Uni Hannover: Interne Untersuchungen: Der Pädo-Prof
Die Uni Hannover will endlich den Fall Helmut Kentler aufarbeiten: Der Pädophilie-Befürworter war dort 20 Jahre Professor – und hat auch über Sexualerziehung gelehrt.
Ende 2016 hatte die Göttinger Politikwissenschaftlerin Teresa Nentwig vom Institut für Demokratieforschung für den Berliner Senat ein Gutachten über seine Taten erstellt. Diese Untersuchung habe „Unterlagen zutage gefördert, die belegen, dass Helmut Kentler in der damaligen Zeit in einer aus heutiger Sicht inakzeptablen Weise Forschung betrieben hat“, schreibt die Uni. Inzwischen lägen Kentlers Akten vor und würden „intern gesichtet“. Die große Frage: Hat Kentler auch den Studenten in Hannover seine Pro-Pädophilie-Haltung vermittelt?
Bisher ist darüber wenig bekannt. Aber die Leitung der Leibniz-Universität Hannover will zeitnah einen externen Forschungsauftrag vergeben, um die Umstände der Promotion Kentlers in Hannover, seine Berufung und sein Wirken detailliert zu untersuchen, schreibt die Universität. „Das Verhalten von Universität, Fakultät und Fachbereich in Bezug auf seine Person wird ebenfalls Gegenstand der Untersuchung sein.“
Denn ein Geheimnis hat Kentler, der 2008 gestorben ist, aus seinen Positionen nicht gemacht – auch nicht aus seiner Arbeit in Berlin. Der dortige Senat hatte ihn 1988 mit einem Gutachten beauftragt. Die Fragestellung: Sind Homosexuelle als Adoptiveltern geeignet? Kentler bejahte das – und lieferte zugleich die These, dass pädosexuell veranlagte Männer besonders geeignet seien.
Pädophile hielt er für „besonders einfühlsam“
Als Beleg führte er ein pädagogisches Experiment an, das er selbst 1969 in Westberlin initiiert hatte: Damals überzeugte Kentler die SPD-geführte Berliner Senatsverwaltung, mindestens drei Pflegestellen bei vorbestraften Pädophilen einzurichten. Aufgrund ihrer Neigung hielt er diese Männer für besonders einfühlsam, auch bei schwierigen Fällen.
Viele Jahre später lobt Kentler die pädagogischen Erfolge der pädophilen Pflegeväter, bei denen er nach eigener Auskunft regelmäßig zur Supervision vorbeischaute. Die Jungen hätten sich durch die Fürsorge der Männer zu selbständigen Persönlichkeiten entwickelt, die ein „ordentliches, unauffälliges Leben“ führten, so der Sexualwissenschaftler. „Mir war klar, dass die drei Männer vor allem darum so viel für ‚ihren‘ Jungen taten, weil sie mit ihm ein sexuelles Verhältnis hatten“, schrieb Kentler in dem Senatsgutachten, das den Briefkopf der Universität Hannover trägt. Gezeichnet: „Universitätsprofessor Dr. Helmut Kentler, Dipl-Psych.“
Ein Wissenschaftler, der sexualisierte Erziehungsverhältnisse propagiert? Eine Behörde, die so etwas genehmigt? Ein Senat, der noch Jahre später die Verherrlichung eines ebenso ungeheuerlichen wie strafbaren Experiments durchwinkt? Von heute aus stellen sich viele Fragen. Damals aber hatte man keine.
Niemand stellte Fragen
Nicht in Berlin, wo sich die amtierende Justizsenatorin Schmalz-Jacobsen (FDP) lediglich am „zu subjektiven“ Ton des Gutachtens störte. Und auch nicht in Hannover oder im Rest der Republik – obwohl Helmut Kentler immer wieder sehr deutlich für eine „einvernehmliche Sexualität“ zwischen Kindern und Erwachsenen eintrat, etwa in dem 1990 bei Rowohlt erschienenen Buch „Leihväter“.
Darin schrieb er: „Selbst dann, wenn es in einer Pflegestelle zu homosexuellen Beziehungen zwischen Pflegeperson und Pflegekind kommen sollte, braucht nicht befürchtet zu werden, daß das Kind auf jeden Fall Schäden davon trägt.“ Kentler nimmt sogar das Gegenteil an: „Die Jungen erfahren beim sexuellen Kontakt mit dem älteren Partner vor allem, daß dieser ihnen Aufmerksamkeit schenkt, daß er auf sie Rücksicht nimmt und daß er tut, was ihnen gefällt.“
Negative Aspekte bekämen die sexuellen Kontakte vor allem „durch die Sorge vor Entdeckung“, schreibt Kentler, der zeitweise sogar im Beirat der pädophilen Polit-Lobbygruppe Deutsche Studien-und Arbeitsgemeinschaft Pädophilie (DSAP) saß. Doch bis auf das Magazin Emma, das Kentler schon in den 1990ern als „Schreibtischtäter“ angriff, störte sich lange niemand an seinen Positionen, die gut zum Liberalisierungskurs jener Jahre passten.
Star der linken Pädagogik
Helmut Kentler war in den 1970ern und 1980ern so etwas wie ein Star der linken Pädagogik. Der homosexuelle Protestant galt als Vordenker einer liberalen Sexualerziehung, seine Elternratgeber waren gefragt.
In Hannover bildete Kentler Berufsschullehrer aus, gefragt war er auch als Gerichtsgutachter in Missbrauchsfällen – die allesamt in Freisprüchen endeten. Wie im Fall des Berliner Pflegevaters Fritz H., der kürzlich durch Recherchen des Spiegel bekannt wurde: Zwei Überlebende hatten sich an das Nachrichtenmagazin gewandt und detailliert geschildert, wie ihr Pflegevater ihnen und mindestens drei anderen Kindern über viele Jahre hinweg sexuelle und psychische Gewalt angetan hatte.
Empfohlen wurde Fritz H. durch Kentler, mit dem ihn offenbar ein freundschaftliches Verhältnis verband. 1991 und 1992 verteidigte Kentler Fritz H. in Stellungnahmen an das Familiengericht Berlin – auch diese Schriftstücke tragen den Briefkopf der Uni Hannover. Unter der Schirmherrschaft des Pädagogen aus Hannover konnte der Gewalttäter aus Berlin 30 Jahre lang als Pflegevater arbeiten.
Kentler-Biographie in Arbeit
Teresa Nentwig, die gerade durch das Land Niedersachsen finanziell gefördert an einer Biographie über Kentler arbeitet, bezeichnet auch ihn selbst als „Päderasten“. Sie habe Hinweise darauf, dass sich Kentler zu männlichen Jugendlichen ab etwa 13 Jahren hingezogen fühlte, sagt Nentwig. „Unklar ist, ob er tatsächlich übergriffig geworden ist.“ Auch in Hannover habe Kentler über Sexualerziehung gelehrt. „Das lief, soweit ich das bisher beurteilen kann, aber in einem normalen Rahmen ab“, sagt Nentwig, die als nächstes die Vorlesungsverzeichnisse auswerten möchte.
Die SPD fordert eine Unterrichtung von der Landesregierung. Wissenschaftsministerium und Uni haben sich von Kentler distanziert. Uni-Präsident Volker Epping mache den Eindruck, als sei er „sehr an einer umfassenden Aufklärung interessiert“, sagt die Abgeordnete Silke Lesemann. Dennoch: „Es ist nicht zu verstehen, warum nicht früher nachgefragt wurde.“
„Es ist kritisch zu sehen, dass die Uni jetzt erst nachschaut“, sagt auch Emma-Redakteurin Chantal Louis. Das treffe aber auf alle involvierten Institutionen zu. „Der Berliner Senat hat auch erst angefangen das zu untersuchen, als er nicht mehr anders konnte.“ Kentler hätte aber gestoppt werden müssen, als er noch aktiv war, sagt Louis.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Absagen vor Kunstsymposium
Logiken der Vermeidung