten, musste man sich merken nach Strauß, Albrecht usw.



    In Japan ist die Repräsentanz im Parlament anders verteilt.



    Quelle sumikai.com



    "Im japanischen Unterhaus, der größten der beiden Parlaments-Kammern, ist das jedoch mitnichten der Fall. Über die Hälfte der japanischen Bevölkerung besteht aus Frauen – bis ins Unterhaus geschafft haben es jedoch aktuell nur 46 von ihnen. Das entspricht gerade mal zehn Prozent der 465 Abgeordneten – und zeigt einen deutlichen Nachholbedarf in der japanischen Politik."



    Offensichtlich ist das Verständnis von Demokratie in Japan, wie vieles sonst auch in Asien, für uns vergleichsweise leicht exotisch und ziemlich traditionell.

  • Wäre es nicht Japan, sondern irgendein Land anderswo in der Welt mit solchen "Wahlen", würde kaum jemand von einer funktionierenden Demokratie reden. Geschweige denn schreiben.