Unschönes aus der Fußballbundesliga: Erst Hertha, dann Sex
Otto Rehhagel, Trainer von Hertha BSC, wirkt merkwürdig sediert. Genau wie seine Mannschaft beim 1:2 gegen Freiburg. Noch aber halten die Fans dem Trainerfossil die Stange.
BERLIN taz | In der Ostkurve, wo die harten Fans der Hertha stehen, sieht man sie immer noch, die Zeichen des prekären Aufschneidertums, das die Hauptstadt bisweilen prägt. Ein Anhänger zeigte sich mit einem Transparent, in der Szene Doppelhalter genannt. Darauf stand geschrieben: „Erst Hertha, dann Sex.“
Man will ihn sich wirklich nicht vorstellen, den Sex dieses Herthaners, den er möglicherweise nach dem 1:2 gegen den SC Freiburg in der Nacht auf Mittwoch gehabt hat. Eingefleischten Fans schwindet nach so einem Spiel, der siebten Niederlage im achten Heimspiel (sic!) sowie der virulenten Abstiegsgefahr, die Manneskraft. Er hätte wohl besser auf sein Plakat geschrieben: „Erst geht nichts und dann steht nichts.“
Recht lasch und saftlos agierten auch die von einem merkwürdig sedierten Trainer Otto Rehhagel angeführten Herthaner. Zwar hatte Freiburg Glück, weil ihnen bereits in der 7. Minute ein „Krümeltor“ (Hertha-Manager Michael Preetz), also ein Eigentor von Roman Hubnik geschenkt worden war, aber die Breisgauer hätten ohne weiteres auf 3:0 erhöhen können - auch ohne die Hilfe von Herthanern.
Die Chancen waren da. Hertha dagegen schoss erst in der 57. Minute zum ersten Mal direkt aufs Tor. „Dann haben die Jungs mit Begeisterung nach vorne gespielt“, behauptete Rehhagel. Die Moral der Mannschaft sei in Ordnung gewesen, sie habe sich aufgebäumt. Auch sei noch nichts verloren, weil Augsburg und Köln, die Mitkonkurrenten um den Relegationsplatz, ebenfalls verloren haben. „Die Situation nach dem Spiel ist wie vor dem Spiel"“ sagte Rehhagel, 73.
Präpotenz und Selbstüberschätzung
Er wirkte irgendwie müde, ausgelaugt. Keine Spur mehr von jenem flamboyanten Kerl, der immer ein verächtliches Wort oder einen kecken Spruch für Journalisten übrig hatte, dessen Präpotenz und Selbstüberschätzung manchmal schwer erträglich waren. Jetzt sitzt da ein heruntergedimmter Rehhagel vor der Presse, beantwortet brav die Fragen.
Hier und da mischt sich freilich ein verräterischer Unterton in seine Sätze, wenn er etwa davon spricht, dass „der Krampf“ sich nun vielleicht bis zum letzten Spieltag hinziehe und dass er froh sei, wenn er die Mannschaft so aufstellen könne, „dass wir einigermaßen über die Runden kommen“. Das sagt ein Trainer, der von manchen in Berlin als Heilsbringer empfangen wurde, als Retter in der Not.
Doch je länger Rehhagel sich an der Berliner Realität abarbeitet, desto weniger schwungvoll scheint er zu agieren. Viel zu selten lief Rehhagel in Berlin zu großer Form auf - als er etwa Fenol Perdedaj in „Paradise“ umtaufte oder bei seinem ersten Training in Berlin einem schweren Schneesturm barhäuptig trotzte.
Noch ist der Schiri schuld
Da dachte manch einer: Der alte Sack kann es vielleicht doch richten, wer weiß, womöglich vollbringt er ein weiteres Wunder wie weiland bei den Griechen. Der Glauben daran ist in der Berliner Ostkurve noch nicht ganz geschwunden, denn von „Rehhagel raus“-Rufen war nichts zu hören. Allein der Schiedsrichter wurde zum Objekt heftiger Verbalattacken.
Ganz anders als Rehhagel trat Gästetrainer Christian Streich auf. Wie aufgezogen tanzte der in der Coaching-Zone herum. „Ich bin einfach so ein Typ, der das dann einfach braucht, um ein bisschen Spannung wegzubekommen - über Bewegung. Andere Menschen machen das mehr im Sitzen - und ich mach's mehr im Stehen“, sagte er.
Sein Mienenspiel ließ vermuten, dass er unter Starkstrom steht. Einen Teil dieser Hochspannung scheint er direkt an seine Mannschaft weiterzugeben. Wenn dieses physikalische Kunststück weiterhin gelingt, dann bleibt der SC Freiburg bestimmt in der Bundesliga, auch wenn Coach Streich da noch seine Zweifel hat: „Es ist noch nichts entschieden. Ich weiß, wie schwer das in dieser Liga ist. Da kann man ganz schnell wieder drei, vier Spiele hintereinander verlieren“, sagte er.
Davon kann die Hertha ein Lied singen. Sie befindet sich ähnlich wie in der Abstiegssaison 2009/10 in einem Strudel, der das Team zu verschlingen droht. „Das zehrt mental“, sagte Abwehrspieler Christian Lell. Kollege Andreas Ottl sprach von einem „psychologischen Knacks“. Die nächsten Gegner der Hertha heißen Leverkusen (auswärts) und Kaiserslautern (daheim). Da wird man sehen, wie ausgebrannt die Hertha wirklich ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben