Umweltexperte zu Nordstream2: „Entweder Pipeline oder Klimaziele“
Als Brücken-Rohstoff für den Kohle- und Ölausstieg ist Erdgas nicht geeignet, sagt DUH-Geschäftsführer Sascha Müller-Kraenner.
Herr Müller-Kraenner, die Gaspipieline Nordstream2 kann jetzt fertig gebaut werden und in Betrieb gehen. Gefährdet das die Klimaziele der EU?
Ja, natürlich, die Leitung ist das größte fossile Energieprojekt der EU. Dort soll jährlich Gas fließen, das 97 Millionen Tonnen CO2 entspricht – das sind derzeit 13 Prozent der deutschen Emissionen. Die Frage ist, ob Deutschland und die EU ihre Klimaziele erreichen – oder ob sie die Pipeline bauen und nutzen wollen. Beides geht nicht, denn Erdgas ist viel schädlicher für das Klima, als bislang angenommen. Vor allem bei der Erdgas-Förderung entstehen viele Treibhausgas-Emissionen. Es gibt Daten aus den USA und dem Gas aus Fracking, nachdem dessen Klimabilanz schlechter ist als die von Steinkohle. Aus Russland liegen uns nur Daten des Gaskonzerns Gazprom vor – die sind wenig aussagekräftig.
Das heißt, Erdgas ist als Brücken-Rohstoff für den Kohle-, Öl- und Atomausstieg nicht geeignet?
Nein, ist er nicht. Wir können zwar nicht über Nacht aussteigen, aber die Konzepte und Technologien für einen mittelfristigen Ausstieg sind da.
Wofür brauchen wir Gas noch?
In Deutschland spielt Erdgas bei der Wärmebereitstellung eine ganz große Rolle. Hier müssen wir in den nächsten Jahren große Anstrengungen unternehmen, um Erdgas vor allem in den Mietwohnungen der Städte zu ersetzen, hier wird es nämlich am häufigsten eingesetzt. Die Technologien dafür gibt es schon alle, man muss sie kombinieren und in die Fläche bringen. Zum Beispiel Wärmepumpen, die mit erneuerbarem Strom betrieben werden, Abwärme aus den großen Flüssen und Prozesswärme aus der Industrie. Regional gibt es große Potentiale für Geothermie, also Erdwärme, oder Solarthermie, also Wärme aus der Sonne. Mit diesem Mix gelingt uns der Ausstieg aus dem Erdgas, wenn wir ihn wollen.
Könnte man die Pipeline zu einem Teil der Energiewende machen, indem man Wasserstoff hindurchleitet?
Das ist ein Vorschlag aus der PR-Abteilung des Kreml. Nordstream 2 verbindet ein Gasfeld – übrigens mit Vorräten für 60 bis 80 Jahre – mit dem Europäischen Gasnetz. Dieses Gasfeld will Russland ausbeuten, es gibt dort überhaupt keine Bemühungen oder Konzepte, Wasserstoff herzustellen, schon gar nicht, grünen Wasserstoff. Das wenige, das in Russland produziert wird, wird mit Energie aus Atom oder Erdgas hergestellt und ist somit kein Beitrag zur Energiewende.
Sascha Müller-Kraenner ist Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH) und Experte für Klima- und Energiepolitik
Wie wahrscheinlich ist folgendes Szenario: die EU nimmt ihre Klimaziele ernst, steigt schnell aus der Gasnutzung aus – und Nordstream2 ist eine Investitionsruine?
Tja, nur dann sind die Klimaziele zu erreichen. Wenn die EU sie ernst nimmt, werden alle neuen Investitionen in fossile Energien zu Investitionsruinen. Die Gefahr ist aber, dass die Industrie, die jetzt in diese Anlagen und Projekte investiert, Widerstand gegen die Klimapolitik leisten wird, um ihr Geld zu retten. Mit Projekten wie Nordstream2 betoniert man den falschen Entwicklungspfad. Doch der schnelle Ausstieg aus den Fossilen Energien ist alternativlos.
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