piwik no script img

Umzug bei der „Welt“Die große Völkerwanderung

Ab kommender Woche beginnt für viele „Welt“-Mitarbeiter der Umzug in den neuen Riesen-Newsroom. Das freut kaum einen. Im Gegenteil.

Die „Welt“-Redakteure müssen in den Newsroom im Erdgeschoss. Bild: dpa

BERLIN taz | Es gibt zwei Aufgaben, die fast jeder Journalist hasst: Erstens das Abtippen von Interviews, zweitens das Produzieren, also das Kürzen von Texten und Einfügen ins Layout, das Ausdenken von Bildunterschriften und Textüberschriften.

Bei Springers Welt müssen einige Kollegen nun ganz stark sein. Denn mit dem Umzug der Redaktion in den großen Newsroom im Erdgeschoss des Hochhauses werden sie tagein tagaus nichts anderes mehr tun – als produzieren. Adieu, ihr schönen eigenen Geschichten!

Die große Welt soll dann wie die kleine Welt Kompakt gezimmert werden: ein festes Team von Redakteuren schnappt sich am Nachmittag die tagsüber angefallenen Texte von welt.de und formt daraus eine Zeitung. Nur dass das bei der Kompakt die Journalistenschüler machen und bei der Welt die Erwachsenen.

„Online to Print“, heißt diese Strategie bei Springer. Die Welt fährt sie schon länger. Und nun wird sie noch ein bisschen weiter gedreht: Die gedruckte Zeitung wird dann quasi von einem ausgelagerten Ressort produziert, der Rest der Redakteure soll damit nicht mehr belästigt werden.

Anführen wird das „Team der Blattmacher“ Matthias Leonhard, der bislang für das Herstellen der Kompakt zuständig war, teilte eine Sprecherin der Welt-Gruppe mit. Zwölf Redakteure sollen diesem Team angehören. Einige haben ihrem Wechsel in diese Produktionsgruppe nur mit der Faust in der Tasche zugestimmt.

Kommende Woche beginnt der Umzug vieler Redakteurinnen und Redakteure in den riesigen Newsroom. Bis zum 10. Dezember soll die Völkerwanderung abgeschlossen sein. 100 Mitarbeiter werden dann dort Platz finden; die Entscheider am runden, weißen Produktionstisch mit kreisförmiger Lampe und acht Bildschirmen darüber (intern „das Auge“ genannt), der Rest nach Ressortzugehörigkeit an darum drapierten Tischen.

Rote Sitzgruppen

Einen festen eigenen Arbeitsplatz hat hier kaum jemand. Am Rand sind noch rote Sitzgruppen mit arg hohen Rückenlehnen drapiert, die einen an die alten Vierersitze in Regionalzügen der Deutschen Bahn erinnern, und verglaste Mini-Konferenzräume, wo sich beispielsweise Layouter, Blattmacher, Autor und CvD bei einer Großlage mal schnell zusammensetzen können. Seit Dienstag arbeiten bereits die Ressorts Foto und Infografik im neuen Großraum.

Freude kommt wohl bei nur ganz wenigen Welt-Mitarbeitern bei der Aussicht auf die Arbeit in der Ullsteinhalle auf, in der früher die „Goldene Kamera“ und diverse andere Preise verliehen wurden. Wie kann man umgeben von 99 Kolleginnen und Kollegen in Ruhe recherchieren und Interviews führen? Es gibt Mitarbeiter, die schon Strategien entwerfen, wie sie zukünftig dem Maschinenraum entfliehen können.

Darüber hinaus soll gerade ein Brief durch die Ressorts der Welt kursiert sein: Viele Mitarbeiter unterzeichneten ihn und forderten damit den Erhalt der Rückzugsräume in den oberen Stockwerken des Hauses.

Herrscht plötzlich Kampfeslust bei Springer? Erst der Redaktionsbeirat beim Hamburger Abendblatt, nun die Unterschriftenliste bei der Welt. Die Springer-Sprecherin beruhigt die Welt-Redakteure: Nur wer ausschließlich im Newsroom arbeite, habe dort seinen Arbeitsplatz. „Alle anderen Mitarbeiter werden auch einen Arbeitsplatz in den Stockwerken haben.“ Auch Welt-Chefredakteur Jan-Eric Peters sicherte seinen Mitarbeitern in einer Versammlung zu, dass sie selbst entscheiden könnten, ob sie lieber oben oder unten arbeiteten.

Aber: „Die Detail-Planungen sind noch nicht abgeschlossen“, sagt die Sprecherin, „da besteht auch kein Zeitdruck, wir sind in den Etagen ja voll eingerichtet.“ Noch zumindest – bis festgestellt wird, dass dein Arbeitsplatz doch eigentlich auch komplett in den Newsroom verlagert werden könnte. Adieu, schöner eigener Schreibtisch!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • J
    JadotA

    „Rudi Dutschke Straße“ war bestimmt der Beleidigungsgrund für den Umzug.

     

    Und auch die Nähe einer Konkurrenz mit monumentaler Penisfassade.

  • R
    reblek

    "Es gibt zwei Aufgaben, die fast jeder Journalist hasst ... das Ausdenken von Bildunterschriften und Textüberschriften." - Jetzt weiß ich endlich, warum die Bildunter- und Textüberschriften bei taz.de häufig fehlerhaft sind.