Umweltschützer über Deichgegner: „Am Ende zahlt die Allgemeinheit“
Bürger gehen oft gegen neue Deiche auf die Barrikaden. Wer sie von besserem Hochwasserschutz überzeugen will, braucht geschultes Personal.
taz: Herr Lücking, immer wieder hört man, dass Bürger gegen neue Deiche oder die Ausweitung von Überschwemmungsflächen der Flüsse auf die Barrikaden gehen. Was kann man dagegen tun?
Winfried Lücking: Das muss man im Einzelfall vor Ort sehen. Zunächst wirkt es befremdlich, wenn sich Bürger gegen sinnvolle Maßnahmen wehren. Da gibt es sicher persönliche Interessen: Der eine möchte seinen Garten nicht verlieren, ein anderer will sein Feld komplett behalten, ein Dritter hofft auf Gewinn durch den Verkauf von Bauland. Aber es darf nicht sein, dass Hochwasserschutz wegen der Interessen Einzelner scheitert. Am Ende zahlt die Allgemeinheit, etwa durch Katastrophenfonds.
Fehlt den Behörden Überzeugungskraft?
Wir als Umweltverband haben es im brandenburgischen Lenzen geschafft, an der Elbe einen Anschluss an eine Alt-Aue herzurichten, und damit dem Fluss mehr Raum gegeben. Das war nicht immer leicht. Wer mit Bürgern spricht, die auch etwas zu verlieren haben, braucht geschultes Personal. Sonst ist der Widerstand nach der Diskussion oft größer als vorher.
Wo versagen die Behörden?
Es kann nicht sein, dass die Bundesländer die Aufsicht über ihre Kommunen nicht wahrnehmen, so dass mancherorts immer noch Baugebiete in Flussauen ausgewiesen werden. Außerdem ist ein bundesweites Flusskonzept nötig; derzeit kämpfen die Länder zu oft für sich.
ist Leiter der Abteilung Gewässerpolitik in der Bundesgeschäftsstelle des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschlands (BUND). Seit Jahren setzt er sich für die Verbesserung der Flusslandschaften in Deutschland ein.
Mehrere Jahrhunderhochwasser in wenigen Jahren: Was muss jetzt getan werden?
Zunächst steht die Erkenntnis: Der technische Hochwasserschutz ist gescheitert – mehr und höhere Deiche, besseres Talsperrenmanagement reichen nicht. Wir brauchen einen ökologischen Hochwasserschutz.
Was heißt das?
Die Flüsse brauchen wieder mehr Platz. Dann steigen im Hochwasserfall die Pegel nicht so schnell, und das Wasser kann langsamer abfließen. Dafür brauchen wir mehr Retentionsflächen; zudem müssen trockengelegte Moore wieder vernässt werden, weil diese Wasser speichern.
Und damit weniger Wasser in die Flüsse gelangt, brauchen wir mehr Misch- statt Nadelwälder und weniger intensive Landwirtschaft, weil so die Böden mehr Wasser aufnehmen können. Zudem müssen wir die Flächenversiegelung stoppen. Zu guter Letzt brauchen wir einen wirksamen Klimaschutz, damit es künftig weniger und weniger heftige Starkregenfälle bei uns gibt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nachtcafé für Obdachlose
Störende Armut
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus