Umstrittener Richter in Tschechien: Berühmt für einen Schauprozess
Präsident Pavel hat einen neuen Verfassungsrichter ernannt: Robert Fremr. Doch dessen Vergangenheit vor der Wende sorgt für Aufregung.
Als Präsident ist Pavel zwar Teil der Exekutive, dennoch verfügt er nicht nur über die Ernennung, sondern auch über die Auswahl von Verfassungsrichtern. Dass seine Wahl auf den 65-jährigen Fremr fiel, mag an gewissen Parallelen liegen, die beide Männer verbindet. Ähnlich wie Petr Pavel arbeitete auch Fremr nach der Wende nicht nur in Tschechien, sondern auch in internationalen Strukturen.
Pavel war zunächst Chef des Generalstabs der tschechischen Armee, bevor er als erster Vertreter eines Staats des ehemaligen Warschauer Pakts zum Vorsitzenden des NATO-Militärausschusses wurde. Robert Fremr war Richter des Obersten Gerichtshofs Tschechiens, bevor er erst zum Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda und dann zum Richter des Internationalen Strafgerichtshofs nach Den Haag berufen wurde. Das Amt hatte er von 2012 bis 2021 inne.
„Diese Nachricht muss jeden tschechischen Juristen erfreut haben, nicht nur die Völkerrechtler“, frohlockte das tschechische „Zentrum für Menschenrechte“ anlässlich Fremrs Ernennung. Die wurde in Tschechien auch deswegen bejubelt, da es im Jahr zuvor nichts aus seiner Kandidatur als Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geworden war. Wer eine solch internationale Karriere hingelegt hat, gilt im böhmisch-mährischen Kessel als erhaben.
Er habe von nichts gewusst
Fremr sei ihm von jedem Juristen empfohlen worden, begründete Pavel jetzt seine Entscheidung. Er musste sie gemäß der Verfassung gegenüber dem tschechischen Oberhaus, dem Senat, rechtfertigen. Dank Fremr, so Pavel, würde Tschechiens Dritte Gewalt „einen Spitzenrichter, reich an internationaler Erfahrung“ gewinnen.
Das Problem besteht allerdings in Fremrs Reichtum an Erfahrungen daheim. Konkret: an denen, die er als junger Richter eines totalitären Regimes gewonnen hat. Fremr soll sich besonders in politisierten Verfahren verdient gemacht haben, die unter dem Taktstock der kommunistischen Staatssicherheit (StB) liefen. Bekannt sind 172 Fälle, in denen Fremr „Republikflüchtige“ in Abwesenheit verurteilte. Das bedeutete für sie unter anderem eine vollkommene Enteignung sämtlicher Hinterlassenschaften.
Berühmtheit erlangt hat Fremr jedoch wegen eines Schauprozesses, in dem er als vorsitzender Richter den völlig unschuldigen Alexander Eret wegen Grabschändung zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilte. Eret wurde zum Opfer dieses konstruierten Prozesses der tschechoslowakischen Staatssicherheit, weil seine Haare zu lang waren und sein Vater, sudetendeutscher Herkunft, emigriert war. Bevor die Samtrevolution ihn knapp zwei Jahre später befreite, habe die Haft ihm das Leben zerstört, sagt Alexander Eret bis heute.
Viele empfinden Totalität als Normalität
Fremrs Ausflüchte, er habe ja von nichts gewusst, entgegnete Eret, der in Wien lebt, mit einem offenen Brief. Darin bezichtigt er den Verfassungsrichter in spe der Lüge. Fremr habe gewusst, dass die Causa gegen ihn von der StB manipuliert war. Zudem folgte der Schauprozess dem Ziel, aufkommenden Dissens mit Vandalismus gleichzusetzen, wobei ein „Emigrant“ in der Familie zum Generalverdacht wurde.
Präsident Petr Pavel verteidigt Fremrs Wahl: Als Richter des kommunistischen Regimes habe Robert Fremr geltende Gesetze angewandt und sich ihnen untergeordnet. Pavels Karriere begann als Kader im Nachrichtendienst der Tschechoslowakischen Volksarmee.
Der Streit um Richter Fremr sei ein Streit um die moralische Integrität der ganzen tschechischen Nation, fasst Senator und Ex-Präsidentschaftskandidat Marek Hilšer zusammen. Denn nicht nur Richter und Anwälte verteidigen Fremr unter Berufung auf damals geltende Gesetze, die Totalität der 1980er-Jahre empfinden viele als ihre Normalität, in der man gefälligst nicht herumstochern soll.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!