Politisch aktive Schwarze in Hamburg: Unsichtbare, wohin man nur schaut
Josephine Akinyosoye und Johannes Tesfai erinnern in dem Buch „Sichtbar werden“ daran, wie politisch aktiv Schwarze in Hamburg seit den 1980ern sind.

Er war als Ingenieur, Performer, Flüchtlingsbetreuer, Berufsschullehrer und aus strategischen Erwägungen heraus Ultralangzeitstudent, als Musiker und als Künstler eine bedeutende Figur der linken Bewegungen der Freien und Hansestadt. Aber eben eine, die von der verfassten Politik und den sie begleitenden Medien mit geübter Geste an den Rand gedrängt und dort dann übersehen und vergessen werden konnte. Und auch von denen, die sich für widerständig und kritisch halten.
Damit ist er nicht allein. Das ist auch heute noch ein Muster, wie die weiße Dominanzgesellschaft Deutschlands mit Schwarzer Kultur und Politik umgeht, die gerade in den Stadtstaaten Hamburg und Bremen besondere Präsenz entfaltet hat. Das soeben erschienene Buch „Sichtbar werden“ lässt sich selbst als ein Protest gegen diese systemische Nichtwahrnehmung lesen, die es zugleich darstellt.
Josephine Akinyosoye und Johannes Tesfai erzählen in dem Buch eine „Geschichte der Selbstorganisierung von Schwarzen linken Hamburger*innen aus Afrika“. Eben von der fehlen im Gedächtnis der Stadt fast alle Spuren: Während in den USA das Regime von Donald Trump deren Tilgung erst mühsam durchsetzen muss, sind sie hier durch Nichtwahrnehmung schon vorab aussortiert. Unter dieser Voraussetzung muss die Rekonstruktion lückenhaft bleiben.
Privatarchiv als wichtigste Quelle
Und subjektiv: Josephine ist Tochter von Olajide Akinyosoye. Klug thematisiert sie beim Schildern seines Lebenslaufs ihr Verhältnis zum Vater. Sie verschweigt nicht, wie ihr als Teenager seine Bühnenarbeit peinlich und die politische Dimension verborgen gewesen sei. Das ist wichtig. Akinyosoyes Privatarchiv ist die Hauptquelle des Buchs.
Und neben Lincoln Marais, dem einstigen offiziellen Vertreter des ANC, der die Hamburger Proteste gegen das südafrikanische Apartheidsregime koordinierte und dabei Teile der staatstragenden SPD, DKP-Spießer, kirchliche Gruppen und Autonome zusammenbrachte, ist Akinyosoye Hauptfigur des Werks: Immerhin ist er Gründer der Afrikanischen Union Hamburg gewesen.
Dieser – panafrikanisch ausgerichtete – Verein, der noch immer als aktiv im Register steht, entsteht 1985. Sehr schnell etabliert er sich als übergreifende Interessenvertretung. „Olajide Akinyosoye war der politische Sprecher und er kann sehr gut reden“, so erinnert sich der von den Autor*innen als Zeitzeuge befragte Patrick Agyemang an gemeinsame Aktionen der supranationalen Community. Agyemang hatte Anfang der 1990er den Dachverband „Sokoni“ gegründet, der längst erloschen ist.
Die Aktivitäten der AUH reichten von der Hausaufgabenbetreuung auf Stadtteilebene über das landespolitische Lobbying, ausländerrechtliche Hilfestellung und die Organisation von Demos zu kulturellen Veranstaltungen. Als frustrierend hat Olajide Akinsoye die Kontaktversuche zu Hamburger Politiker*innen einmal in der taz geschildert: „Wenn wir sie einladen, glänzen sie durch Abwesenheit“, so sein Resümee. „Meistens haben sie kein Interesse.“
Überboten wird die Ignoranz der politischen Akteur*innen allerdings damals wie heute durch die der Medien. Besonders greifbar wird die, wo weiße zivilgesellschaftliche Akteur*innen und Regierung die Anliegen von Schwarzen oder migrantisierten Organisationen mittragen, sich mit ihnen verbündet haben – und dadurch umgehend selbst unsichtbar werden.
Ein markantes Beispiel aus Bremen: das jährliche Gedenken an den Völkermord deutscher Truppen an Ovaherero und Nama. Das von ihr mitgeprägte Gedenken an den Völkermord an Ovaherero und Nama am Antikolonial-Mahnmal.
Es ist, vom Bremer Afrika Netzwerk, vom Verein der Elefant und der Landeszentrale für politische Bildung organisiert, auch in diesem Jahr wieder die einzige Veranstaltung für die Opfer dieses ersten Völkermords des 20. Jahrhunderts gewesen. Die Landespolitik war dort hochrangig durch Vize-Bürgermeister Björn Fecker (Grüne) vertreten, der Präsident des Senats Andreas Bovenschulte (SPD) hatte selbstverständlich die Schirmherrschaft übernommen.
Medial aber hat der Gedenkakt nicht stattgefunden. Dabei hat doch auch der Bundestag das Thema seit Juni mehrfach aufgegriffen – und die Bundesregierung die Forderung nach Entschädigung erneut zurückgewiesen, mit der Begründung, das begangene Unrecht habe keine „internationale Verpflichtung“ verletzt. „Das Konzept der Wiedergutmachung ist daher im Zusammenhang mit der kolonialen Vergangenheit Deutschlands nicht anwendbar“, so das Auswärtige Amt.
Selbstexotisierung als künstlerische Strategie
Im Zentrum der Bremer Veranstaltung stand die Rede der Sängerin und Performerin Natascha Kitavi. „Ich bin eine Herero-Frau“, sagte sie. „Ich stehe hier als Nachkomme derer, die durchgehalten haben, und als Zeugin einer Geschichte, die im Innersten meines Volkes lebt.“ Beim Gedenken gehe es nicht bloß um einen Rückblick, sondern darum, „eine Brücke zwischen dem, was war, und dem, was sein kann“ zu bauen: Erinnern, so gesehen hat auch ein utopisches Potenzial.
Das ist die Stärke des Buches von Josephine Akinyosoye und Johannes Tesfai. Zwar sind die beiden ganz entschieden zu nachsichtig mit den Medien: Es ist ja bemerkenswert, dass die von in der „Werkstatt 3“ in Altona jährlich veranstalteten Afrika-Kultur-Tage so gar kein Presseecho hatten.
Und es ist kritikwürdig, dass die Rezensionen des Films „Hölle Hamburg“ von Ted Gaier und Peter Ott 2011 zwar die Regie, die weiße Schauspielerin Martina Schiesser und ihr Spiel mit Schamanismus thematisieren, aber kein einziger der Schwarzen Darsteller, die es beglaubigen: Akinysoyes künstlerische Strategie war die Selbstexotisierung.
Dafür aber macht das Buch klar: Hier schlummert ein reiches lokales Erbe: Bewegungen, wie 2013 der selbstorganisierte Protest der Lampedusa-Geflüchteten, sind in Hamburg nicht ohne Vorgänger. Sie können auf ein gewachsenes Wissen der Community bauen, wie sich Rechte einfordern lassen, also: wie man sich sichtbar macht, wenigstens für einen Moment. Dem Dauer zu verleihen, also: die eigene Geschichte zu schreiben, ist ein Schritt dahin.
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