Umweltstaatssekretär über Ausstieg: „Das Atomthema ist durch“
Die Milliarden-Entschädigung für die AKW-Betreiber ist unvermeidlich, meint Jochen Flasbarth. Den Energiecharta-Vertrag will er stark verändern.
taz: Herr Flasbarth, die Bundesregierung hat sich mit den Atom-Betreibern auf eine Entschädigung von 2,4 Milliarden Euro für den Ausstieg geeinigt. Das Umweltministerium war ursprünglich nur von etwa 1 Milliarde ausgegangen. Warum wird es jetzt so viel teurer?
Jochen Flasbarth: Diese Schätzung hatten wir gemacht, bevor das Bundesverfassungsgericht im November 2020 ein neues Urteil gesprochen hatte, wonach die geplante Regelung unzureichend war. Aber im Vergleich zu den 7 Milliarden Euro, die allein Vattenfall vor dem Schiedsgericht in Washington gefordert hat, ist die Summe dann doch moderat ausgefallen. Und einen Teil des Geldes bekommt die öffentliche Hand zurück, weil die Unternehmen die Zahlung versteuern müssen.
Bisher hatte die Bundesregierung die Berechtigung des Schiedsverfahrens komplett bestritten. Nun hat man sich auch dort geeinigt. Ein bisschen Angst, zahlen zu müssen, hatten Sie also doch?
Natürlich. Wir haben zwar gute Argumente angeführt, warum Vattenfalls Forderungen unbegründet waren, aber sicher sein konnten wir natürlich nicht. Ausgangspunkt der Verhandlungen war allerdings nicht dieses Verfahren, sondern die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Es hat sich dann lediglich ergeben, dass wir dabei auch das Schiedsverfahren für erledigt erklären konnten. Es ist deutlich geworden, dass auch die Unternehmen diese Streitigkeiten hinter sich lassen wollen. Ihr Geschäftsumfeld in Deutschland ist jetzt geprägt von den Erneuerbaren. Da wollen sie mit dem Atomthema öffentlich möglichst wenig in Verbindung gebracht werden.
Jochen Flasbarth, 58, ist seit 2013 Staatssekretär im Bundesumweltministerium und dort unter anderem für das Thema Atomkraft verantwortlich. Zuvor war das SPD-Mitglied Präsident des Nabu und des Umweltbundesamts.
Vattenfalls Klage beruhte auf der Energiecharta. Wäre das nicht ein guter Anlass, diesem umstrittenen Vertrag zu kündigen, wie es viele Umweltgruppen fordern?
Nein, ich bin dagegen, aus dem Vertrag auszusteigen; schließlich profitiert Deutschland auch davon, wenn Rechtssicherheit für Unternehmen herrscht. Aber er muss grundlegend reformiert werden. Wir sind jetzt auf dem Weg in eine neue Energiewelt, auch international. Darum muss auch der Energiecharta-Vertrag Paris-kompatibel werden, er muss sich am Ziel der Klimaneutralität orientieren.
Was heißt das konkret?
Wir möchten, dass fossile Investitionen dadurch nicht mehr geschützt werden. Für Erneuerbare brauchen wir dagegen mehr Rechtssicherheit.
Und wenn es dafür keine Mehrheit gibt?
Das wird nicht von heute auf morgen zu erreichen sein. Aber für uns ist klar: Wenn er sich nicht an den Zielen des Pariser Klimaabkommens orientiert, hat der Energiecharta-Vertrag keine Zukunft.
Teilweise wird behauptet, die schwarz-gelbe Laufzeitverlängerung von 2010 sei der Hauptgrund für die hohe Entschädigung. Ist dieser Vorwurf aus Ihrer Sicht berechtigt?
Nein. Union und FDP verantworten nur einen kleinen Teil der Zahlung: Einen Ausgleich von 142 Millionen Euro für Investitionen, die die Betreiber zwischen der Laufzeitverlängerung und der erneuten Verkürzung 2011 getätigt haben. Der allergrößte Teil der Zahlung, die wir jetzt leisten – 2,3 Milliarden Euro – wird dafür gezahlt, dass die Katastrophe in Fukushima die gesellschaftliche Stimmung verändert hat: Es gab einen sehr lauten Ruf, dass Deutschland schneller aus der Atomkraft aussteigt, als im Jahr 2000 von Rot-Grün festgelegt worden war.
Und wer hat ihn erhört?
Das war ein parteiübergreifender Konsens, an dem neben Union und FDP auch meine Partei und die Grünen mitgewirkt haben. Und die Linke, die sich enthalten hat, wollte einen noch schnelleren Ausstieg, der noch höhere Zahlungen zur Folge gehabt hätte. Alle diese Parteien sind gemeinsam dafür verantwortlich, dass diese Ausgleichszahlungen jetzt stattfinden müssen. Und für mich gehört es zum guten demokratischen Umgang miteinander, dass man das nicht verunklart, sondern genau so sagt.
2016 hat der Staat den Konzernen die Verantwortung für den Atommüll abgenommen. Hätte man damals nicht einen Verzicht auf die Klagen durchsetzen können?
Ich hätte mir das gewünscht. Aber die überparteiliche Kernenergie-Finanzierungskommission KfK hatte das damals leider nicht so klar gefordert, das war nicht durchsetzbar. Wenn wir damals gewusst hätten wie die Unternehmen heute wirtschaftlich dastehen, wären sie aber vermutlich nicht so günstig davongekommen.
Ist das Thema Atomkraft in Deutschland damit jetzt endgültig erledigt – oder wird es auch hierzulande angesichts der Klimakrise eine neue Debatte geben?
Für den Staat ist das Kapitel noch nicht abgeschlossen, denn der Atommüll wird uns noch viele Jahrzehnte beschäftigen. Aber davon abgesehen ist das Thema in Deutschland durch. Keine seriöse politische Kraft fordert eine Rückkehr zur Atomkraft. Und die Kostenvorteile der Energiewende sind gegenüber nuklearen Phantasien inzwischen so groß, dass die Atomkraft schon deshalb keine Chance mehr hat.
Das sieht Joe Biden anders.
Jeder hat ein Recht auf Fehleinschätzungen. Tatsache ist: Während die Erneuerbaren weltweit dynamisch wachsen und immer billiger werden, dauern Atomplanungen immer länger und werden immer teurer. Ich bin sicher, dass wir auf den wettbewerbsfähigsten Weg gesetzt haben und dass Atomkraft schon wegen ihres minimalen Anteils am Gesamtenergiemix weltweit keine Chance hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin