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Und die Tauben fliegen wieder

Was tun gegen Schwarz-Schill? Viele Fragen und erste Antworten auf der Konferenz Lichter der Großstadt

Warum eigentlich solle man nicht auch mal „das Undenkbare denken“, fragt Dirk Hauer und spricht es dann auch noch aus: „Was wäre, wenn alle sozialen Einrichtungen in Hamburg an einem Tag dicht machen würden?“ Eine spontane Antwort bekommt der Vertreter der Sozialpolitischen Opposition (Sopo) nicht, ein wenig beifälliges Gemurmel nur, aber mehr hatte Hauer auch wohl kaum erwartet. Er hatte „einen Denkanstoß“ gegeben, und das ist ja schon was, in Zeiten wie diesen.

Draußen ist es trüb und regnerisch, und drinnen im Hörsaal der Hochschule für Wirtschaft und Politik (HWP) sitzen am Sonnabend seit 10 Uhr etwa 150 Menschen, die gegen Schwarz-Schill „was tun“ möchten, und beraten darüber, was das sein könnte. Sopo, der Regenbogen, der HWP-AStA und die Gewerkschaft ver.di haben geladen zur zweiten Konferenz „Lichter der Großstadt“, und die Probleme, die es zu beratschlagen gilt, sind mannigfaltig. Arbeitszwang in der Sozialhilfe, geschlossene Heime für Jugendliche, die Säuberung der Innenstadt von Bettlern und Junkies, Sozialarbeit im Zeichen der Ökonomisierung – in Arbeitsgruppen wird diskutiert und formuliert, warum alle Anwesenden dagegen sind. Und wofür sind sie?

Für die Verteidigung von Bürgerrechten auf jeden Fall, in der Sicherheits- und Justizpolitik genauso wie in der Sozial- und Migrationspolitik, da gibt es keinen Dissenz. Und dazu braucht es „eine neue Qualität der Zusammenarbeit“, die Hauer beschwört, im „breiten Bündnis“ von politischer Linker, Gewerkschaften, Kirchen „und anderen“. Und „vielfältige Aktionen und Widerstand“, sagt Tina Rosenbusch vom Regenbogen, das sei zwar „nicht exotisch, aber wichtig“ allemal. Dafür müsse man „Plattformen nutzen“, und deshalb sollten sich auch „alle einbringen“ auf der heutigen Demonstration gegen den Bildungsabbau (siehe Seite 22).

Schön und gut, mag sich Michael Lindenberg gedacht haben, aber nicht genug. Das „Dilemma“ sei zu lösen, „wer wir sind und für wen wir sprechen“, gibt der Mitarbeiter an der Fachhochschule des Rauhen Hauses in seinem programmatischen Referat zu bedenken. Es reiche nicht „anzuklagen“: die „Ethik der gesellschaftlichen Interessenlosigkeit“, die „straflüsterne Gesellschaft“, das „Regieren über Angst und Verbrechen“.

Vielmehr müsse „unsere politische, unsere staatsbürgerliche Kompetenz genutzt“ werden, um die erforderliche öffentliche Wirkung zu erzielen. Sie würde gebraucht, sagt Lindenberg, „um Raum zu schaffen für diejenigen, die es nicht schaffen. Denn wir wollen, dass es bei uns weiterhin Räume gibt, in denen nicht der Wert eines Menschen, sondern seine Würde im Mittelpunkt steht.“ Kein Widerspruch erhebt sich im Hörsaal.

Und so wird denn einvernehmlich ein „Manifest gegen ‚Sicherheit und Ordnung‘ – für soziale Grundrechte“ angenommen, nachdem es zur „Resolution“ herabgestuft worden ist. Für eine „programmatische Plattform“ sei der Text zu wenig ausdiskutiert, hatten TeilnehmerInnen angemerkt. Aber als „Signal des Widerstands gegen Neoliberalismus, soziale Demontage und die Umverteilung von unten nach oben“, gegen die von Schwarz-Schill beförderte Ausländerfeindlichkeit und Benachteiligung von Frauen gehe das in Ordnung. Und als Arbeitsgrundlage für das Sozialforum in zwei Wochen (siehe Kasten).

Um 17.37 Uhr ist die Resolution verabschiedet, die Konferenz verstreut sich. Und der Regen hat aufgehört, in den Hecken auf dem Campus zwitschern die Amseln. Und die Tauben fliegen wieder. SVEN-MICHAEL VEIT

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