Union Berlin zurück im Fußballalltag: Runter vom Partymodus
Vor den großen Aufgaben gegen Ajax Amsterdam und den FC Bayern bietet Union Berlin ein wenig Erholung vom surrealen Erfolg der letzten Monate.
Schlauer hat das Spiel zwischen Union Berlin und Schalke 04 am Sonntag wohl kaum jemanden gemacht. Wer wissen wollte, wie es denn nun sein kann, dass die Hauptstädter aus Köpenick tatsächlich immer noch um die Spitzenposition in der Fußball-Bundesliga mitspielen, der hat aus der Partie gegen den Tabellenletzten gewiss nicht viel mitgenommen. Es war ein grauenhafter Kick, ein 0:0 der schlechteren Art.
Beide Mannschaften hätten sich neutralisiert, meinte Union-Trainer Urs Fischer nach dem Spiel. So kann man das freundlich ausdrücken, was die beiden Mannschaften den Zuschauern da zugemutet haben.
Gut, es ist mittlerweile schwer, gegen Schalke ein Tor zu erzielen. Vier Mal hat das Team von Trainer Thomas Reis nun hintereinander 0:0 gespielt. Aber dass sich Union so schwer getan hat, die erste Pressinglinie der Gäste zu überspielen, das war kaum mitanzusehen. Urs Fischer beorderte schon nach 20 Minuten seinen Torwart Frederik Rönnow an die Seitenlinie, um neue Anweisungen für die Spieleröffnung zu übermitteln.
Geholfen hat es nichts. Aus dem Sprung an die Tabellenspitze, der mit einem Sieg möglich gewesen wäre, ist nichts geworden. Es war ernüchternd. Für viele Fans vielleicht auch mal wohltuend ausnüchternd.
Graues Intermezzo
Das Spiel gegen Schalke markierte nach Wochen des Union-Rausches, mit Siegen beim verhassten Dosenkonstrukt in Leipzig, nach einem fast schon souveränen Auftritt in der Europa League bei Ajax Amsterdam, bei dem mehr drin war als ein 0:0, so etwas wie ein Intermezzo dar, in dem der graue Fußballalltag wieder Einzug gehalten hat an der Alten Försterei. Am Donnerstag steigt schon das Rückspiel gegen Ajax. Am Sonntag dann das Spitzenspiel bei den nach 21 Spieltagen punktgleichen Bayern in München.
Vielleicht tat es den Unionern auch mal ganz gut, ein wenig runterzukommen vom Partymodus. Rauszukommen aus diesem ewigen Zustand der Dankbarkeit für das glückliche Fußballschicksal, das allen in Klub und Umfeld seit dem Aufstieg 2020 bisweilen surreal vorkommen mag. „Als fast schon surreal“ hatte es Urs Fischer am Samstag vor dem Spiel bezeichnet, dass sich sein Team nun anschickt, zum dritten Mal hintereinander einen europäischen Wettbewerb zu erreichen. Das ist seit einer Mannschaftsbesprechung nun das offizielle Saisonziel.
Wie Union das spielerisch schaffen möchte, hätte man schon gerne gesehen am Sonntag. Aber da war kein schneller Angriff nach Balleroberung. Es war nichts zu erahnen von jenem mittlerweile furchteinflößenden Umschaltspiel, das die Videozuarbeiter von Bayerntrainer Julian Nagelsmann gewiss intensiv studieren, um ihre Mannschaft auf das Spitzenspiel am Sonntag vorzubereiten. Von der Partie gegen Schalke werden sie nicht viele Videoschnipsel verwenden können. „Das war heute zu unpräzise“, so Fischer.
Die wie immer munter singenden Fans werden es verschmerzen. Sie kommen ja kaum nach, sich gegenseitig ihres Glückes zu versichern. Beinahe am lautesten wurde entsprechend am Samstag applaudiert, als sich der Stadionsprecher bei den 2.700 Unionern bedankte hat, die den Klub in Amsterdam mit brennenden Herzen und Fackeln unterstützt haben.
Verehrte Augenzeugen
Die Augenzeugen werden an der Alten Försterei beinahe ebenso verehrt wie die Spieler. Die ereignisarme Partie gegen Schalke mag den reiselustigen Fans die Möglichkeit gegeben haben zu berichten, wie es war in den Niederlanden, wie das Stadion war, ob man gut gesehen hat, ob man nicht doch zu weit weg war vom Geschehen auf dem Feld. Wichtige Frage sind das angesichts der Ausbaupläne für das Stadion. 37.700 Zuschauer soll die neue Alte Försterei mal aufnehmen können. Am Sonntag waren 22.000 Leute da. Es war voll, wie üblich.
Und noch ein Gutes hatte das Spiel. Urs Fischer nutzte es zum Teambuilding. Er ließ kräftig rotieren im Vergleich zu den vergangenen Spielen. Im Sturm durfte sich mal wieder Sven Michel austoben. Und er lief auch wirklich bisweilen wie eine gesengte Sau über das Feld, doch nur selten erreichte ihn ein Ball. Die Präzision. Siehe oben.
Und hinten stand mal wieder Timo Baumgartl in der Startelf. Der Innenverteidiger hatte seit Anfang November nicht mehr gespielt und war vom Klub nicht für die K.-o.-Runde in der Europa League gemeldet worden. „Dass muss ich akzeptieren“, sagte er hinterher. Und vielleicht gehört so etwas auch zur Erfolgsgeschichte von Union. Nicht einmal die eigentlich schon Aussortierten scheren aus der Erzählung von der verschworenen Union-Familie aus. Die trifft sich wieder am Donnerstag, wenn Ajax kommt – nach Berlin, in den Osten, nach Köpenick. Surreal.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen