Unabhängigkeitsbestrebungen in Hawaii: Aloha für die Freiheit
Für Amerikaner ist Hawaii ein Urlaubsparadies. Für Bumpy Kanahele nicht: Der Indigene hat die „Nation of Hawaii“ begründet. Er ist nicht der einzige Separatist.
Politisch mag dieses Ziel in weiter Ferne liegen. Doch hier, in den Wäldern östlich von Honolulu, zwischen Hundezwingern, „Free Hawaii“-Bannern und ausgeschlachteten Autos, ist Kanaheles Wort schon Gesetz. Der 63-jährige Aktivist war früher mal Golfer. „Ich hatte schon immer Probleme mit Autoritäten“, sagt Kanahele, auch wenn er in T-Shirt und kurzer Hose eher wie ein netter Onkel aussieht, der mal eben eine Runde am Strand dreht. Doch sein Blick ist hart, seine Worte sind ernst: „Wir leben in einem besetzten Land – einem Land, in dem unser Volk ausgelöscht wird.“
Den meisten US-Amerikanern ist diese Sichtweise fremd. Sie kennen Hawaii als Urlaubsziel und Sehnsuchtsort, als Paradies aus Palmen, Surferwellen und ewigem Sonnenschein. Auch strategisch spielt die 4.000 Kilometer vom Festland entfernte Inselgruppe eine wichtige Rolle. Tausende amerikanische Soldaten sind auf Hawaii stationiert. Im Marinehafen Pearl Harbor liegt die US-Pazifikflotte vor Anker – 1941 das Ziel eines verheerenden japanischen Flugzeugangriffs, heute ein Symbol für amerikanischen Patriotismus, Durchhaltewillen und Opferbereitschaft im Namen des Vaterlandes.
Doch manche Ureinwohner wie Kanahele haben einen anderen Blickwinkel. Für sie sind US-Amerikaner vor allem Eindringlinge, die Militärbasen bauen, Munitionsreste im Meer versenken und Hawaii zur Zielscheibe machen, sollte der Konflikt mit Nordkorea eskalieren. „Alles, was die Amerikaner machen, ist Steuern erheben und den Kapitalismus vorantreiben“, schimpft Kanahele. Schnell fügt er hinzu: „Wir sind nicht antiamerikanisch. Wir sind einfach nicht amerikanisch.“
Erst seit 1959 Bundesstaat der USA
Tatsächlich gibt es erstaunlich viele Gemeinsamkeiten zwischen den „Natives“ auf Hawaii und den Native Americans auf dem Festland. Der weiße Mann brachte ihnen vor allem eins: Ärger. Angefangen mit dem britischen Seefahrer James Cook, der die Gastfreundschaft der Insulaner derart strapazierte, dass er am Ende gelyncht wurde. Gefolgt vom Sturz der hawaiianischen Königsfamilie 1893 durch amerikanische Plantagenbesitzer bis hin zur unrühmlichen Annexion des Landes – ein Unrecht, für das sich US-Präsident Bill Clinton Jahrzehnte später entschuldigte. Erst seit 1959 ist Hawaii der 50. Bundesstaat der USA.
Bumpy Kanahele, „Nation of Hawaii“
Die meisten Hawaiianer haben sich mit ihrer Geschichte inzwischen arrangiert. Nicht so Bumpy Kanahele. Und diese Sturheit zahlt sich offenbar aus. Das 20 Hektar große Gelände, auf dem seine „Nation“ liegt, stellt die hawaiianische Landesregierung als Pacht zur Verfügung. „Die Cops lassen uns in Ruhe“, sagt Kanahele, „weil sie wissen, dass wir etwas Gutes tun.“ Zur Bestätigung zeigt er auf zwei große Familienzelte, in denen sich Camping-Möbel und Matratzen stapeln. „Hier leben Obdachlose, die vorher am Strand gezeltet haben. Wir haben sie aufgenommen, weil sie Bürger unserer Nation sind. Und es werden nicht die Letzten sein.“
Noch aber ist die „Nation“ überschaubar. Bis jetzt wohnen nur etwa 80 Personen auf dem Gelände. Auch das Staatsoberhaupt wohnt ein paar Häuser die Straße hinunter. „Aber wir haben Großes vor“, sagt Kanahele. Eine eigene Schule, ein eigenes Krankenhaus, eine eigene Bank. Derzeit erstreckt sich die medizinische Versorgung jedoch auf ein Gewächshaus voller Cannabis, das die Bewohner „als Naturheilmittel“ einsetzen. „Damit haben wir sogar schon Krebs geheilt“, behauptet Kanahele, der insgesamt viele Dinge spirituell oder traditionell erklärt. So auch seine eigene Regierung. Demokratisch gewählt wurde er nämlich nicht, stattdessen ernannt per Erbrecht. „Meine Vorfahren waren Könige“, sagt Kanahele. „Ich trage das in mir.“
Im Alltag müssen die hehren Ziele allerdings manchmal zurücktreten. Die meisten Aktivisten haben Jobs außerhalb der Nation; ältere Bewohner beziehen eine staatliche Rente. „Manche sehen darin einen Widerspruch“, sagt Kanahele. „Aber das ist Quatsch. Die Regierung hat uns so lange ausgebeutet – die schuldet uns Geld, und wir sollten es nehmen.“ Überhaupt, die Widersprüche: Längst nicht alle Separatisten folgen dem gleichen Ziel wie die „Nation“. Auf Hawaii existieren unzählige Gruppen: Manche wollen die Monarchie wiederherstellen, andere eine parlamentarische Demokratie. Und wieder andere existieren nur als Facebook-Gruppen, die über kolonialistische Weiße herziehen („Haole, go home!“).
Der königstreue Hähnchengriller
Auf Kauai, der grünsten und regenreichsten Insel Hawaiis, verkauft ein älterer Herr Hähnchen am Straßenrand. Die Plakate und Fahnen neben dem Grill bewerben aber nicht nur den Imbiss. Auch die Idee eines freien Hawaii sollen sich die Kunden auf der Zunge zergehen lassen. Keohokui Kauihana, der Grillmeister, kommt gleich zur Sache. „Jeder Hawaiianer ist verpflichtet, unserer Königin zu folgen“, sagt er und verweist auf die gestürzte Monarchie von 1893. „Die meisten aber laufen den Amerikanern hinterher, obwohl sie Kriegsverbrecher sind.“
Was er dagegen tut? Protestieren und Hähnchen grillen. Und dafür keine Steuern zahlen. Eine Genehmigung für seinen Stand besitzt Kauihana nicht, jedenfalls keine offizielle. „Das Königreich hat mir eine Verkaufslizenz ausgestellt“, sagt er, „das reicht mir.“ Von anderen Gruppen wie der „Nation“ hält der 64-Jährige wenig. Die seien zu weich, zu kompromissbereit, hätten sich hinter ihren fahnenbehangenen Zäunen bequem eingerichtet. „Das sind Marionetten“, sagt Kauihana, „genau wie Trump eine Marionette der Konzerne ist.“ Die Regierung schaffe es nicht einmal, die Waffengewalt einzudämmen. „Aber uns wollen sie vorschreiben, wie wir zu leben haben.“
Mehr will der leidenschaftliche Imbissverkäufer dann doch nicht sagen. „Aber hier ist jemand, der dir alles in deiner Sprache erklärt“, sagt er und zeigt auf das Zelt neben dem Grill. Drinnen, auf einem Plastikstuhl, sitzt Susanne Gottschalk. Die 57-jährige Deutsche lebt seit über zwanzig Jahren auf Hawaii. Ursprünglich kam sie mit ihrem Ex-Mann, einem US-Soldaten, auf die Inselgruppe. Über Infoabende entdeckte sie ihr Interesse für die Unabhängigkeitsbewegung. „Für mich ist das eine Frage der Moral“, sagt Gottschalk. „Ich kann doch als Einwanderin nicht auch noch gegen die Natives arbeiten.“
Die Deutsche, die an der Seite der Indigenen kämpft
Also engagiert sie sich zusammen mit Kauihana für eine Gruppe, die sich „Lawful Hawaiian Government“ nennt, inklusive jährlicher Legislativ-Versammlung. „Die Amerikaner nehmen uns nicht ernst“, sagt Gottschalk, „aber ich glaube an unseren Erfolg. Das Völkerrecht ist auf unserer Seite.“ Natürlich sehen das nicht alle Einheimischen so, gerade wenn das lauteste Plädoyer für ein unabhängiges Hawaii von einer Zugezogenen kommt. Schon mehrfach sei sie als „fucking haole“, als bescheuerte Weiße, beschimpft worden, erzählt Gottschalk. „Dann antworte ich: Einer muss doch für eure Sache kämpfen, wenn ihr es selbst nicht tut.“
In der „Nation of Hawaii“ erzählt Bumpy Kanahele unterdessen von seinem neuesten Projekt. Um finanziell unabhängig zu werden, haben er und seine Mitstreiter eine Kryptowährung, die „Aloha Coin“, ins Leben gerufen. „Wir sind wie Wakanda“, sagt Kanahele und lacht. Wakanda ist im Kinofilm „Black Panther“ ein technologisch weit überlegener, von der Außenwelt unterschätzter afrikanischer Staat. „Vielleicht haben wir aktuell sogar Glück“, ergänzt Kanahele. „Obama hat viel geredet, aber nichts bewirkt. Aber Trump? Der ist so verrückt, dass er uns unser Land vielleicht wirklich überlässt, einfach so.“
Man mag schmunzeln über solche Sprüche. Über den Anführer, der ein Reich regiert, in dem Cannabis und Süßkartoffeln wachsen. Über den Hähnchenverkäufer, der Kunden am Grillstand missioniert. Über die Deutsche, die Einheimischen erzählen will, was das Beste für sie ist. Und doch ist die Sache ernster, als es auf den ersten Blick scheint.
Zum Abschied holt Bumpy Kanahele sein Handy hervor. Er öffnet ein Foto, das den Plenarsaal der Vereinten Nationen in New York zeigt. Als Gastredner am Mikrofon: Kanaheles Neffe Brandon, der sich an den Ausschuss für indigene Völker richtet. „Er sitzt da nicht als Amerikaner, sondern als Vertreter eines souveränen Staates“, sagt Kanahele, und seine Augen leuchten vor Stolz. Schon bald werde das auch die Mehrheit der Inselbewohner so sehen – vereint unter seiner Herrschaft, in der „Nation of Hawaii“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut