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Umstrittenes Heim in Schleswig-HolsteinLand muss Friesenhof-Chefin nicht entschädigen

Nachdem die umstrittenen Mädchenheime formal zu Unrecht geschlossen wurden, wollte die Inhaberin 1,95 Millionen Euro Schadenersatz – und klagte.

Auch wenn die Gerichte die Schließung für falsch erklärten, der Kinderschutzbund fand es richtig

Die Inhaberin der früheren Friesenhof-Mädchenheime bekommt keine Entschädigung durch das Land Schleswig-Holstein. Eine entsprechende Klage wies das Landgericht Kiel am Dienstag ab. „Der Schaden lag schon vorher vor“, fasste Richter Carl-Sebastian Zoellner die Begründung zusammen. Zwar gilt die Schließung der Heime seit einem Urteil des Verwaltungsgerichts als rechtswidrig. Doch damit allein seien die Bedingungen für eine Amtshaftung nicht erfüllt. Zentral dabei: Die Firma war laut einem Gutachten schon vorher finanziell am Boden.

Die Mädchenheime mit rund 60 Plätzen in Dithmarschen waren 2015 geschlossen worden. Die Hamburger Linksfraktion hatte Vorwürfe gegen das Heim in einer schriftlichen Anfrage thematisiert. Die Heimaufsicht in Kiel nahm dies zum Anlass, das aus mehreren Häusern bestehende Heim erneut zu besuchen und mit den Bewohnerinnen zu sprechen. Als „maßgeblichen Grund“ für die kurz darauf erfolgte Schließung nannte das Sozialministerium seinerzeit das Fehlen von qualifiziertem Personal und einen Umgang mit den Jugendlichen, der nicht den vereinbarten pädagogischen Maßstäben entspreche.

Bei den kritisierten Methoden ging es zum Beispiel um nächtlichen Sport als Strafe und um stundenlanges „Aussitzen“, ebenso wurde über Zwangsmaßnahmen wie das Festgehaltenwerden am Boden berichtet und über Einschränkung der Bewegungsfreiheit. Nach einem einjährigen Untersuchungsausschuss im Kieler Landtag kam die damalige Opposition aus CDU und FDP zu dem Schluss, es sei gesichert, dass im Friesenhof „Strafsport“ systematisch als erniedrigende und demütigende Reaktion auf Fehlverhalten eingesetzt wurden.

SPD, Grüne und SSW, die die Mehrheit bildeten, erklärten hingegen, das Bild sei diffus, eine zu missbilligende Pädagogik stelle noch keine Kindeswohlgefährdung dar. Sie zitierten einen umstrittenen Gutachter, wonach die Aussagen der Mädchen, etwa, dass sie 36 Stunden lang „Aussitzen“ mussten, zu relativieren seien. Dabei sagten die Mädchen, sie hätten dabei auf die Wanduhr geguckt.

„Strafsport“ könnte kindeswohlgefährdend sein

Danach konnte die Friesenhof-Inhaberin sich Chancen ausrechnen, als sie vor Gericht zog und gegen die Entziehung der Betriebserlaubnis klagte. Das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht gab ihr 2019 recht. Die Schließung sei unnötig gewesen, denn etwaige Missstände hätten mit der Betreiberin „aufgearbeitet und beseitigt“ werden können. Es spreche zwar viel dafür, dass über Stunden dauernde und mit Bloßstellung verbundene Gruppensitzungen und „Strafsport“ kindeswohlgefährdend sein könnten, zur Zeit der Schließung hätten die aber nicht stattgefunden. Das Land versuchte eine Berufung. Doch die lehnte das Oberverwaltungsgericht ab.

Seither stritten nun Janssen-Ruff, wie die Frau heute heißt, und ihr Anwalt Trutz Graf Kerssenbrook vor dem Landgericht um Entschädigung. Im Januar kam es zur Verhandlung. Laut einem Bericht der Dithmarscher Landeszeitung erklärte die Ex-Heimchefin, sie habe damals Kaufinteressenten gehabt, die daraufhin abgesprungen seien, und nannte einen Wert von 1,95 Millionen Euro plus Zinsen. Sie ergänzte, eigentlich gehe es ihr nicht nur um Geld, sondern auch um die Wiederherstellung ihres Rufs und die Anerkennung, dass der Friesenhof gut geführt wurde.

Die Berichte über grenzverletzendes Verhalten gegenüber jungen Menschen werfen ein dunkles Licht auf die Heimerziehung jener Zeit

Erklärung des Kinderschutzbundes zum Friesenheim

Ihr Anwalt ergänzte der Zeitung zufolge, die Heimaufsicht habe den Friesenhof seit 2013 mit Auflagen überhäuft. Zusammen mit negativer Presse sei er in einen vom Land Schleswig-Holstein verschuldeten Strudel geraten. Die Erziehungsformen wären als „schwarze Pädagogik“ politisch nicht opportun gewesen. Deswegen habe das Sozialministerium daran gearbeitet, seine Mandantin zur Aufgabe zu zwingen.

Friesenhof schon vorher überschuldet

Richter Zoellner erklärte zum Urteil, es sei unstrittig, dass die Schließung rechtswidrig war. Damit eine Amtshaftung greife, müsse aber auch ein zweiter Schaden entstanden sein. Doch laut jenem Gutachten war der Friesenhof schon vorher überschuldet und zahlungsunfähig. Er zog das Beispiel eines Autounfalls heran, bei dem man sich nicht ältere Schäden bezahlen lassen kann. Zudem hätte die Inhaberin sich damals gleich im Eilverfahren gegen die Schließung wehren müssen.

Bei der Verkündung des Urteils war nur der Anwalt dabei. Der sagte: „Ich bin entsetzt.“ Ob seine Mandantin in die nächste Instanz geht, müsse er mit ihr beraten. Die sei fast 80 und arm.

Der Kinderschutzbund erklärte, auch wenn die Schließung „rechtlich möglicherweise nicht einwandfrei“ gewesen sei, bliebe die Bewertung im Bezug auf Kinderrechte eindeutig. „Die Berichte über das grenzverletzende Verhalten gegenüber jungen Menschen werfen ein dunkles Licht auf die Heimerziehung jener Zeit.“ Die Angst vor Amtshaftung ist übrigens häufig Grund, warum Heimaufsichten nicht handeln.

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