Unfreiwillige Feuerwehr in Aurich: Die Pflicht, zu retten
Weil im Kreis Aurich freiwillige Feuerwehrleute wegen der Zentralisierung ihrer Wache austreten, droht den EinwohnerInnen eine Pflichtmitgliedschaft
Nach dem niedersächsischen Brandschutzgesetz könnten in so einem Fall Frauen und Männer zwischen 18 und 55 Jahren zum Feuerwehrdienst herangezogen werden – ähnlich wie bei Wahlhelfern. Der stellvertretende Samtgemeindebürgermeister Gerhard Evers hofft, dass es in Upgant-Schott nicht dazu kommt. „Wir wollen mit den Wehren sprechen“, sagt er. Nur anbieten kann er den wütenden Feuerwehrleuten wenig. Der Neubau des Feuerwehrzentrums in der Nachbargemeinde Marienhafe ist beschlossen. Die anderen vier Wehren sollen bis auf eine Garage dicht machen.
Evers begründet das damit, dass die alten Feuerwehrgebäude in die Jahre gekommen seien. „Die Fahrzeuge müssen die Spiegel einklappen, wenn sie hineinfahren“, sagt Evers. Zudem müssten neue, getrennte Sanitäranlagen für Männer und Frauen her. „Die gibt es bei keiner der Wehren.“
Der Erhalt der bestehenden Standorte sei mit Baukosten von rund 4,5 Millionen Euro deutlich teurer als der zentrale Neubau in Marienhafe mit nur drei Millionen Euro. „Deshalb ist das nicht anders machbar“, sagt Evers.
Bislang gibt es in Niedersachsen keine Pflichtfeuerwehr
Johann Brüning, der Gruppenführer in Upgant-Schott, hat seine Kündigung nach 45 Dienstjahren eingereicht. Es regt ihn auf, dass die Samtgemeinde nicht länger nach Alternativen sucht. Sein großer Kritikpunkt: Die Wege für die Freiwilligen zu der zentralen Wache in der Nachbargemeinde seien zu weit – auch wenn ein Gutachten der Samtgemeinde ergeben hatte, dass sie sich um maximal 2,8 Kilometer verlängerten.
Doch die längere Strecke führe entweder durch Tempo-20-Straßen oder über eine vielbefahrene Bundesstraße. „Da stehen die Autos in Richtung der Inseln Schlange“, sagt Brüning. Bis die Feuerwehrleute dann bei der Wache ankämen, sei es im Zweifel zu spät.
Gibt es nicht genügend Freiwillige, um den Brandschutz in einer Stadt oder Gemeinde sicherzustellen und die Hilfe im Notfall, sieht das niedersächsische Brandschutzgesetz vor, Einwohner zu verpflichten.
Treffen kann die Zwangsmitgliedschaft jeden, der zwischen 18 und 55 Jahre alt, gesundheitlich fit genug für den Einsatz ist und bei dem der Dienst mit dem Beruf vereinbar ist.
Die Pflichtfeuerwehr muss aufgelöst werden, wenn es wieder genügend Ehrenamtliche für eine freiwillige Feuerwehr gibt oder eine Berufsfeuerwehr gegründet wird.
Zudem habe die Wache keine Nachwuchsprobleme. Die Jugendfeuerwehr werde gut angenommen. „Aber die Eltern haben gesagt, nach Marienhafe fahren sie nicht.“ Die Samtgemeinde mache mit der Zentralisierung „alle Nachwuchsarbeit kaputt“, sagt Brüning.
Bisher gibt es in Niedersachsen keine Gemeinde, die Bürger zum Feuerwehrdienst verpflichtet. „Da gibt es auch berechtigte Sorgen, ob die Sicherheit noch gegeben ist, wenn Menschen gegen ihren Willen helfen müssen“, sagt Ernst Hemmen vom Vorstand des Landesfeuerwehrverbandes. Dass die Pflichtmitgliedschaft tatsächlich kommt, hält er aber für äußerst unwahrscheinlich.
Doch in Schleswig-Holstein gibt es bereits in List auf Sylt, Friedrichstadt und Burg in Dithmarschen Pflichtfeuerwehren, weil die Freiwilligen fehlen. Thomas Kusch, Wehrführer der Feuerwehr Burg, hat sich damit arrangiert. Seine Wache ist seit 2009 eine Pflichtfeuerwehr. Statt einfach „blind zu verpflichten“, lädt er Bürger zu Informationsabenden ein, um sie zu überzeugen. „Die, die es nicht wollen, versuchen sonst sowieso, sich mit einem Schein vom Arzt oder dem Arbeitgeber zu wehren“, sagt er. Zudem seien nicht alle Bürger gesundheitlich für den Job geeignet.
Geld bekommen die Verpflichteten nicht. „Trotzdem stehen die allermeisten dahinter“, sagt Kusch. „Das Ziel ist aber, wieder eine freiwillige Feuerwehr zu werden.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour