Umstrittenes Gutachten zur Energiewende: Greenpeace wirft Reiche Manipulation vor
Nach Recherchen der Organisation hat das Ministerium den Bericht in 28 Punkten geändert. Kritische Aussagen seien abgeschwächt worden.
Die Umweltorganisation Greenpeace erhebt schwere Vorwürfe gegen Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU). Sie soll Aussagen des im September vorgelegten Monitoring-Berichts so verändert haben, dass sie ihrer politischen Agenda entsprechen.
Der Hintergrund: Union und SPD haben in ihrem Koalitionsvertrag die Erstellung eines sogenannten Monitorings zum Stand der Energiewende beschlossen. Das Gutachten des Energiewirtschaftlichen Instituts der Universität Köln hat Reiche im September veröffentlicht und dazu 10 Punkte für die künftige Energiepolitik präsentiert, die sie daraus abgeleitet hat.
Karsten Smid, Greenpeace
Greenpeace hat das ursprünglich an das Ministerium geleitete Gutachten und die veröffentliche Fassung verglichen und 28 Abweichungen gefunden. „Das sind subtile inhaltliche Eingriffe, die weit über redaktionelle Veränderungen hinausgehen“, sagt Greenpeace-Energieexperte Karsten Smid. Kritische Aussagen zu Gaskraftwerken, Versorgungssicherheit, Investitionsrisiken, sozialen Kosten und regulatorischen Versäumnissen wurden der Greenpeace-Anlayse zufolge abgeschwächt oder umformuliert
So heißt es in dem Gutachten, dass die Frage der finanziellen Belastbarkeit für Endverbraucher nicht umfassend geklärt werden konnte. Das Ministerium schrieb aber in den Bericht, es sei in einigen Fällen festgestellt worden, „dass sich Kostensteigerungen ergeben können und heutige und zukünftige Energiepreise die Zahlungsbereitschaft übersteigen und damit Investitionen verzögern oder verhindern könnten“. Für Reiche war bei der Präsentation des Gutachtens und ihres 10-Punkte-Programms die Frage der Bezahlbarkeit der Energiewende zentral. Dabei hat sie auch Bezug auf das Gutachten genommen. „Sie hat sich selbst zitiert und etwas als Fazit dargestellt, das sie selbst in das Gutachten geschrieben hat“, sagt Smid. Ein weiteres Beispiel: Aus einer Grafik entfernte das Ministerium das Ausbauziel für erneuerbare Energien und änderte die Bewertung zum Zubau von Gaskraftwerken von „unwahrscheinlich“ zu „fraglich“.
Das Gutachten soll als Grundlage für die künftige energiepolitische Entscheidungen dienen, bei denen es um die Investition von vielen Milliarden Euro geht. „Es darf aber nicht als Handlungsmaßstab genommen werden“, fordert Smid. Nach seiner Auffassung zeigt es eine industrielle Interessenverflechtung. „Die Ministerin vertritt einseitig fossile Geschäftsinteressen“, sagt er.
Das Bundeswirtschaftsministerium nahm zu den Vorwürfen auf taz-Anfrage bis Redaktionsschluss keine Stellung.
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