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Unter Möllemanns Daumen

Parteichef Guido Westerwelle kann sich nicht gegen seinen Stellvertreter durchsetzen. Er kuscht – trotz Rückendeckung von allen FDP-Granden

aus Berlin BETTINA GAUS

Jürgen Möllemann hätte die gemeinsame nächtliche Pressekonferenz mit Guido Westerwelle gerne launig eingeleitet. Sie beide „amüsierten“ sich – „Das kann man doch wohl so sagen?“ – über die große Angst des politischen Gegners vor den Erfolgen der FDP, meinte der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende und lächelte verschwörerisch zum Parteichef hinüber. Dann gefror ihm das Lächeln. Westerwelle blickte starr geradeaus, bleich und unzugänglich. Kein Bruch, aber auch keine Verbrüderung: das sollte seine Botschaft sein.

Die kleine Szene war wohl das Einzige, was für Möllemann an diesem Tag nicht ganz nach Plan lief. Sonst hat er sich durchgesetzt: Der Landtagsabeordnete Jamal Karsli bleibt Fraktionsmitglied, beim Zentralratsvize Michel Friedman wird er sich auch künftig für seine antisemitisch gefärbten Vorwürfe entschuldigen.

Außerdem ist fraglich, ob Westerwelle sich einen Gefallen damit getan hat, gemeinsam mit seinem Widersacher vor die Kameras zu treten. Ein Bild des Jammers bot der erfolgverwöhnte FDP-Vorsitzende. Deutlicher lässt sich eine Niederlage nicht in Szene setzen.

Westerwelle war geraten worden, sich den Medien nicht gemeinsam mit Jürgen Möllemann zu präsentieren, sondern stattdessen mit den Ehrenvorsitzenden Hans-Dietrich Genscher und Otto Graf Lambsdorff. Die standen auf seiner Seite – der FDP-Chef wäre in der Stunde der Not wenigstens nicht allein gewesen. Andererseits hätte diese Lösung einen schwer reparablen Bruch signalisiert. Westerwelle entschied sich dagegen. Damit setzte er seine Politik der letzten Wochen fort, im Umgang mit Möllemann nicht die Konfrontation zu suchen, sondern den Kompromiss.

Was veranlasst einen Machtpolitiker angesichts einer offenen Herausforderung zu einem solchen Kurs? Und was hat den Landesverband bewogen, die Reihen hinter seinem Vorsitzenden fast vollständig zu schließen, obwohl doch auch Westerwelle selbst dort seine politische Heimat hat? Die Antwort auf beide Fragen ist in der Geschichte der Partei zu finden.

Westerwelle hat aus nächster Nähe beobachten können, wie es FDP-Vorsitzenden ergehen kann, die sich Jürgen Möllemann zum Feind machen. Klaus Kinkel hat es versucht und nach ihm Wolfgang Gerhardt. Gut bekommen ist es beiden nicht. Keine Schwäche, kein Straucheln, das der Parteifreund nicht begierig aufgegriffen und mit vernichtenden Kommentaren versehen hätte. Als „schlafender Löwe von Wiesbaden“ ist Gerhardt von Möllemann bezeichnet worden. Um nur ein Beispiel zu nennen.

1994 hatte es für kurze Zeit so ausgesehen, als habe Klaus Kinkel den Machtkampf gegen jenen Mann endgültig gewonnen, der von anderen FDP-Politikern schon mal als „Quartalsirrer“ oder als „intrigantes Schwein“ bezeichnet wird. Auf sein Betreiben hin schickte der nordrhein-westfälische Landesverband seinen Vorsitzenden in die Wüste. Danach dauerte es dann nicht einmal zwei Jahre, bis die Liberalen aus dem Düsseldorfer Landtag flogen, Jürgen Möllemann im Triumphzug zurückkehrte und Kinkel sein Amt als FDP-Chef verlor. Solche Erfahrungen vergisst eine Partei nicht so schnell.

Auch Jürgen Möllemann ist davon geprägt worden. Die Folge: Er scheint sich nun für unbesiegbar zu halten – und das vielleicht zu Recht. An der Präsidiumssitzung am Montag, die sich mit der prekären Lage befasste, nahm er gar nicht erst teil. Stattdessen schickte er in die bereits laufende Zusammenkunft ein Fax, in dem er seine Abwesenheit mit dringenden Wahlkampfangelegenheiten begründete.

Unter den Granden brach die Hölle los. Wolfgang Gerhardt gab seine lange gepflegte Zurückhaltung auf: Es müsse endlich deutlich werden, dass die Partei nicht nur aus Möllemann bestehe. Ähnlich äußerte sich Kinkel. FDP-Vize Rainer Brüderle warnte vor einem Ansehensverlust von Deutschland in der Welt, falls Möllemann sich durchsetzen könne. Unmissverständlich war der Auftrag für Guido Westerwelle: Kämpfen, kämpfen, kämpfen. Unverbrüchliche Rückendeckung wurde ihm auch im Falle einer Niederlage zugesichert.

Die Niederlage hat der FDP-Vorsitzende sich dann abgeholt. Die Rückendeckung auch. Lambsdorff behauptete wider alle Realität, Westerwelle sei nicht geschwächt. Hildegard Hamm-Brücher, die mit ihrem Austritt gedroht hatte, bleibt vorläufig doch Parteimitglied: „Ich will dem Westerwelle im Augenblick nicht in den Rücken fallen.“ Selbst Möllemanns politischer Ziehvater Hans-Dietrich Genscher stellte sich gestern demonstrativ hinter den Mann, der bis dahin ein Garant für Erfolge und Siege zu sein schien – und gerade deshalb vielen aus der alten FDP-Führungsriege oft unheimlich gewesen ist.

Gehhilfen hat Guido Westerwelle also bekommen. Laufen aber muss ein Parteivorsitzender allein. Es dürften tastende Schritte sein, die er jetzt unternimmt. Irgendwann scheint er nämlich begonnen zu haben, an seine eigene Botschaft zu glauben: dass unverbrüchlicher Frohsinn und unbeirrter Optimismus, gepaart mit Daueropposition und dem Versprechen, alles besser machen zu können, ein unfehlbares Erfolgsrezept darstellen. Die Umstellung dürfte ihm nicht leicht fallen.

Wer Westerwelle bislang ausschließlich als Vertreter der Spaßgesellschaft abgetan hat, der tat ihm Unrecht. Er stand durchaus für ein Programm. Aber er hat keinerlei Erfahrung damit, wie es sich anfühlt, gegen unbezwingbare Widerstände zu kämpfen. Dauerhaft kann sich ein Politiker jedoch nur dann an der Spitze halten, wenn es ihm gelingt, Stärke auch aus der Schwäche heraus zu demonstrieren. Viel Zeit zum Lernen bleibt dem FDP-Vorsitzenden nicht. Nach der Bundestagswahl wird abgerechnet.

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