Unbezahlte Arbeit für Frauen: Mitgefühl nicht verschenken
In Coronazeiten wird drastisch sichtbar, wie ungleich die Geschlechter von Krisen betroffen sind – vor allem, wenn es um unbezahlte Care-Arbeit geht.
E ine der letzten verbliebenen Freuden in Zeiten der Isolation und des Social Distancing sind mit Liebe zubereitete hausgemachte Mahlzeiten. Daheim in Pennsylvania, wo ich nun seit einigen Wochen meine Wohnung nicht verlassen darf, steht mir der Sinn nach wohltuendem Essen: warmer Kartoffelstampf, herzhafte Eintöpfe, scharfe Currys mit duftendem Reis und bulgarische Schopska-Salate, bedeckt mit geriebenem Hirtenkäse.
Im Onlinechat tauschen meine Freundinnen Rezepte und Tipps für den Garten aus oder kündigen an, ihre Garderobe ausmisten oder ihre Wohnung besonders gründlich putzen zu wollen. Vor Kurzem dann, in einem virtuellen Meeting des Kuratoriums der Association of Members of the Institute for Advanced Study in Princeton, zeigte sich mir in aller Deutlichkeit, wie unterschiedlich die Geschlechter von den Auswirkungen der Coronakrise betroffen sind. Während die Männer ihrer Arbeit nachgingen, als gebe es die Pandemie nicht, schickte ein weibliches Mitglied eine Liste mit Links zu Empfehlungen, wie diejenigen mit Kindern ihren Nachwuchs zu Hause unterrichten können.
Der plötzliche Stillstand hat uns alle in eine schwierige Lage gebracht, aber wir sollten anerkennen, dass Frauen eine größere Last zu schultern haben. Als in den ersten Wochen der Pandemie nach und nach die Schulen geschlossen wurden, waren es vor allem Frauen, die verzweifelt nach Betreuungsalternativen für die Kinder Ausschau hielten oder schlicht daheim bleiben mussten. Der besondere Schutz älterer Menschen ging oft mit zusätzlicher Verantwortung ihrer Töchter und Schwiegertöchter einher.
Wenn ein Familienmitglied krank wird, übernimmt häufig eine Frau die Pflege. Diese nicht kommodifizierten Dienstleistungen wurden seit je von Frauen erbracht. Im Zuge der Corona-Pandemie ist die Nachfrage jedoch enorm gestiegen, was zu einer Verschärfung der Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern führen wird. Je länger die Lockdowns andauern, desto komplizierter dürfte die Situation für viele Frauen werden.
10,8 Billionen US-Dollar unbezahlte Arbeit geleistet
Im Januar veröffentlichte Oxfam einen Bericht, dem zufolge sich die von Frauen geleistete unbezahlte Arbeit im Jahr 2018 weltweit auf 10,8 Billionen US-Dollar belief. US-amerikanische Frauen steuerten 2018 unbezahlte Arbeit im Wert von 1,5 Billionen US-Dollar zur amerikanischen Wirtschaft bei. Deutsche Frauen subventionierten die Wirtschaft ihres Landes mit 544 Milliarden US-Dollar. Aber diese Zahlen geben nicht den wahren Wert des Beitrags von Frauen an. Oxfam hat für die Berechnung nur auf Daten aus 72 der insgesamt 195 Staaten der Welt zurückgegriffen und lediglich den Mindestlohn der jeweiligen Länder veranschlagt.
Diese Arbeit bleibt zum überwiegenden Teil unsichtbar und wird als selbstverständlich betrachtet. Freie Marktwirtschaften könnten nicht bestehen ohne unbezahlte Arbeit im Haushalt. Indem sie für diesen Segen kostenloser Care-Arbeit nicht bezahlen, erhöhen Konzerne ihre Profite auf dem Rücken jener, die als mitfühlend und besonders aufmerksam für die Bedürfnisse junger, alter und kranker Menschen gelten.
Diese kostenlose Arbeit bedeutet auch Entlastungen für Staatshaushalte: Die Streichung öffentlicher Dienstleistungen verwandelt zwangsläufig bezahlte in unbezahlte Arbeit. Angesichts enormer Schulden werden sich Staaten in der Wirtschaftskrise, die auf die Pandemie folgen wird, womöglich gezwungen sehen, die Sozialausgaben zu kürzen, indem sie Care-Arbeit in die Privatsphäre verlagern. In den USA, wo es kein nationales Gesundheitssystem und keine bundesstaatlich vorgeschriebene Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gibt, würde das besonders gravierende Folgen haben.
Seit März haben mehr als 30 Millionen US-AmerikanerInnen ihren Job verloren und Anträge auf Arbeitslosenhilfe gestellt. In dieser Zahl nicht enthalten sind etwa Selbstständige, die keinen Anspruch auf Unterstützung haben. Viele US-Bürger sind über ihren Arbeitgeber krankenversichert. In der jetzigen Notlage werden Millionen von ihnen ihre Versicherung und damit ihren Zugang zum Gesundheitssystem verlieren.
Corona-Tests sind kostenlos, die Behandlung hingegen ist es nicht. Erste Schätzungen beziffern die Kosten für die Behandlung einer an Covid-19 erkrankten Person ohne Versicherungsschutz bei einem sechstätigen Krankenhausaufenthalt mit bis zu 73.000 US-Dollar. Aus Angst vor einer derart horrenden Rechnung werden viele zu Hause bleiben, wo sie für ihre Pflege einmal mehr auf den weiteren Familienkreis, und das heißt meistens: die Frauen in der Familie, angewiesen sind.
Allmählich begreifen wir, welche langfristigen Kosten die Pandemie verursachen wird. Nun werden Gelder bereitstellt, um ArbeitnehmerInnen für ihren Lohnverlust infolge der Corona-Maßnahmen zu entschädigen. Der Wert unbezahlter, weil im Haushalt geleisteter Arbeit sollte dabei nicht vergessen werden. Für den Augenblick sollten wir alle auf Nummer sicher gehen und zu Hause unsere selbst gemachten Mahlzeiten genießen.
Aber wir sollten sicherstellen, dass die Köchin nicht auch noch den Abwasch erledigen muss: Care-Arbeit ist gesellschaftlich wertvolle Arbeit. Entsprechend müssen wir sie endlich behandeln: indem wir Mütter, die ihre Kinder zu Hause unterrichten, Ehefrauen, die ihre Männer pflegen, und Töchter, die für die Großeltern sorgen, für ihre Tätigkeiten kompensieren.
Wir müssen begreifen, dass der Markt allein nicht die Lösung für unsere Probleme ist, ja, er sie sogar verschärfen kann, wie sich in den USA beobachten lässt, wo Bundesstaaten gezwungen sind, um Schutzkleidung und Beatmungsgeräte zu konkurrieren, und so die Preise nach oben treiben. Aber wir müssen auch begreifen, dass Care-Arbeit unsere Gesellschaften zusammenhält: Freundlichkeit und Mitgefühl im Familienkreis gehören zu den Dingen, die das Leben lebenswert machen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“