Umweltexperte über CO2-Reduktion: "Brasilien hat eine Sonderrolle"
Dass das Land ein konkretes Ziel für die CO2-Reduktion ausgegeben hat, ist ein wichtiges Signal, meint Umweltexperte Thomas Fatheuer. Das Konzept sei jedoch widersprüchlich.
taz: Brasilien hat letzte Woche erstmals ein Ziel zur Emissionsreduzierung verkündet: Bis 2020 soll bis zu 39 Prozent weniger CO2 ausgestoßen werden. Was bedeutet das mit Blick auf Kopenhagen?
Thomas Fatheuer: Das ist ein wichtiges Signal, auch wenn sich die Zahl auf den Ausstoß bezieht, der zu erwarten wäre, wenn nichts passiert. Dabei sollen 70 Prozent aus vermiedener Entwaldung kommen, der Rest aus Landwirtschaft und Energiesektor. Präsident Lula kann mit geschwollener Brust nach Kopenhagen fahren und mit dem Finger auf andere zeigen.
Der Druck auf den Amazonas-Regenwald wird also geringer?
Das Ziel, die Entwaldung bis 2020 um 80 Prozent zu verringern, ist der wichtigste Teil des Vorschlags. Allerdings bleibt die Politik widersprüchlich. Die Regierung will ja die Agrotreibstoffe noch mehr fördern, das heißt mehr Zuckerrohrplantagen, die die Viehzucht in Richtung Amazonien abdrängen könnten. Außerdem werden dadurch wertvolle Ökosysteme wie die Cerrado-Savanne und das Pantanal-Sumpfgebiet bedroht.
Auch die wasserfressenden Eukalyptus-Monokulturen sollen ausgeweitet werden.
Ja, bisher stammt ein Großteil der Holzkohle bei der Eisenerzverhüttung aus Naturwäldern. Mit dem Programm "Grüner Stahl" strebt die Regierung an, das Natur- durch Plantagenholz zu ersetzen.
Ist Brasilien bei den Klimagesprächen auch so etwas wie ein Sprecher des Südens?
Nein, die Entwicklungsländer konkurrieren untereinander um die Gelder für Tropenwaldschutz oder Klimawandel-Anpassungsmaßnahmen. Außerdem hat Brasilien eine Sonderrolle: Anders als China oder Indien kann es Emissionen einsparen, ohne dass es beim Wachstum in Industrie und Landwirtschaft Abstriche machen muss. Wegen des hohen Anteils der Wasserkraft ist sein Energiemix klimapolitisch relativ "sauber". Doch die neuen Riesenstaudämme in Amazonien sind umweltpolitisch bedenklich und bedrohen indigene Völker in ihrer Existenz.
Wie reagiert die brasilianische Umweltszene auf den Vorstoß?
Die Emissionsreduzierung wird als Fortschritt gesehen. Doch in vielen Fragen ist man sich nicht einig. Große Umweltverbände arbeiten mit dem Agrobusiness zusammen und wollen die Sojamonokulturen "nachhaltiger" machen. Die Landlosenbewegung und Teile der Indianerorganisationen wehren sich gegen mehr Monokulturen.
Mit einem sogenannten REDD-System sollen die Emissionen, die bei der Entwaldung und Schädigung von Wäldern entstehen, bewertet und so in wirtschaftliche Entscheidungen einbezogen werden. Was hält man in Brasilien davon?
Da gibt es keine einheitliche Position. Das Außenministerium lehnt alle Maßnahmen ab, die es den Industrieländern im Rahmen des Emissionshandels erlauben, ihre CO2-Emissionen in Süden zu kompensieren. Das Umweltministerium ist da nicht so abgeneigt, und die Gouverneure aus der Amazonasregion setzen sich für den Emissionshandel ein, weil sie auf Projektmittel in Millionenhöhe hoffen. Auf jeden Fall möchte die Regierung, dass über REDD als Teil eines Gesamtpakets verhandelt wird, bei dem auch die Industrieländer Verpflichtungen zur Emissionsreduktion eingehen.
Bedeutet das neue Reduktionsziel, dass das Umweltministerium innerhalb der Regierung an Gewicht gewonnen hat?
Im Rahmen der Klimadebatte: ja. Lula sieht jetzt die Chance, Dinge als Klimapolitik zu verkaufen, die das Land sowieso machen will: mehr Wasserkraft und Agrosprit, mehr Baumplantagen. Eine wirkliche Änderung kann nur das Ziel bringen, die Entwaldung zu reduzieren.
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