Landwirtschaft gegen Naturschutz: Und nebenan der Wolf
Milchbauer Steffen Hinrichs schützt seine Kälber mit speziellen Zäunen. Aber er findet auch gut, dass die EU den Abschuss von Wölfen erleichtern will.

30 Kilometer entfernt lebt ein Wolfsrudel. In Hinrichs' Landkreis Leer haben die Beutegreifer seit 2017 nach offiziellen Angaben 120 Nutztiere getötet. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis sich auch hier in Hesel, wo der Milchbauer wohnt, ein Rudel ansiedelt. „Ich bereite mich schon darauf vor, deshalb habe ich den Zaun gebaut“, sagt der 54-jährige Landwirtschaftsmeister. Seine Haut ist gebräunt von vielen Stunden Arbeit im Freien, die Haare trägt er kurz und akkurat gekämmt.
Mit dem Zaun folgt er einer Empfehlung von Naturschützern, die sich für eine ungehinderte Ausbreitung der Raubtiere einsetzen. Doch Hinrichs sagt auch: „Ich finde es gut, dass die EU es erleichtern will, Problemwölfe zu schießen.“
Darüber soll der Rat der EU-Staaten voraussichtlich am 5. Juni entscheiden. Wenn die nötige Mehrheit der Regierungen wie allgemein erwartet zustimmt, gilt die Tierart nicht mehr als „streng geschützt“, sondern nur noch als „geschützt“. Das EU-Parlament hat bereits grünes Licht gegeben. Auch dann werde der Wolf „nicht pauschal zum Abschuss freigegeben“, schreibt das Bundesumweltministerium. „Künftig könnten problematische Wölfe aber einfacher abgeschossen werden“, wenn Deutschland seine Gesetze entsprechend lockert.
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Rückschlag für den Naturschutz
Bauernverbände hoffen, dass davon die vergleichsweise tier- und umweltfreundliche Haltung vor allem von Schafen und Rindern im Freien profitiert. Schließlich nimmt der Wolfsbestand immer mehr zu, derzeit sind es schätzungsweise 2.000 Tiere. Im Jahr 2023 erreichte die Zahl der von Wölfen getöteten oder verletzten Nutztiere mit 5.727 einen neuen Rekord, wie die Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf berichtet.
Kritiker sehen in der Herabstufung einen Rückschlag für den Naturschutz. Sie empfehlen, das Vieh auf der Weide zum Beispiel durch Zäune zu schützen, statt Wölfe zu töten.
Hinrichs will aber beides: Drei Weiden hat er schon komplett mit Anti-Wolfs-Zäunen gesichert. Und er fordert, dass wirklich alle Wölfe geschossen werden, die sich nicht von Schwarzwild, sondern von Weidetieren ernähren. „Wenn die Wölfe das ihren Nachkommen lehren, ihrem Rudel, dann machen die das ja auch“, befürchtet er. Er zeigt auf einen mit Gras und Bäumen bewachsenen Wall direkt vorm Zaun. Die Wallhecke ist rund einen Meter hoch. „Die könnte der Wolf als Sprungschanze nutzen, um über den Zaun zu springen“, vermutet der Milchbauer. Die Wallhecke kann und will Hinrichs nicht beseitigen. „Sie ist wichtig für den Naturschutz, ist mit Bäumen bewachsen, sie ist ein schönes Landschaftselement.“ Er kann den Zaun auch nicht weiter entfernt aufstellen, weil er sonst zu viel kostbare Fläche verlieren würde. „Ob der Zaun jetzt wolfssicher ist? Ich bezweifle das“, sagt Hinrichs. Deshalb müssten bei Bedarf auch Jäger seine Herde schützen.
Nicht auf allen deutschen Weiden gibt es Wallhecken. Aber auf allen wächst Gras, und das ist ein Problem für den Schutz vor Wölfen. Auch bei Hinrichs’ Zaun: Viele Grashalme sind schon so lang, dass sie den untersten Elektrodraht berühren. Dann aber fällt die Spannung, sodass der Wolf nur noch einen schwächeren Schlag bekommt. Deshalb sagt Hinrichs: „Bei so einem Draht muss ich in der Weidesaison alle ein bis zwei Monate mit der Motorsense ran.“ Bisher hat er nur einen Kilometer Wolfszaun. Da gehe das noch, erzählt er. Aber wenn er seine gesamten 45 Hektar Weideland so eingezäunt hätte, würde er es nicht mehr schaffen.
Der Staat zahlt nur das Zaun-Material
„Wir sind ja ein Familienbetrieb“, sagt der Landwirt. Seine älteste Tochter sei gerade auf der Meisterschule und habe ein Kleinkind. „Meine Frau, meine Tochter und ich, wir haben ja genug andere Sachen zu tun“, rechnet Hinrichs vor. Jeden Tag treiben sie um 6 und 17 Uhr die Kühe von der Weide zum Melken in den Stall und wieder zurück. Sie müssen Mais säen, pflegen und ernten. Sie müssen Wiesen mähen, damit die Kühe genügend zu fressen haben, wenn sie im Winter im Stall leben.
Er könne es sich auch nicht leisten, Mitarbeiter für das Mähen zu bezahlen. „Das finanziert der Staat ja nicht, du kriegst nur den Zaun selbst finanziert.“ Und selbst wenn die Behörden dafür zahlen würden, glaubt Hinrichs nicht, dass er hier im dünn besiedelten Landkreis Leer überhaupt jemanden für diese Arbeit finden würde.
Allein um einen Kilometer Zaun zu bauen, musste Hinrichs nach eigenen Angaben drei Arbeiter einer Fremdfirma bezahlen. „Das hat mich 1.500 Euro gekostet.“ Er und eine Tochter hätten den ganzen Tag mitgearbeitet, für lau. Auch den Arbeitsaufwand für den Bau des Zauns subventioniert der Staat nicht.
Immerhin hat das Land Niedersachsen damals, 2022, das Material komplett bezahlt. Inzwischen übernimmt es nur noch 80 Prozent. Pro Jahr und Empfänger erlaubt die Wolfsrichtlinie des Agrarministeriums in Hannover höchstens 30.000 Euro Zuschuss. Würde Hinrichs alle seine sehr kleinen Weiden einzäunen, würde allein das Material zehnmal so viel kosten, kalkuliert er.
Kuhfladen als „Oasen der Artenvielfalt“
„Ich bin ja bereit zum Herdenschutz, aber Sie sehen ja selber, wie viel Arbeit und Unkosten mir das machen würde“, meint er. „Viele meiner Berufskollegen sagen: Wenn ich das machen soll, dann bleiben die Tiere im Stall.“ Dann fährt Hinrichs zu einer Weide mit Jungvieh. Rechts und links wachsen Bäume, Vögel zwitschern, sieben Rinder liegen entspannt in der Sonne, die anderen trotten auf uns zu. „Diese Bilder, das ist das, wofür ich lebe, wofür ich meinen Beruf mache. Diese Tiere auf der Weide zu sehen, in dieser Landschaft, das ist ja das Herrliche“, sagt der Landwirt.
Er deutet mit dem Finger auf etwas dunklere Stellen im Gras: „Da haben die Rinder geschissen.“ Die Kuhfladen seien Nistplätze für Insekten, von denen sich Schwalben ernähren. „Oasen der Artenvielfalt“ nennt Greenpeace Kuhfladen deshalb.
„Und für unsere Tiere ist es ja auch schöner, wenn sie auf die Weide kommen“, sagt Hinrichs. Dort können sie sich viel freier bewegen. Darum fordert zum Beispiel der Deutsche Tierschutzbund Weidegang für alle Rinder während der Vegetationszeit, also im Sommerhalbjahr. Er kritisiert, dass nur noch etwa 38 Prozent der Rinder auf eine Weide können. „Die übrigen 62 Prozent stehen ganzjährig im Stall, teilweise haben sie zumindest einen Außenauslauf“, so die Tierschützer.
Das liegt vor allem daran, dass Weidehaltung teurer ist. Die Belastung durch den Wolf macht sie für die Bauern noch unattraktiver. „Wenn das mit den Wölfen schlimmer wird, kommen die Kühe nur noch tagsüber nach draußen, und die anderen Rinder bleiben im Stall. Weil tagsüber hast du ja nicht so viele Übergriffe“, sagt Hinrichs. Auch bei ihm kämen dann also viele Tiere nie mehr an die frische Luft.
Strenge Abschussrichtlinien
Das würde Marie Neuwald bedauern. Sie ist Referentin für Wölfe, aber auch für Beweidung beim Naturschutzbund (Nabu). Sie zeigt viel Verständnis für Bauern wie Hinrichs. „Ich habe selbst mal eine ganze Weile den Elektrozaun eines Nabu-Beweidungspojekts in Sachsen-Anhalt freigehalten“, erzählt die Umweltschützerin. „Wir standen jeden Morgen um 7 auf der Weide. Es war ein Jahr mit sehr wüchsiger Vegetation. Irgendwie hatte man das Gefühl, man hat’s gemäht und eine Woche später könnte man es schon wieder machen.“ Es gebe noch keine ideale Lösung, um die Zäune frei von Gras zu halten – „nur aussichtsreiche Projekte“.
Neuwald fordert seit Langem, dass die Länder auch die Arbeitskosten für das Mähen und die Investitionskosten für die Zäune komplett übernehmen. Aber was den Arbeitskräftemangel angeht, ist auch sie eher ratlos. Sicher ist sich Neuwald aber, dass die Senkung des Schutzstatus des Wolfs unnötig sei. „Es wurden ja schon Problemwölfe entnommen, die Herdenschutzzäune überwunden haben“, argumentiert Neuwald. Dass Gerichte mehrere Abschussgenehmigungen kippten, liege vor allem „an juristisch schlechten Begründungen“, nicht an den Gesetzen.
Allerdings sind die Bedingungen derzeit streng: So streng, dass in den zwölf Monaten bis Ende Mai nur drei Wölfe wegen Übergriffen auf Nutztiere „entnommen“ wurden, wie das Bundesamt für Naturschutz der taz schreibt. Die EU-Entscheidung könnte dazu führen, die Anforderungen zu senken und die Zahl der Abschüsse zu steigern.
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