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Umstrittene Gesetzesreform vertagtWie jüdisch soll Israel sein?

Die Regierung wollte den jüdischen Charakter Israels gesetzlich verankern. Nach herber Kritik wurde die erste Lesung des Gesetzes verschoben.

Arabischstämmige Israelis bald Staatsbürger zweiter Klasse? Bild: dpa

JERUSALEM taz | Als sei das Verhältnis von Juden und Arabern noch nicht angespannt genug, treibt Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu eine Rechtsreform voran, die den jüdischen Charakter des Staates stärken soll. Die individuellen Rechte auch der Minderheiten werden, so verspricht Netanjahu, mit dem neuen Gesetz nicht beschnitten. „Doch nur das jüdische Volk hat nationale Rechte: eine Flagge, eine Hymne und das Recht eines jeden Juden, in diesen Staat einzuwandern.“

Noch sind sich Minister und Parlamentarier uneins über die Reform. Justizministerin Zipi Livni (Die Bewegung) und Finanzminister Yair Lapid (Zukunftspartei) haben am Sonntag im Verlauf einer Kabinettssitzung dagegen gestimmt. Die für diesen Mittwoch geplante erste Lesung im Parlament wurde um eine Woche verschoben.

Über eine endgültige Version ist offenbar noch nicht entschieden. Möglich ist, dass die Parlamentarier über eine abgeschwächtere Fassung zu entscheiden haben, als sie den Ministern vorlag. Einer der Diskussionspunkte ist, ob Arabisch als offizielle Landessprache neben dem Hebräischen abgeschafft werden soll. Seew Elkin (Likud), Mitinitiator der Reform, drängt zudem auf einem Paragrafen, der nahelegt, das jüdische Recht „als Quelle der Inspiration“ anzuwenden.

Ferner will der konservative Politiker die Nationalhymne sowie die jüdischen Feiertage im Grundgesetz verankern. Netanjahu, der momentan zusätzliche Kontroversen im Land eher aus dem Weg gehen würde, ordnet sich offenbar der radikaleren Mehrheit in seiner Partei unter. In wenigen Wochen stehen im Likud Wahlen des Parteivorsitzenden an.

Haaretz: „Demokratie nur für die Juden“

Vor genau vier Jahren entschied das Parlament über den Treueschwur, den jeder Neubürger Israels auf den „jüdischen und demokratischen Staat“ ablegen muss. Der Streit über die Gesetzesreform lässt sich an diesen beiden Begriffen festmachen. Der juristische Regierungsberater Jehuda Weinstein warnte davor, dass der Staat mit der Rechtsreform ein Stück an Demokratie einbüßen werde.

Von einer Rechtsreform, die „Demokratie nur für die Juden“ vorsieht, schreibt die liberale Tageszeitung Haaretz und resümiert, dass hier die Regierung „die Mehrheit alles tun lässt, was sie will, und die Minderheit ausbeutet“. Die Reform unterminiere das Grundrecht auf menschliche Würde und Freiheit, das „das Recht, nicht diskriminiert zu werden, beinhaltet“, schreibt Haaretz und urteilt weiter, dass „dieses Recht die zionistischen Ideale einer vorbildlichen egalitären und demokratischen Gesellschaft untergräbt“.

Obschon sich die Stellung des einzelnen israelischen und arabischen Bürgers formal nicht unterscheidet, hält sich der Staat mit der Reform eine Bevorzugung der jüdischen Bürger im Kollektiv offen und könnte bei der Gründung neuer Ortschaften die Religionszugehörigkeit berücksichtigen. Juden wird ferner die staatliche Zuwendung für kulturellen Aktivitäten in Aussicht gestellt, wohingegen Araber auf sich gestellt sind, ihr kulturelles Erbe lebendig zu halten.

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24 Kommentare

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  • Mit dem nationalen Getue lenkt die Regierung Netanjahu erfolgreich ab von den Themen, die Israelis im Alltag auf den Näeln brennen: Jobs, unbezahlbare Wohnungen, hohe Preise, soziale Ungleichheit, kulturelle Abschottung .....

     

    Viele jungen Israelis verlassen ihr Land um in einer weltoffeneren Umgebung zu leben.

  • Die größte Gefahr für den Bestand Israels liegt mittlerweile in Israel selber. Die Ausgrenzung bzw. Abstempelung zu Einwohnern 2. Klasse von 20% der nichtjüdischen Israelis wäre sehr unklug und würde krasse Reaktionen herausfordern. Die selbsternannte einzige Demokratie im Nahen Osten kratzt selber an diesem Status. Fatal.

  • vielleicht lockt ja diese stimme https://www.middleeastmonitor.com/blogs/politics/15457-jewish-state-law-furore-misses-the-point-israel-already-discriminates

    endlich die best friends aus der reserve?

    besonders "So yes, the new wave of far-Right legislation signals something new – but let's not forget that what we are witnessing is an intensification of racial discrimination, not its emergence" müßte doch widerspruch hervorrufen!

  • Ein neuer Trend in Israel -

    CHRISTEN WOLLEN KEINE ARABER MEHR SEIN

    Sie wollen sich als staatstreue christliche Israelis in die israelische Gesellschaft integrieren und so wie die Drusen in der israelischen Armee dienen

     

    " Immer mehr Christen wollen nicht mehr Araber genannt werden und stellen sich auf die Seite Israels. Einige haben sich deshalb zum "Forum für die Rekrutierung von Christen" zusammengeschlossen und für das kommende Jahr bereits rund 150 Christen rekrutiert – mehr als doppelt so viele wie bisher. Pater Gabriel Nadaf von der griechisch-orthodoxen Gemeinde in Nazareth unterstützt das Forum. Heute ist er auf dem Weg in die Knesset, um für die Ziele des Forums zu werben. Unterstützung findet er vor allem bei den Mitte-Rechts-Parteien"

     

    ein Hörfunkbeitrag, der auch den Gesamttext beinhaltet -

    man könnte sagen, ein "Augenöffner"!

     

    http://www.deutschlandradiokultur.de/christliche-minderheit-vater-unser-in-der-israelischen-armee.1278.de.mhtml?dram:article_id=304071

    • @Mal Mel:

      heiliges schwein!

      wie brainwashed muß eine/r sein, um das wort araber/in als beleidigung zu verstehen?!

      • @christine rölke-sommer:

        Sie haben den Unterschied zwischen Staatsangehörigkeit, Ethnie und Identität noch nicht ganz kapiert, oder?

        • @jens richter:

          um mich geht es nicht, sondern um diesen teil des von mal mel verlinkten berichts:

           

          Jennifer spricht von "uns" und "wir". Für sie ist klar, dass sie nicht Araberin ist, sondern Israelin und damit Teil dieses Landes.

           

          "Ich bin Christin und Israelin und stolz darauf."

           

          Lissy Kaufmann: "Und du würdst dich nicht als Araberin bezeichnen."

           

          "Auf keinen Fall. Das ist eine Beleidigung. Ich sehe mich nicht als Araberin."

           

          darauf bezog sich mein ausruf. vielleicht hilft Ihnen ja zum besseren verständnis http://youtu.be/pWKPRC-_oSg?list=RD35MNSW2UnlE weiter.

           

          im übrigen: wollen Sie aus griechisch-orthodox eine ethnie in Israel machen?

  • ich übernehme mal aus http://www.richardsilverstein.com/2014/11/25/israel-and-the-rise-of-judeo-fascism/ , der es aus ha'aretz hat:

    -> The first clause of this law states:

    “a. The State of Israel is the national home of the Jewish people in which it realizes its aspiration for self-determination in accordance with its cultural and historic heritage;

    b. The right to realize the national self-definition in the State of Israel is exclusive to the Jewish people;

    c. The Land of Israel is the historic homeland of the Jewish people and the place of establishment of the State of Israel.”

    It further asserts the significance of “Jewish tradition as a source of inspiration” [for] legislation, demotes Arabic from being an official language into a secondary language, and sets the “basics of liberty, justice and peace envisioned by the prophets of Israel” as a defining characteristic of the state alongside democracy.

    • @christine rölke-sommer:

      und weil es so schön ist, nehmen wir zur beflügelung des denkens

      http://www.monde-diplomatique.de/pm/2011/01/14/a0035.text.name,askQwDBXC.n,0

      und

      http://www.aljazeera.com/indepth/opinion/2011/09/201192614417586774.html

      dazu.

      der erste artikel stammt von Zeev Sternhell und hat den titel "Nation, Gemeinschaft, Glaube

      Ein Staat braucht Bürger, keine Fundamentalisten", der zweite von Sari Nusseibeh steht unter dem titel "Why Israel can't be a 'Jewish State'

      The Israeli demand to be recognised as a "Jewish state" by the Palestinians is an inherently problematic concept"

       

      und nun viel spaß beim denken!

      • @christine rölke-sommer:

        Wenn Sie keine besseren Quellen haben, spricht das schon allein für sich.

         

        Und außerdem, sollte man nicht erstmal klären, ob es sich auf dem Bild auch wirklich um wahrhaftige Muslime handelt und nicht um griechische orthodoxe Milchbauern?

        • @ben klammt:

          Ihnen ist Zeev Sternhell nicht gut genug?

  • "Der Zionismus war immer schon eine ausgesprochen dumme Reaktion auf den Antisemitismus in Europa und anderswo."

     

    Was wäre denn eine ausgesprochen kluge Reaktion auf den Antisemitismus in Europa gewesen?

    • @Leo Ari:

      Dies sollte eigentlich eine Antwort auf den Beitrag von Gottfried Scherer sein.

  • Dieses Gesetzesvorhaben ist abzulehnen. sollen sich die Israelis doch mal ein Beispiel an den Saudis, den Syrern oder den Pälästinensern nehmen, die den Juden gegenüber sehr aufgeschlossen sind und sowohl die jüdische Sprache als auch die jüdische Kultur fördern und pflegen.

    • @Franz Vege:

      Gutes Argument und das Frau Sommer es nicht widerlegt hat, würde ich als Zustimmung Ihrerseits werten :)

      • @ben klammt:

        ich schätze mal: mit diesem basic law sind die tage vorbei, in denen leutz aus Israel und den OPT in 'schland kein asyl bekamen.

        auch dem dussligsten einzelentscheider zu Syrien wird auffallen, wie ähnlich sich Israel mit diesem gesetz Syrien macht, von Saudi-Arabien nicht zu reden.

        • @christine rölke-sommer: Kommentar entfernt. Bitte beachten Sie unsere Netiquette.
    • @Franz Vege:

      bei solch einem tollen argument fragte meine mamme immer: ach ja? und wenn alle vom fernsehturm springen, dann hopst du hinterher?

  • Die Vorschläge, die heute abgelehnt wurden, stammen nicht von Netanyahu.

    Über seine Version wird erst nächste Woche abgestimmt

    und da wird Klartext gesprochen, für alle diejenigen, die meinen , sie könnten ständig am Staat Israels als der jüdischen Heimstätte herrumnagen

     

    "I hear from people who say 'Who needs this law? We've managed without it for 66 years.' And I ask: Who needed Basic Law: Human Dignity and Liberty? We managed without it for 45 years. But both are necessary. Israel is a Jewish and democratic state. There are those who would like the democratic to prevail over the Jewish and there are those who would like the Jewish to prevail over the democratic. And in the principles of the law that I will submit today both of these values are equal and both must be considered to the same degree.

     

    "This law is also needed now for another reason: There are many who are challenging Israel's character as the national state of the Jewish people. The Palestinians refuse to recognize this and there is also opposition from within. There are those – including those who deny our national rights – who would like to establish autonomy in the Galilee and the Negev. Neither do I understand those who are calling for two states for two peoples but who also oppose anchoring this in law. They are pleased to recognize a Palestinian national state but strongly oppose a Jewish national state"

     

    Das neue Gesetz ist die Antwort darauf, dass die Palästinenser nicht bereit sind, Israel als den jüdischen Staat anerkennen, während sie auf die Anerkennung ihres unabhängigen Staates drängen.

  • Der Linkhinweis von Frau Rölke-Sommer hat mich schockiert - ich habe dem Atikel nicht so recht glauben wollen, obwohl ich mich eher zu den Israelkritikern zähle. Sprachenrechte abzuschaffen scheint eine neue Spezialität von Ost-EU bis Israel zu sein. Mit einem solchen Gesetz wird die Staatsgründung, die schon durch die Einwanderungspolitik sich als spätimperialistisch geoutet hatte, weiter ihrer damaligen Berechtigung durch die Siegermächte des WKII beraubt. Der Zionismus war immer schon eine ausgesprochen dumme Reaktion auf den Antisemitismus in Europa und anderswo.