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„Und das ist gut so“

Klaus Wowereit bekennt als erster Spitzenpolitiker selbstbewusst seine Homosexualität

von JAN FEDDERSEN

Bis Sonntag kurz vor fünf Uhr nachmittags war der Mann ein No-name-Produkt. Selbst in Berlin kannte man Klaus Wowereit, seit 1999 SPD-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, nur in der politischen Elite – den Mann, der den Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) ablösen soll.

Mit einer Mischung aus Selbstbewusstsein und Machtwillen hat Wowereit die SPD an dieses Ziel geführt, doch die Krönung setzte er am Sonntag an den Schluss seiner Inthronisierungsrede auf dem SPD-Sonderparteitag. „Ich bin schwul – und das ist auch gut so“, rief er den 300 Delegierten entgegen und erhielt donnernden Applaus. „Ein Genosse, auf den man wieder stolz sein kann“, gab eine Delegierte aus Spandau zu Protokoll. „Ein Mann, der so schön aussieht wie Kennedy und Willy Brandt“, staunte glücklich eine Genossin aus Reinickendorf. Ihr Mann nickte anerkennend und äußerte das vielleicht für einen schwulen Mann irritierendste Kompliment: „Ein Kerl, der Mut hat.“

Wowereit hat nach eigener Aussage mit diesem Selbstouting nur einer „Schlammschlacht“ entgehen wollen, die ihm (und den Sozialdemokraten) durch die Springer-Presse gedroht hätte. Unabhängig davon, ob diese Befürchtung stimmt oder nicht, hat der Jurist und Politiker etwas getan, was vor ihm kein homosexueller Politiker gewagt hat: Sich durch ein freimütiges „Ja, ich bin schwul“ unangreifbar zu machen. Und obendrein das böse Stigma des Homosexuellen zu einem positiven gewendet – aus dem vermeintlichen Makel wurde durch einen unverkniffen geäußerten Satz eine positive Zuschreibung von Aufrichtigkeit und Frische.

Und das ist genau die richtige Mischung, um sich – trotz Parteibuchs als Sozialdemokrat – als Verkörperung eines Berliner Neuanfangs zu stilisieren. Trotzdem ging Wowereit kein geringes Risiko ein, als sich selbst outete. Er wird genug andere PolitikerInnen kennen, die schwul (oder lesbisch) sind und dennoch davor zurückschrecken, ebendies nicht zu verschweigen. Ende der Siebzigerjahre war es der sozialdemokratische Kanzler Helmut Schmidt, der den liberalen Koalitionspartner und dessen Forderung nach Streichung des § 175 mit den Worten abbügelte, solange er Kanzler sei, sei dies nicht zu machen.

1983 wurde der Bundeswehrgeneral Günter Kießling von Minister Manfred Wörner vom Posten enthoben. Dem Militär wurden Kontakte im so genannten Homosexuellenmilieu nachgesagt – und damit sei er in der Generalität, weil erpressbar, nicht zu halten.

Eine klassische Falle: Weil Homosexualität als absolut nichtgesellschaftsfähig galt, musste sie verschwiegen werden. Und weil sie verheimlicht werden musste, waren die Stigmatisierten tatsächlich erpressbar. Erst seit Mitte der Achtzigerjahre verlor diese Argumentation an böswilliger Plausibilität: Mit Aids, mit den ersten Christopher-Street-Umzügen verlor Homosexualität ein wenig vom Malus des Verschatteten. Zumal mit Helmut Kohl ein Kanzler regierte, der sich um die erotischen Präferenzen seiner Umgebung nicht einen Deut scherte. Nur öffentlich durfte nichts werden, das könnte bei der Wählerschaft übel aufgenommen werden.

Aber noch 1995 wurde der sächsische Innenminister Heinz Eggert geschasst, weil man ihm erotische Vorlieben für knackige Mitarbeiter nachsagte. Nicht seine (durchaus umstrittene) Politik führte also zu seinem Sturz, sondern seine vermutete nichtheterosexuelle Orientierung – auf dem Wege der Denunziation. Diesem Mechanismus hat jetzt Klaus Wowereit als erster deutscher Spitzenpolitiker ein Ende bereitet. Sein Motto: Man kann nicht etwas diffamieren, was völlig okay ist.

Das unterscheidet ihn im Übrigen von Kollegen wie Guido Westerwelle oder Ole von Beust. Der liberale Parteichef hat sich zwar in den vergangenen zwei Jahren etwas lockerer geben können, hat sich von Medien beim elegischen Spaziergang durch Venedig oder als Insasse im Big-Brother-Container beobachten lassen, aber zu offenen Worten in eigener Sache fand er nicht.

Der Hamburger CDU-Spitzenkandidat hält sich gern im Café Gnosa und der „Wunderbar“ auf. Seit Monaten kämpft er um die Gefolgschaft seiner Partei, die sich womöglich einen schneidigeren Chef wünscht. Ole von Beust lässt sich deshalb von der örtlichen Springer-Presse als kantiger und entschlossener denn je porträtieren. Vermutlich glaubt der Mann selbst noch an das Bild vom Homosexuellen als Weichei. Fatal nur, dass so Homosexuelle seit jeher ihre Selbststigmatisierung zementieren.

Je hartnäckiger versteckt-homosexuelle Politiker an dem Glauben festhalten, ihr Privates ginge niemand etwas an, desto heroischer wirken Gesten wie die Klaus Wowereits am Sonntag vor den Delegierten seiner Partei. Richtig ist ja, dass das Sexuelle immer privat ist – aber das Homosexuelle eben noch nicht ganz: Solange es als Kainsmal Konkurrenten und Rivalen angeheftet werden konnte, war (und bleibt) sie eine chronische öffentliche Angelegenheit.

Wowereit jedenfalls darf sich der Gunst von allerhöchster Stelle sicher sein. Gestern teilte Kanzler mit, ihn zu unterstützen. Schröder weiß immer um die Stimmung im Lande: Es muss also gut stehen um den Gleichmut Schwulen und Lesben gegenüber.

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