Jessica Reznicek steht neben einem Protestplakat

Die 40-jährige Jessica Reznicek wurde zu acht Jahre Haft verurteilt Foto: Cristina Zerr

Umweltschutz in den USA:Die Radikal-Christin

Die US-Aktivistin Jessica Reznicek ist gläubig, will die Umwelt bewahren und sabotiert eine Pipeline. Jetzt muss sie in Haft.

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8.10.2021, 15:31  Uhr

Des Moines, Iowa, 28. Juni 2021. Im Gerichtssaal ist es still. Bis auf den letzten Platz ist der Raum gefüllt – an die 50 Personen, die sich eingefunden haben, um der Urteilsverkündung von Jessica Reznicek (40) beizuwohnen. Die Staatsanwaltschaft hat Anklage wegen „Verschwörung zur Beschädigung einer Energieproduktionsanlage“ und „böswilliger Verwendung von Feuer“ erhoben. Außerdem fordert sie eine Erhöhung des Strafmaßes, da Rezniceks Taten als inländischer Terrorismus einzuordnen seien.

Es ist nicht das erste Mal, dass Jessica Reznicek vor Gericht steht. Doch dieses Mal blickt sie einer Gefängnisstrafe von bis zu 20 Jahren entgegen – und der Bezichtigung, eine „inländische Terroristin“ zu sein.

Ihr gegenüber sitzt die Richterin des United States District Court, Rebecca Goodgame Ebinger, der Staatsanwalt und ein FBI-Agent. Zahlreiche Polizisten in schusssicherer Weste befinden sich im Saal. Die Angeklagte wird aufgefordert, ihre Abschlussrede zu halten.

Jessica hat eine laute, klare Stimme. Sie erzählt von ihrer starken Verbindung zum Wasser. In ihrer Kindheit sei sie regelmäßig zum Fluss gegangen, um dort zu schwimmen und spielen. Doch das sei nun nicht mehr möglich, da die zwei Flüsse, die durch Des Moines – der Hauptstadt von Iowa – fließen, mittlerweile von den Pestiziden und Abfällen der Agrarindustrie vergiftet sind.

Aus diesen sehr persönlichen Gründen habe sie sich dazu entschlossen, gegen den Bau der Dakota Access Pipeline zu kämpfen, erklärt sie den Anwesenden. Mindestens acht Lecks – so Reznicek – hätten die Pipeline 2017 schon getroffen, wobei 20.983 Liter Rohöl in Böden und die Gewässer ausgelaufen seien. „Ich habe aus Verzweiflung heraus agiert“, erklärt sie ihre Motivation zur Sabotage.

Jessica Reznicek in ihrer Verteidigungsrede vor dem Gericht in Des Moines, Iowa

„Die Schrift lehrt uns, dass Gott am Anfang Wasser und Erde geschaffen hat, und dass es gut war“

„Indigene Tradition lehrt uns, dass Wasser Leben ist. Die Schrift lehrt uns, dass Gott am Anfang Wasser und Erde geschaffen hat, und dass es gut war.“ Mit diesen Sätzen beendet sie ihr Abschlussplädoyer. Das Urteil folgt kurz darauf: acht Jahre Bundesgefängnis, drei Jahre Bewährung und eine Geldstrafe über 3.198.512,70 US-Dollar an den Konzern Energy Transfer.

Am 24. Juli 2017, zwei Jahre vor dem Urteilsspruch. In einem verwackelten Video ist Jessica Reznicek mit ihrer Mitstreiterin Ruby Montoya, eine damals 27 Jahre alte ehemalige Grundschullehrerin, zu sehen. Sie stehen vor einer Gruppe von Jour­na­lis­t:in­nen neben einer stark befahrenen Straße. Die Rede, die sie halten, wird ihr Leben auf drastische Art verändern.

Foto vom Des Moines River mit Böschung

Zum Baden nicht geeignet: der Des Moines River Foto: Cristina Zerr

Nachdem die zwei Frauen, deren Wege sich später trennen werden, über mehrere Monate hinweg im Geheimen Sabotageaktionen an einem der umstrittensten Bauprojekte des Landes verübt haben, gehen sie an diesem Tag an die Öffentlichkeit. „Wir handelten für unsere Kinder, denn die Welt, die sie erben, erfüllt ihre Bedürfnisse nicht. Es gibt mehr als fünf größere Gewässer hier in Iowa, und aufgrund der empörenden Verantwortungslosigkeit der Konzerne ist keines davon sauber. Nachdem wir alle konventionellen Möglichkeiten ausgeschöpft hatten, einschließlich des Besuchs von öffentlichen Anhörungen, Unterschriftensammlungen, Teilnahme an zivilem Ungehorsam, Hungerstreiks, Demos, Boykotts und Besetzungen, sehen wir, dass unsere Regierung nur unzureichend auf die Forderungen der Bevölkerung hört.“

Deshalb verbrennen Jessica Reznicek und Ruby Montoya in einer Nacht im Jahr 2016 auf einer Pipeline-Baustelle in Iowa fünf Maschinen. Später ändern sie ihre Methoden. Mit einem Schweißbrenner nehmen sie die an der Oberfläche liegenden Stahlventile der Pipeline auseinander und verzögern die Fertigstellung um Wochen. „Nach dem Erfolg dieser ersten Aktion begannen wir damit, diese Taktik überall an der Pipeline anzuwenden“, sagen die beiden Frauen.

Öl-Ader Die vom Konzern Energy Transfer LP für 3,8 Milliarden US-Dollar erbaute unter­irdisch verlegte Dakota Access Pipeline ist 1.890 Kilometer lang und transportiert seit Juni 2017 täglich 570.000 Barrel Rohöl aus dem nördlichen US-Bundesstaat North Dakota in das südliche Patoka, einen Pipelineknotenpunkt in Illinois. Von dort aus kann das Öl über andere Pipelines bis an den Golf von Mexiko transportiert werden.

Baugeschichte Im Dezember 2016 ordnete der damalige US-Präsident Barack Obama einen Baustopp der Pipeline an. Kurz nach seinem Amtseintritt wurde dieser jedoch von seinem Nachfolger Donald Trump aufgehoben und das Projekt wieder aufgenommen. Im Juli 2020 urteilte ein Gericht, die Pipeline stillzulegen, bis eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden kann. Diese Anordnung zur Stilllegung wurde jedoch aufgehoben. Die Biden-Regierung gab im April 2021 bekannt, dass sie erst die vom Gericht beauftragte Inspektion abwarten will, bevor entschieden wird, ob die Pipeline weiterhin in Betrieb sein darf oder permanent abgestellt werden muss. (taz)

Aber kein Medium hätte über ihre Aktionen berichtet, der Konzern hätte andere – falsche – Gründe für die Verzögerung angeführt. Als sie bei einer Aktion bemerken, dass bereits Öl in den Rohren fließt, müssen sie sich eingestehen, dass es mit dieser Art des Widerstandes vorbei ist, und sie entscheiden sich, an die Öffentlichkeit zu treten.

Die zwei Frauen wirken an diesem Tag im Sommer 2017 klar und entschlossen, während sie abwechselnd ihren vorformulierten Text vortragen. „Wenn es etwas gibt, das wir bereuen, dann, dass wir nicht genug getan haben.“ Damit beenden sie ihre Rede und werden kurz darauf von drei Polizisten in Handschellen abgeführt.

Der Konflikt um die Pipeline

Unter dem Motto „Mni wiconi“, in der Sioux-Sprache Lakota „Wasser ist Leben“, organisiert sich 2016, angeführt von den Sioux Native Americans, eine breite Bewegung gegen den Bau der Dakota Access Pipeline. Insbesondere der Protest des Standing-Rock-Sioux-Stamms erlangt dabei nationale und internationale Aufmerksamkeit.

Diese sehen in dem Bau der Pipeline eine Bedrohung ihrer Wasservorräte, da die Leitung unter dem See Oahe verläuft, welcher in der Nähe des Reservats liegt. Auch andere Gewässer seien gefährdet, da die Pipeline an vielen Stellen Flüsse und Seen unterquert, was bei einem Unfall das Trinkwasser vieler Menschen verseuchen könnte. Zudem seien durch die Konstruktion alte Grabstätten und heilige Orte von großem kulturellem Wert bedroht. Geg­ne­r:in­nen der Pipeline sprechen von ökologischem Rassismus. Nicht nur, weil die Selbstverwaltungsrechte von indigener Bevölkerung beschnitten würden, sondern auch, weil es durch die Errichtung von sogenannten Men Camps – temporären Containerstädten für Arbeiter, die aus anderen Bundesstaaten dort hinziehen – zu Prostitution und einer Erhöhung der Gewalt an indigenen Frauen käme.

Ihre Regierung – der Sioux Tribe ist eine souveräne Nation – veröffentlicht schon 2015 eine Resolution, in der es heißt, dass die Pipeline ein „ernstzunehmendes Risiko für das Überleben unseres Stammes ist und wertvolle kulturelle Ressourcen zerstören würde“. Der Bau würde zudem einen Vertrag brechen, der ihnen die „ungestörte Nutzung und Bewohnung“ des Landes garantiere. Doch die Argumente bleiben ungehört.

Zwei junge Männer, Alex und Monty sitzen lachend am Tisch

Jessica Rezniceks Unterstützer Alex und Monty im christlichen Berrigan-House Foto: Cristina Zerr

Die Betreiberfirma erklärt, die Pipeline würde die Umwelt nicht schädigen, die Rechte der Indigenen nicht berühren und bedeute auch keine Gefahr für die Trinkwasserversorgung. Doch der Protest, der sich über mehrere Staaten entlang der Pipeline erstreckt, entwickelt sich zu einer der größten Umweltbewegungen der USA. Native Americans aus unterschiedlichen Nationen und Reservaten schließen sich an, dazu Landeigentümer:innen, Umweltorganisationen und links-autonome Bewegungen.

Als Jessica Reznicek vor sechs Jahren wegen ihres Protests gegen einen Waffenlieferanten des US-Militärs in Omaha, Nebraska, nach einem zweimonatigen Aufenthalt aus dem Gefängnis entlassen wird, hörte sie zum ersten Mal von der Pipeline. Eine Aktivistin ist aus Standing Rock gekommen, um Menschen für den Protest zu mobilisieren: „Ich entschloss mich, dass ich mehr über indigene Zeremonien lernen wollte, da ich verstand, dass ich als weiße Person nicht einfach dort hingehen und meine Forderungen stellen kann. Außerdem wollte ich mich darauf konzentrieren, das Pipelineprojekt zu stoppen. So fuhr ich in den Norden nach Standing Rock.“

Bei den radikalen Ka­tho­li­k:in­nen

Eine Straße am Rand von Des Moines, einer Stadt, die Sitz zahlreicher Versicherungsgesellschaften ist. Große Bäume ragen weit über die hölzernen Reihenhäuser und spenden Schatten an diesem heißen Tag im Juli.

Über der Veranda eines der Häuser hängt ein kleines Schild mit der Aufschrift „Catholic Worker House“. Vor dem hinteren Teil des Gebäudes stehen Tische und Bänke, auf denen vereinzelt Menschen sitzen. Musik läuft, dazu wird gesungen, jemand liegt auf der Bank und schläft.

In der Küche des Hauses steht Jessica Reznicek vor dem Herd und hantiert mit fünf Hühnerbrüsten, die sie von den Knochen befreit. Daneben steht ein großer Topf mit Kartoffelpüree, in den sie großzügig Butter verteilt. „Unsere Gäste lieben Butter.“ Reznicek lacht. Die Küche schaut aus, als wären dort schon viele Mahlzeiten gekocht worden. Hier kleben Plakate mit Antikriegsbotschaften und Protestsprüchen. Auf dem Fenstersims vor Reznicek steht eine Bischofsstatue mit umgehängtem Rosenkranz.

Zweimal wöchentlich kocht Jessica Reznicek für die obdachlosen Gäste, die hierherkommen. Normalerweise wird gemeinsam im Wohnzimmer gegessen, doch seit dem Ausbruch der Coronapandemie wird das Essen durch das Fenster verteilt.

„Ich mag die Tage, an denen ich für die Küche verantwortlich bin. Das lenkt mich von all den Dingen ab, die bei mir los sind“, erzählt Reznicek, während sie damit beginnt, einen Berg von Geschirr abzuspülen.

Seit der Bekanntmachung ihrer Aktionen sind zwei Jahre vergangen. Vor einem Jahr zog Jessica Reznicek zurück in die Gemeinschaft und verbringt dort die Zeit im Hausarrest. Hier, wo alles begann, endet ihre lange Reise. Noch eine Woche bleibt ihr bis zum Gefängnisantritt.

Kurz vor der Essensausgabe füllen sich Küche und Wohnzimmer. Zwei Freunde von Reznicek sind da, Be­woh­ne­r:in­nen des Hauses und Freiwillige von außerhalb – gemeinsam beginnen sie, den Gästen das Essen zu servieren.

Seit zehn Jahren geht Reznicek im Haus ein und aus. Die meisten kennen ihre Geschichte: „Die, die Pipelines in die Luft gejagt hat?“, sagt Jimmy lachend. Dass sie nun bald nicht mehr da sein wird, macht viele der Be­woh­ne­r:in­nen traurig. Das Gefängnis ist der Mehrheit unter ihnen ein vertrauter Ort. Doch so lange wie Jessica Reznicek saß noch niemand hier ein.

Christentum und Anarchismus sind keine Gegensätze

Das Dingman-Haus, benannt nach einem verstorbenen Bischof in Des Moines, ist eines von vier nebeneinander stehenden Gebäuden der Catholic-Worker-Bewegung. Christentum und Anarchismus treffen hier aufeinander. In diesen selbstorganisierten, von der Kirche unabhängigen „Häusern der Gastfreundschaft“ wird im Geiste der Bergpredigt unter den Armen gelebt und gearbeitet. Die christliche Botschaft von sozialer Gerechtigkeit und Solidarität mit den Marginalisierten wird zur alltäglichen Praxis. Mit der Institution der katholischen Kirche gibt es nicht viele Überschneidungen. Im Bad, wo die obdachlosen Gäste duschen können, liegen Kondome zur freien Entnahme, trans Personen finden hier Obdach und Frauen halten Gottesdienste.

Das gegenüberliegende Berrigan-Haus – benannt nach zwei Priestern, die bekannt für ihre direkten Aktionen zivilen Ungehorsams gegen den Vietnamkrieg wurden – ist seit jeher ein Ort des Widerstands, von wo aus Aktionen geplant werden und Ak­ti­vis­t*in­nen Unterschlupf finden. Von hier aus plante Jessica Reznicek ihre Aktionen gegen die Pipeline.

Wie im Nachbarhaus, sind auch hier die Wände vollgeklebt mit Plakaten, die zum Widerstand gegen Krieg, Rassismus und Unrecht aufrufen. Es ist bunt, chaotisch und unaufgeräumt. Zu dritt sitzen Jessica Reznicek und ihre Freunde Alex (26) und Monty (28) am Tisch im Wohnzimmer. Die beiden gehören zu ihren engsten Unterstützer:innen. Gerade haben sie ein Videogespräch mit Rezniceks Anwalt geführt, um die letzten Schritte zu besprechen, bevor diese ins Gefängnis geht.

Einen Monat nachdem Jessica Reznicek zu acht Jahren Haft verurteilt worden ist, starten sie eine Kampagne mit dem Titel „Ver­tei­diger:in­nen von Wasser sind niemals Ter­rorist:in­nen“. Innerhalb kürzester Zeit sammeln sie Tausende Unterschriften. Ihr Ziel: eine Petition an Präsident Joe Biden und den Kongress, in der sie die Niederschlagung des Terrorvorwurfs fordern.

Vorbereitung auf die Haft

Die Liste der Dinge, die noch zu erledigen sind, bevor Reznicek ins Gefängnis geht, ist lang: Die elektronische Fußfessel zurückbringen, das High-School-Zeugnis abholen, das sie benötigt, damit sie im Gefängnis nicht am Unterricht teilnehmen muss. T-Shirts mit der Forderung nach ihrer Freilassung sollen bedruckt werden. Reznicek will außerdem Fotos entwickeln, die ihr Alex später ins Gefängnis schicken soll, damit sie ihre Zelle damit schmücken kann. Aber auch ihr Lieblingsmusical wollen sie noch einmal sehen, noch einmal tanzen gehen, Freun­d:in­nen einladen und feiern. Es wird viel gelacht, wenn die drei zusammenkommen.

Nach dem Treffen packt Jessica Reznicek einen Staubsauger und Putzutensilien ein und macht sich auf den Weg. Mit Erlaubnis ihres Bewährungshelfers hat sie vor einem Jahr damit begonnen, private Häuser zu reinigen. Auch in einer Pizzeria arbeitete sie hin und wieder.

Warum ist Jessica Reznicek bereit, wegen ihres Einsatzes für sauberes Wasser acht Jahre ihres Lebens im Gefängnis zu verbringen? Sie studiert Politikwissenschaft in Des Moines und ist verheiratet, als sie 2011 von der Bewegung Occupy Wallstreet erfährt. Kurz darauf entscheidet sie sich, zu den Protesten nach New York zu fahren. Das bedeutet auch das Ende ihrer Ehe. Von der US-Ostküste an beginnt sie eine Art neues Leben, immer unterwegs, auf der Suche nach ihrem Beitrag für eine gerechtere Welt.

Zweimal reist Reznicek nach Palästina und Israel, wo sie aufgrund ihres Protests für die Palästinenser abgeschoben wird. Sie besucht die Zapatistas in Mexiko und verbringt Zeit in Zentralamerika und bei der indigenen Bevölkerung Guatemalas. In Südkorea protestierte sie gegen den Bau einer US-Navy-Basis. „Ich glaube, dass all diese Erfahrungen in meinem Leben in diesem Zeitpunkt gipfelten, als ich von der Dakota Access Pipeline erfuhr.“

Ein wesentlicher Ort ihrer Politisierung war die Catholic-Worker-Gemeinschaft in Des Moines. Sie stößt auf die Organisation, nachdem sie aus New York nach Iowa zurückkommt. Dort beginnt das, was sie später als Konversion bezeichnet: eine Rückkehr zum christlichen Glauben und ihren katholischen Wurzeln.

Gleichzeit geht damit eine Radikalisierung im Einsatz gegen Unrecht einher: Jesus Christus wird in der Bewegung als Revolutionär betrachtet, der für die Entrechteten eintrat, für die Schwachen und ­Armen. Er wollte die Könige vom Thron jagen und Gerechtigkeit bringen. Und er starb am Kreuz, ohne sich dem Urteilsspruch zu widersetzen.

Auf der Flucht

Drei Monate nachdem Jessica Reznicek 2017 ihre Aktionen öffentlich gemacht hat, wird das Berrigan-Haus vom FBI umstellt. „Es war 4.30 Uhr am Morgen, sie klopften an der Tür“, erinnert sie sich. „Das Haus hat gebebt. Ich rannte nach unten und konnte durch die Fenster die FBI-Agenten mit großen Waffen und die Uniformen sehen.“

Als sie die Tür öffnet, wird das Haus von circa 50 Uniformierten gestürmt. Sie sei zu Boden geworfen und mit einer Waffe bedroht worden. „Ab diesem Zeitpunkt musste ich rennen, so schnell ich konnte. Denn ich musste einen Weg finden, mit meinem mentalen ­Zustand umzugehen, der aus den Schikanen der Sicherheitskräfte resultierte“, sagt Reznicek.

Jessica Reznicek, kurz vor Antritt ihrer achtjährigen Haftstrafe in Duluth, Minnesota

„Ich war auf der Flucht und habe mich versteckt, aber nicht nur vor der Regierung. Ich habe mich vor allem und allen versteckt“

Ein Jahr lang verbringt sie im Untergrund. Sie nennt das ihre Wanderschaft. „Ich war nicht unbedingt im Untergrund. Ich war auf der Flucht und habe mich versteckt, aber nicht nur vor der Regierung. Ich habe mich vor allem und allen versteckt.“

Als sie nach zehn Monaten in Colorado zusammenbricht, realisiert sie endlich, dass sie Hilfe benötigt. Doch diese werde nicht von Menschen oder Orten kommen, sondern von ihrer Beziehung zu Gott, so erzählt Reznicek. Nach dieser Erfahrung wird ihr klar, dass sie an einem Ort leben will, an dem sie Gott begegnen kann. Sie beschließt, in ein Benediktinerinnenkloster als Novizin einzutreten.

Der Wunsch geht nicht in Erfüllung. Reznicek wird erneut vom FBI aufgegriffen und angeklagt. Die Zeit bis zum Urteilsspruch soll sie im Hausarrest verbringen. Reznicek kehrt zurück nach Des Moines – in das Berrigan-Haus.

Die letzten vier Tage vor dem Gefängnisantritt hat Jessica Reznicek die Erlaubnis bekommen, die Schwestern in der Klostergemeinschaft in Duluth zu besuchen. Nach ihrer Haft möchte sie dort einziehen oder so nahe wie möglich beim Kloster leben, falls es nicht möglich sein sollte, dort ganz einzuziehen.

Am 11. August fahren die Benediktinerschwestern Jessica Reznicek in das vier Stunden entfernte Frauengefängnis in Wascea, Minnesota. 714 Frauen leben derzeit hinter den Mauern und Zäunen.

300 Meilen nördlich davon liegt die Stadt Bemidji, Sitz des Energiekonzerns Energy Transfer, bei dem Reznicek für den Rest ihres Lebens verschuldet sein wird. An diesem Ort wird seit einigen Jahren eine neue Pipeline mit dem Namen Line 3 gebaut. Wie bei der Dakota Access Pipeline ist auch hier die indigene Bevölkerung – der Stamm der Anishinaabe und Ojibwe – von dem Projekt am stärksten betroffen.

„Heute bin ich traurig, da ich mich von meinen Geliebten verabschieden muss. Trotzdem bin ich voller Kraft, weil ich weiß, dass ich immer noch mit Anstand zu diesem wichtigen Moment in der Geschichte gestanden habe, und es in der Tat keinen anderen Ort gibt, in dieser Zeit zu stehen.“ Mit diesen Worten verabschiedet sie sich von ihren Freund:innen.

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