Umstrittener „Reinhalteplan“: Das ist Kieler Luft
Die Kieler Luft ist seit Jahren belastet. Nun soll ein neuer „Reinhalteplan“ endlich Abhilfe schaffen. Doch dieser Plan ist umstritten.
Vom örtlichen Naturschutzbund (Nabu) gab es postwendend ein „Mangelhaft“. „Gute Nachrichten“ hingegen verkündete Kiels Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD) in einer Videonachricht auf der Homepage der Stadt: Im Jahr 2019 sank die Stickstoffdioxid-Belastung auf dem Heuss-Ring, sie lag nur noch bei 49 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Blöd nur, dass auch dieser Wert oberhalb des Grenzwerts von 40 Mikrogramm liegt, den das Bundesumweltamt für das Schad-Gas festgelegt hat.
Seit Jahren kämpft die Stadt, die sich selbst zum „Klimanotstandsgebiet“ erklärt hat, für bessere Luft. Aber Kiel ist nicht nur durch Straßenverkehr, sondern auch durch Schiffsdiesel für Frachter und Kreuzfahrtriesen belastet.
Um die Schadstoff-Werte auf dem Theodor-Heuss-Ring zu senken, wäre ein Fahrverbot für Dieselautos der schnellste Weg. Das soll es zunächst nicht geben, so sieht es der Luftreinhalteplan vor, den Umweltminister Jan Philipp Albrecht (Grüne) vorstellte. Mit diesem Plan „können Schadstoffgrenzwerte eingehalten und ein Fahrverbot auf dem Theodor-Heuss-Ring vermieden werden“, so Albrecht. Die Stadt Kiel muss den Plan noch annehmen.
Ministerium verspricht „Maßnahmenkaskade“
Er sieht eine „zweistufige Maßnahmenkaskade“ vor, so das Umweltministerium. Unter anderem sollen Filteranlagen aufgestellt werden, die am Straßenrand stehen, Schmutzluft ansaugen und sie reinigen. Die Stadt hatte bereits Prototypen getestet – die Maßnahme war bundesweit beachtet worden. Die Kosten wurden beim ersten Test mit rund 80.000 Euro pro Gerät angegeben.
Das Land habe im Haushalt rund 500.000 Euro zur Verfügung gestellt, sagte Dennys Bornhörft (FDP). Er wie auch der umweltpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Heiner Rickers, begrüßten den Plan, Luftfilter aufzustellen. „Etwa sieben oder acht Luftfilteranlagen“ sollen aufgestellt werden, hieß es in einem Pressegespräch. Die Stadt rechnet mit Kosten von mehr als hunderttausend, aber weniger als eine Million Euro.
Straße gesperrt
Als Modell für andere Städte taugt das Verfahren aber wohl nicht. Der Nachrichtenagentur dpa sagte Oberbürgermeister Kämpfer, Kiel setze als wohl einzige Stadt in Deutschland so stark auf Luftfilteranlagen, weil hier nur ein kurzer Straßenabschnitt viel zu hohe Schadstoffwerte aufweise.
Als weitere Schritte zur Entlastung des Heuss-Rings soll eine Abfahrt zeitweilig gesperrt werden. Zudem wird sich eine geplante Großbaustelle, die während der Sommermonate einen Teil der Straße sperrt, als gut für die Luftverschmutzungswerte erweisen. Hilft das alles nichts, sind Dieselfahrverbote geplant. Sie können alle Fahrzeuge mit Dieseltechnik ganzjährig betreffen oder nur bestimmte Klassen und zeitweise.
Juristisches Damoklesschwert
„Ein Plan, der die Einhaltung der Stickstoffdioxid-Grenzwerte nur dadurch gewährleistet, dass eine Baustelle eingerichtet wird, ist das Papier nicht wert, auf dem er gedruckt wird“, sagte Hartmut Rudolphi, Leiter des Nabu Kiel. Statt sich auf – bisher kaum getestete – Filteranlagen zu verlassen, müsse die Stadt „ernsthaft die Ursachen der Luftverschmutzung bekämpfen und Farbe bekennen: Die Grenzwerte sind kurzfristig nur mit Fahrverboten einzuhalten.“ Der Nabu wünscht sich eine autofreie Innenstadt, um Luftwerte wie Lebensqualität zu verbessern.
Auch ein juristisches Damoklesschwert hängt noch über der Stadt und über dem noch zu verabschiedenden neuen Luftreinhalteplan: Die Deutsche Umwelthilfe hatte Kiel verklagt, unter anderem, weil der alte Reinhalteplan nicht fortgeschrieben wurde. Gegen den nun vorliegenden neuen Plan könnte der Verein inhaltlich angehen, sagte Kämpfer der dpa. Er sei aber zuversichtlich, dass das Konzept gerichtlich Bestand haben werde.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Forscher über Einwanderungspolitik
„Migration gilt als Verliererthema“
Abschied von der Realität
Im politischen Schnellkochtopf
US-Außenpolitik
Transatlantische Scheidung
Russlands Angriffskrieg in der Ukraine
„Wir sind nur kleine Leute“
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen