Umweltaktivist über Hitze in Spanien: „Spanien wird weniger beliebt sein“
Hitze mache Ferien im Sommer an vielen Tagen unmöglich, sagt Javier Andaluz von Ecologistas en Acción. Die Bevölkerung werde sich im Land verlagern.
taz: Herr Andaluz, Spanien reißt Jahr für Jahr einen Hitzerekord nach dem anderen. Dieses Jahr vermeldeten die Kanarischen Inseln, bekannt für ihr mildes Klima, 44,8 Grad und eine Temperatur von 41 Grad um ein Uhr in der früh. Der Norden Spaniens erlebte Hitzewellen mit knapp unter 40 Grad. Ist das jetzt immer so?
Javier Andaluz: Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass wir die Folgen des Klimanotstands immer deutlicher zu spüren bekommen. Wir werden wohl weitere Jahre einen Rekord nach dem anderen vermelden, denn die CO2-Emissionen nehmen ja nicht ab. Und vom Augenblick des Ausstoßes bis zu den Wirkungen, die sie zeigen, vergehen rund 20 Jahre. Das heißt, auch wenn wir heute kein CO2 mehr ausstoßen würden, gingen die Temperaturen erst einmal nicht zurück. Doch nicht nur die Temperaturen sollten uns Sorgen bereiten, sondern die Wetterabweichungen, die wir im Sommer verzeichnen.
38, ist Klimaexperte der Organisation Ecologistas en Acción. Er sitzt im spanischen Klimarat, einem Beratungsgremium der Regierung.
Was meinen Sie damit?
Dieses Jahr hatten wir bereits im Mai und Juni Hitzewellen wie sonst nur im Hochsommer. Die sogenannten tropischen Nächte, also Nächte, in denen die Temperaturen nicht unter 25 Grad fallen, nehmen zu. In den 1980er Jahren waren das im Landesinnern eine Handvoll Tage im Hochsommer. Jetzt gibt es tropische Nächte mehrere Wochen lang. Hinzu kommen Starkregen, die sogenannte Gota Fría. Diese sind in Spanien normal, aber erst im Spätsommer und begrenzt auf einen schmalen Streifen entlang des Mittelmeers im Osten. Jetzt verzeichnen wir solche Regenfälle mit Hagel und Überschwemmungen immer häufiger, und das bereits im Mai. Das betroffene Gebiet weitet sich ins Landesinnere aus. Das hängt ganz direkt mit der Zunahme der Wassertemperatur im Mittelmeer zusammen.
Wie lange werden die Touristen angesichts dessen noch nach Spanien kommen?
Die Mittelmeerküsten im Süden und im Südosten Spaniens werden zunehmend unter der Hitze leiden. Mancherorts in Spanien ist es bereits jetzt unmöglich, zwischen 12 Uhr und 18 Uhr etwas außer Haus zu unternehmen. Wann sich das auf den Tourismus auswirkt, kann ich nicht vorhersagen, aber es wird sich auswirken. Die Beliebtheit Spaniens als Urlaubsziel wird aus Angst vor der Hitze und vor Unwettern zurückgehen. Da wir vor einem globalen Klimawandel stehen, werden andere Länder und Regionen, die bisher nicht so attraktiv sind, an Beliebtheit gewinnen. Zum Beispiel die Strände an der französischen Atlantikküste oder die im Süden Großbritanniens. Dort werden wir plötzlich Bedingungen vorfinden wie in Südspanien vor 20 Jahren.
Verändert sich die Klimazonen? Wir hatten im Mai und Juni fast Tag für Tag Quellwolken auf der spanischen Hochebene, die pünktlich jeden Nachmittag zu starken Gewittern führten. Rutscht Spanien in eine andere Klimazone, mehr Richtung subtropisch?
Vermutlich ist das so. Aber, um das tatsächlich bestätigen zu können, müssen wir die Entwicklungen mindestens zwei Jahrzehnte lang beobachten.
Ärzte sorgen sich weniger um die hohen Tagestemperaturen als um die heißen Nächte. Ab 30 Grad erholt sich der menschliche Körper im Schlaf nicht mehr. Ist die Hitze in Großteilen Spaniens schon bald mit dem menschlichen Leben unvereinbar?
Das hängt von der Kapazität ab, uns anzupassen. Natürlich können wir in klimatisierten Häusern leben. Die Frage ist, was mit den Ökosystemen als solchen passiert.
Die Bodentemperatur nimmt zu. Das europäische Überwachungssystem Kopernikus hat in großen Teilen Spaniens Temperaturen von 50 bis über 60 Grad gemessen. Ist das mit Landwirtschaft – einem wichtigen wirtschaftlichen Sektor – noch vereinbar?
Das, was Kopernikus zeigt – nicht nur für die Böden, sondern auch für die Temperaturen der Meere –, ist besorgniserregend. Wir sind am Limit dessen, was die meisten unserer Ökosysteme vertragen. Das große Problem in Spanien ist Versteppung und Wüstenbildung. Wenn die Durchschnittstemperatur tatsächlich um 2 Grad ansteigt, sind davon über 60 Prozent des Landes betroffen. Die hohen Bodentemperaturen lassen den Boden austrocknen. In den letzten Monaten hat es immer wieder geregnet, aber die Böden speichern das Wasser nicht, es verdampft.
Wird das zu einer Verlagerung der Bevölkerung innerhalb Spaniens führen, etwa vom Süden in den Norden?
Natürlich, es gibt viele Orte, in denen alle von der Landwirtschaft leben oder auch vom Tourismus. Brechen die beiden Branchen ein, haben die Menschen keine Perspektive mehr und müssen gehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken