Unkenntnis im Kampf gegen Kinderpornos: Sperren als Selbstzweck
Die Regierung weiß nicht, wo die Server stehen und ob es überhaupt eine relevante Anzahl von Kinderporno-Websites gibt.
BERLIN taz | Die Luft für die Bundesregierung wird dünner. Auch wenn die parlamentarische Mehrheit für die Einführung von Internetsperren zu stehen scheint, kann die Regierung immer weniger erklären, warum der Aufbau einer Sperrinfrastruktur überhaupt nötig ist.
Nach Informationen des AK Zensur, in dem die Sperrgegner zusammengeschlossen sind, stehen die meisten Kinderpornoserver in westlichen Staaten, wo es einerseits leistungsfähige Internetverbindungen gibt, andererseits aber auch die Rechtshilfe funktioniert und Provider nach entsprechenden Hinweisen die Seiten löschen. Die Bürgerrechtler berufen sich auf die Auswertung von Sperrlisten aus skandinavischen Ländern.
Deshalb fragte jetzt die FDP-Fraktion bei der Bundesregierung nach und bekam recht vage Antworten. Demnach stehen Kinderpornoserver vor allem in "Staaten mit geringer Kontrollintensität oder aber dort, wo keine diesbezügliche Gesetzgebung existiert". Eine Liste der Länder, in denen Kinderpornografie nicht strafbar ist, konnte die Regierung aber nicht liefern. "Dazu liegen der Bundesregierung keine gesicherten Erkenntnisse im Sinne rechtsvergleichender Studien vor." Konsequenterweise weiß die Bundesregierung auch nicht, wie hoch der Anteil der Kinderpornoserver ist, die in solchen Staaten stehen.
Auch beim Bundeskriminalamt sieht es nicht besser aus. Die taz fragte nach Ländern, in denen die Hostprovider nicht auf Informationen über Kinderpornografie reagieren. "Dem BKA liegen hierzu keine belastbaren Erkenntnisse vor - derartige Statistiken gibt es weltweit auch nicht", so das BKA. Es läge also nahe, die Hostprovider probeweise erst mal direkt zu informieren, um zu sehen, ob danach immer noch Bedarf für ein Sperrgesetz besteht.
Wenig Klarheit herrscht auch bei der Frage, ob es überhaupt eine relevante Anzahl von frei zugänglichen Kinderpornoseiten im Internet gibt. Die Bundesregierung behauptet zwar, dass kommerzielle kinderpornografische Websites (neben Tauschbörsen) einen "Schwerpunkt bei der Verbreitung von Kinderpornografie bilden". Woher sie diese Erkenntnis hat, weiß die Bundesregierung allerdings nicht: "Die Bundesregierung verfügt über keine detaillierte Einschätzung des kommerziellen Marktes für Kinderpornografie in Deutschland", so die erstaunliche Antwort.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe