Unterbringung von Geflüchteten: Protest gegen Notunterkünfte
Im Weisekiez in Neukölln organisieren Autonome und Geflüchtete zusammen eine Demonstration gegen die Isolation in „Lagern“.
Die ausgeblichenen Bierbänke vor der „Lunte“ sind bis auf den letzten Platz besetzt, ein Dutzend Linksautonome und Geflüchtete ist schwer beschäftigt: Plakate auf Farsi und Arabisch schreiben, Flugzettel verteilen, Leute ansprechen. Es gibt viel zu tun vor der Demonstration am Sonntag auf dem Tempelhofer Flugfeld. Said ist gerade los, schwarzen Tee zu kaufen. Die Revolution braucht einen wachen Kopf.
Im Innenraum der „Lunte“ im Neuköllner Schillerkiez wird davon noch geträumt. Hier hängen die Vorbilder sozialistischer Werte: revolutionäre Arbeiter auf einem Lastwagen, ein leinwandgroßes Schwarzweißfoto von 1919. „Autonome“ steht darauf in roten Lettern.
Die Autonomen von heute sitzen am Mittwochabend draußen. Sie kämpfen nicht mehr gegen den faschistischen Klassenfeind, aber immer noch für soziale Gerechtigkeit, für bezahlbaren Wohnraum, für die Gleichheit aller Menschen. Und die sehen sie in der Unterbringung von Geflüchteten in Notunterkünften wie in den Hangars des stillgelegten Flughafens Tempelhof verletzt.
Rassistische Separation
Am Sonntag um 16 Uhr findet die „Kundgebung gegen Abschottung und Abschiebung“ auf dem Tempelhofer Feld statt. Treffpunkt ist das östliche Ende der nördlichen Landebahn, nahe dem Haupteingang Oderstraße.
Angemeldet hat die Demo die „Weisekiez Initiative“. Seit Oktober organisiert sie in der „Lunte“ (Weisestr. 53, Neukölln) ein Geflüchteten-Cafe.
In den Hangars der Notunterkunft in Tempelhof sind 1.300 Flüchtlinge untergebracht. Rund 570 BewohnerInnen warten seit 2015 auf eine Verlegung. Die Kapazität der Hangars soll um rund 900 Plätze wachsen. (rp)
„Die Flüchtlinge werden in Lagern gehalten und daran verdienen andere noch“, empört sich Alex von der „Weisekiez Initiative“. Zusammen mit rund 20 anderen hat er die Demonstration angemeldet, um gegen die „rassistische Separation“ und die „Betreibermafia“ zu protestieren, die die Notunterkünfte aus Sicht der Flüchtlinge und ihrer Unterstützer mit sich bringen. „Es gibt genügend leerstehende Häuser. Der Senat soll die Flüchtlinge wie alle anderen behandeln und überall wohnen lassen“, sagt Alex. Schon mehrmals haben sie die Zustände in der Notunterkunft Tempelhof angeprangert, zuletzt im Januar. Trotz Schneetreiben und Minusgraden seien 800 Demonstranten erschienen, erzählen sie.
Von untragbaren Zuständen in den Hangars berichtet auch Farhad. Seit acht Monaten harrt der 27-Jährige dort aus. Er ist einer von 570 BewohnerInnen, die schon seit vergangenem Jahr auf eine Verlegung aus der Notunterkunft warten, räumt die Betreiberfirma Tamaja auf taz-Anfrage ein. Farhad leidet neben der fehlenden Privatsphäre vor allem am Essen: 12 Kilo habe er verloren, seitdem er hier wohnt. „Das Essen in den Hangars ist schlechter als in einem Gefängnis in meiner Heimat.“
Der Iraner floh nach Deutschland, erzählt er, weil die Polizei ihn suchte. Farhad ist zum Christentum konvertiert. Im Iran steht darauf die Todesstrafe. Die Unterbringung mit lauter Muslimen ist ein weiterer Grund, warum Farhad so schnell wie möglich ausziehen will. Öfters sei er provoziert und beleidigt worden, sagt er.
Ehrenamt fürs System?
Auch deshalb kommt der Iraner jeden Mittwoch in die Lunte. Vielleicht hat jemand einen Tipp für ihn, wie er an eine Wohnung kommt. Ein, zwei Mal konnten Mitglieder der Initiative nach eigenen Angaben zwischen Flüchtlingen und Vermietern vermitteln.
„Eigentlich machen wir keine Einzelfallhilfe“, sagt Kim, die erst seit Kurzem im Kiez wohnt. „Wir wollen keine paternalistische Helferstruktur unterstützen.“ Sie findet, die Ehrenamtlichen, die sich in den Unterkünften engagieren, hielten nur ein schlechtes System aufrecht. Stattdessen wollen die Neuköllner Autonomen den Flüchtlingen ermöglichen, selbst aktiv zu werden. Die Demonstration haben sie auf Wunsch ihrer Cafégäste aus Syrien, Ägypten und Iran angemeldet. „Sie haben ja noch nicht mal Papier, um Flyer zu drucken“, sagt Kim. „Geschweige denn, dass sie mit ihren Anliegen gehört werden.“
Anlass zur Sorge – und zum Protest – haben die Geflüchteten genug. Diesen Samstag etwa sollen die BewohnerInnen der Kreuzberger Notunterkunft in der Turnhalle am Tempelhofer Ufer umgezogen werden. Von den 196 BewohnerInnen kommen jedoch nur die Familien in eine richtige Unterkunft nach Hohenschönhausen. Der Rest – die allein reisenden Männer – soll in die Hangars am Flugfeld kommen. Die wollten das jedoch nicht hinnehmen, berichtet Kim. „Ich weiß nicht, was am Samstag passiert.“
Freiziehung von Turnhallen
Dass der Senat wie angekündigt „möglichst bald“ alle 63 Turnhallen, in denen Flüchtlinge untergebracht waren, wieder „freiziehen“ will, finden in der Lunte alle gut. Dass ein Teil der Flüchtlinge von einer Notunterkunft zur nächsten verfrachtet wird, hingegen nicht.
Dieses Los könnte auch Adnan bald ziehen. Der Ägypter wirkt an diesem Abend aufgelöst. Alle BewohnerInnen der Jahn-Sporthalle am Columbiadamm sollen am 9. Juli in die Hangars des benachbarten Flughafengebäudes verlegt werden, hat er gehört. Das Lageso bestätigte dies am Donnerstag der taz. Wie lange sie dort bleiben sollen, sagt den Flüchtlingen niemand.
„Die genaue Verweildauer ist noch unklar“, sagt Maria Kipp, Sprecherin von Tamaja. 1.300 Flüchtlinge sind in den Hangars untergebracht, 400 Betten stehen leer. Aktuell werden zwei weitere Hangars ausgebaut – Platz für weitere 900 Menschen.
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