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Umstrittene Äußerungen Cohn-BenditsEingeholt von freieren Zeiten

Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle hat seine Festrede für Daniel Cohn-Bendit abgesagt. Der Grund: Äußerungen zur „Sexualität zwischen Erwachsenen und Kindern“ von 1975.

Studentenführer Daniel Cohn-Bendit (Mitte) 1974, hier mit Jean Paul-Sartre (l.) und Hans-Joachim Klein (r.). Bild: ap

KARLSRUHE dpa | Bundesverfassungsgerichts-Präsident Andreas Voßkuhle hat seine Festrede zur Verleihung des Theodor-Heuss-Preises an den Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit abgesagt. Ein Sprecher des höchsten deutschen Gerichts bestätigte am Donnerstag einen entsprechenden Bericht der Stuttgarter Nachrichten.

Grund dafür sei eine Veröffentlichung von 1975, in der sich Cohn-Bendit „in nicht unproblematischer Weise zur Sexualität zwischen Erwachsenen und Kindern“ geäußert habe. Das Bundesverfassungsgericht sei „in ganz besonderer Weise gehalten, jeden Anschein zu vermeiden, es würde solche Aussagen billigen“, so der Sprecher.

In dem Buch „Der große Basar“ aus dem Jahr 1975 thematisierte Cohn-Bendit seine Zeit in einem anti-autoritären Kindergarten der Universität Frankfurt/Main. Dabei werden auch Intimitäten zwischen ihm und kleinen Kindern beschrieben.

Diese Passagen hatten bereits 2001 für eine kurze öffentliche Debatte gesorgt. Cohn-Bendit sowie Kinder und Eltern von damals betonten jedoch, es sei zu keinem Missbrauch gekommen.

„Wir hatten eine Zeit, die so was geduldet hat“

Der heute 67-jährige Europa-Politiker bedauert aber einige Äußerungen angesichts der Missbrauchsskandale der vergangenen Jahre selbst als „unerträglich“. „Heute würde ich das so nicht mehr schreiben“, sagte Cohn-Bendit am Donnerstag der Nachrichtenagentur dpa.

Das Buch müsse aus der Zeit heraus verstanden werden: „Wir hatten eine Zeit, die so was geduldet hat.“ Erst 16 Jahre später sei das Buch skandalisiert worden. Dass das Thema nun wieder aufkomme, nehme er „philosophisch“: „So ist das Leben. Die Geschichte kann einen immer wieder einholen.“

Der 48. Theodor-Heuss-Preis wird am 20. April im Neuen Schloss in Stuttgart verliehen. Die Stiftung hält an ihrem Preisträger fest. Dem Grünen-Politiker gelinge es, „stets neue Wege in der Demokratie zu beschreiten“. Dass der Preisträger wie andere Persönlichkeiten der 68er-Generation eine umstrittene Biografie habe, sei bekannt.

Die Kuratoriums-Vorsitzende Gesine Schwan betonte aber: „Die aktuell erneut vorgebrachten Vorwürfe des Missbrauchs von Kindern hält die Stiftung für unbegründet und ehrenrührig.“

Nach Überzeugung der Stiftung hat Cohn-Bendit im damaligen Frankfurter Kinderladen „nicht aktiv und auch nicht in instrumentalisierender oder missbräuchlicher Absicht gegenüber den Kindern gehandelt“. Dies belege auch ein Brief der Eltern und Kinder aus dem „Kinderladen“. Darin weisen sie Missbrauch entschieden zurück.

Der Grünen-Politiker will der Stiftung dennoch anbieten, die Ehrung zurückzunehmen, falls ihr die Aufregung zu groß wird. „Ich würde das akzeptieren“, sagte er der dpa.

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15 Kommentare

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  • A
    Arne

    Dem Leserkommentar von and ist voll zuzustimmen, dass es erschreckend ist, dass die sogenannten 68er sich am meisten einer historischen Betrachtung ihrer Rolle verwehren.

    Sie beweisen damit wirklich, dass sie ihrer Väter Söhne sind, die nicht nur jegliches historische Reflektieren negieren, sondern, und das zeigen die Äußerungen Cohn-Bendits ganz deutlich, wenn er nur von einem Zeitgeist als Entschuldigung spricht, auch jedwedes selbstreflektorische Verhalten ablehnen.

     

    Woher diese Angst?

    Will da jemand nicht sehen, dass er auch schon lange ein Befürworter von Kriegen, Unterdrückung (Cohn-Bendit hat groß für die libiyschen Aufständler im EU-Parlament geworben, die heute Flüchtlinge misshandeln und Frauen unterdrücken) und Rasismus (Man lese die Äußerungen Cohn-Bendit zu seiner Frankfurter Beigeordnetenzeit zu Sinti und Roma.) geworden ist. Je älter Typen wie Fischer oder Cohn-bendit werden, desto trauriger müssen sie werden, dass sie entweder früher oder heute alles in ihrem Leben flasch gemacht haben. Reflektion, auch von Seiten der Grünen Partei, was ihre Vergangenheit (die insgesamt mehr gute als miese Aspekte hatte) müssen genauso gefordert werden wie sie von der LINKEN gefordert werden.

     

    Dennoch sollte Cohn-Bendit diesen Preis erhalten. Immerhin ist er nach Theodor Heuss benannt. Jemand, der deutscher Bundespräsident wurde, nachdem er 1933 den Ermächtigungsgesetzen von Hitler zugestimmt hatte und damit eins der größten Verbrechen der Geschichte auslöste. Eine sehr interessante Form vom Beschreiten „stets neue® Wege in der Demokratie". Da passt es doch wie die Faust aufs Auge, wenn dann jemand wie Cohn-Bendit mit einem solchen Preis gewürdigt wird.

  • A
    and

    er bedauert, was er GESCHRIEBEN hat? aber nicht, was er GETAN hat?

     

    "Es ist mir mehrmals passiert, dass einige Kinder meinen Hosenlatz geöffnet und angefangen haben, mich zu streicheln. Ich habe je nach den Umständen unterschiedlich reagiert, aber ihr Wunsch stellte mich vor Probleme. Ich habe sie gefragt: "Warum spielt ihr nicht untereinander, warum habt ihr mich ausgewählt und nicht andere Kinder?" Aber wenn sie darauf bestanden, habe ich sie dennoch gestreichelt.»

     

    mir persönlich ist egal, ob der kinderladen ihn in schutz nimmt. wenn jemand so etwas tut, ist das übergriffig. auch wenn die kinder das möchten. er war der erwachsene, er hatte die verantwortung.

     

    wie auch schon andere hier, finde ich auch die bemerkung, es müsse aus der zeit heraus verstanden werden, eine allzu faule ausrede, die als berechtigung für andere gruppen (nazizeit, rechte diktaturen etc.) abgelehnt werden – von cohn-bendit und von der taz. das wäre übrigens auch ein schönes argument für die vergewaltiger in indien, afrika und überall: es ist gerade die zeit, in der das noch von so vielen getan wird. und die vergewaltiger in indien haben eine größere prozentuale mehrheit in der bevölkerung als die anti-autoritären kinderläden damals in deutschland.

     

    es ist das klassische prinzip der unreflektierten und unreifen, zu denen ich cohn-bendit mindestens in dieser hinsicht auch zählen würde: sie tun genau das, was sie anderen vorwerfen. die 68er kommen genau daher, dass sie – zurecht – die vätergeneration gefragt hat, was sie damals in der nazizeit getan haben, dass sie das kritisiert haben. und die antwort der väter/elterngeneration war genau die gleiche wie die jetzt von cohn-benidt: "das verstehst du nicht, weil du (zu) jung bist. das musst du aus der zeit und den umständen heraus verstehen. ...". mit dem ungesagten aber suggerierten: "wenn du damals gelebt hättest, hättest du das gleiche getan." und damit geben sie sich selbst(herrlich) die absolution. widerlich. und zerstörerisch für unser land, wenn solche menschen in wichtigen positionen sitzen. und von anderen, wie hier von der taz, unterstützt werden.

  • A
    Arno

    ...Das Buch müsse aus der Zeit heraus verstanden werden: „Wir hatten eine Zeit, die so was geduldet hat.“... Solch eine Sichtweise duldet Cohn Bendit sicherlich nur für sich selbst und seinen 68er GlaubensbrüderInnen. Ältere Generationen und jüngere Generationen sind sicherlich ausdrücklich von dieser Sichtweise ausgeschlossen. Über die haben ausschließlich die 68er zu richten.Gute Nacht.

  • C
    C.Antonius

    Ich bin etwas jünger als die 68er, aber ich kann mich noch gut an die ambivalente Atmosphäre erinnern, in der sich die Rebellen möglichst 'endgültig' von jeglicher sexueller Repression befreien wollten. Weil sie jedoch selber als Kinder sexualfeindliche Prägungen erlebten, waren sie stärker verunsichert, als sie es zugeben wollten. Alles Sexuelle sollte offen angegangen werden, besonders kindlicher Neugier und kindlicher Sexualität sollte mit Toleranz begegnet werden. Das war in der Praxis viel schwieriger als in der Theorie, und darum geht es in diesem Fall. Dass damals auch pädophile Theoretiker auftraten - also Erwachsene, die sich Kindern sexuell aufzwangen, das Verantwortungsgefälle zwischen Kindern und Erwachsenen wegwischen wollten - ist eine traurige Geschichte, die mit den halbgaren Versuchen sexueller Befreiung nicht zu verwechseln ist.

    Ich finde es deshalb eher mutlos, wenn eine andere, jüngere Generation (Voßkuhle) im Gefühl politischer Korrektheit nicht zulässt, dass auch die wirklich freiheitliche Gesinnung eines Cohn-Bendit ihn nicht vor Unklarheiten schützen konnte, über die er erstens - offen geredet hat - und zweitens - die er heute bedauernd zur Kenntnis nimmt. Auch der Kinderladen hat ihn in Schutz genommen. Einige der obigen Kritiken sind nur hämisch - auch Vaclav Havel wurde als 'verkrachte Millionärsexistenz' beschrieben, hier soll C.B. also 'geldscheffelnd' sein.

    "Doroina" würde ich zustimmen, aber um größere Differenzierung bitten. C.B. war nicht Klaus Kinski.

  • A
    anti-autoritär

    Was für eine seltsame Stiftung verleiht denn Daniel Cohn - Bendit einen Preis für

    „stets neue Wege in der Demokratie zu beschreiten“?

     

    Wie heisst die Stiftung? Woher hat sie ihr Geld? Welche Persiónen stecken dahinter? Womöglich noch die Propaganda - Initiative "Neue Soziale Marktwirtschaf"t, oder was?

     

    Dieser nervige Cohn-Bendit mit dem stets gereckten Besserwisser - Zeigefinger hat lediglich mit Herrn Fischer zusammen die Grünen zu den damaligen "Fischer-Chören" zusammen gestaucht, zu einer neoliberalen Partei., die unsoziale und kriegstreiberische Politik macht.

     

    Neoliberale Politik ist nicht demokratisch. Sie dient nur den Interessen der finanzstarken Lobbys.

     

    Wenn es "neue Wege in der Demokratie" sein sollen, neoliberale Politik zu machen, dann hat die Stiftung was nicht mitgekriegt:

     

    Neoliberale Politik gab es schon bevor die Grünen auf den Zug aufgesprungen sind.

  • KS
    Karl Sonnenschein

    Waere es moeglich das es weniger Missbrauchsopfer gaebe wenn jeder so frei und offen wie Daniel Cohn-Bendit ueber seine sexuellen Erfahrungen berichten koennte?

  • B
    boateng

    Früher war einmal der gesunde Menschenverstand Maßstab

    für Empörung und gesellschaftliche Ächtung.

    Heute ist es die Parteizugehörigkeit.

    Was Grüne dürfen, dürfen andere noch lange nicht.

    Mir wird schlecht wenn ich daran denke wer alles schon im Parlament saß und sitzt.

  • E
    expapst

    hätt einer aus meinem laden son schweinskram veranstaltet und drüber geschrieben,hätt mir die TAZ draus nen strick gedreht,hätt ich den nicht in die verbannung geschickt

     

    als grünpolit steht der schmierige unhintervfragt durch die TAZ der fraktion der EU im europaparlament vor

     

    mein DANK und elektrosegen nach karlsruhe

  • F
    friedbert

    Warum sollen Gerichtspräsidenten als

    Preisträgerüberreicher mißbraucht werden???

     

    Gerichte haben unabhängig zu sein und neutral

    und nicht Steigbügelhalterfunktionen zu

    übernehmen.

    Was bildet sich Gesine Schwan eigentlich ein???

    Für solche Zwecke gibt es den Bundespräsidenten,

    wenn es um wichtige Auszeichnungen geht

    und sonst steckt Euch den Mist sonst wo hin.

     

    Cohn-Bendit ist ein mieser Politiker und

    die Bepreisungskultur in Deutschland

    kotzt mich an! Ein Deutschlandabschaffer

    braucht keine Auszeichnungen von uns.

  • P
    Pellkartoffel

    Die Grünen sind aus drei Bewegungen entstanden: Atomkraftgegner, Umweltschützer und Kinderficker.

    Gerade die Franktion der grünen Kinderficker wird von den heutigen Grünen gern unter den Tisch gekehrt. Wird Zeit diesen Teil der eigenen Geschichte mal aufzuarbeiten. Frau Roth, übernehmen Sie!

  • SD
    Stimme der Demokratie

    Das Buch müsse aus der Zeit heraus verstanden werden: „Wir hatten eine Zeit, die so was geduldet hat.“

     

    Genauso wie die Linke Verständnis für alles aufbringt, was in der Nazi-Zeit passiert ist. Die Zeit hat ja auch einiges geduldet, was man aus der Zeit heraus verstehen kann. Oder etwa nicht?

     

    Jedem Hitlerjungen wird nachgetragen, dass er genau das gemacht hat, was (fast) alle anderen Gleichaltrigen auch wie selbstverständlich gemacht haben. Ähm, wie alt war Cohn-Bendit zu der Zeit seiner Aussagen?

  • D
    Doroina

    Ich bin froh, dass endlich mal jemand - und noch dazu jemand so Gewichtiges wie Andreas Voßkuhle - in dieser unsäglichen Angelegenheit so klar Stellung bezieht! Danke, Herr Voßkuhle!

     

    Unerträglich und unsensibel finde ich in diesem Zusammenhang übrigens auch die Überschrift von den "freieren Zeiten"!! Diese "freieren Zeiten" haben für Tausende von Jungen und Mädchen (heute Männer und Frauen) teilweise massive sexuelle Übergriffe (Gewalt) bedeutet mit entsprechenden schwerwiegenden Folgen bis heute! Fragen Sie doch mal Pola Kinski oder Anja Röhl (um zwei prominentere Beispiele zu nennen), wie sie diese "freieren Zeiten" beurteilen!

     

    Gerade vor dem Hintergrund, dass hier noch immer vieles beschönigt und bagatellisiert wird, ist Herrn Voßkuhles Haltung (auch wenn sie schwerpunktmäßig seiner Richterrolle geschuldet ist) so wohltuend.

  • T
    tommy

    Dass Cohn-Bendit überhaupt irgendeinen Preis, dann auch noch für Förderung von Demokratie, bekommen sollte, ist ja wohl ein schlechter Witz. Wie sein Kumpel Fischer ist diese verkrachte Existenz, die ihr ganzes Leben nichts außer Politaktivismus getrieben hat, in ihrer geldscheffelnden, skrupellosen Machtgeilheit (neueste Idee: Waffen für die "demokratischen" Rebellen in Syrien) einfach nur abstoßend. Typen wie Cohn-Bendit fördern nicht die Demokratie, sie unterminieren sie!

  • EL
    Ernst Lehmann

    "Wir hatten eine Zeit, die so etwas geduldet hat". Käme diese Aussage von einem katholischen Priester, kann sich jeder halbwegs gebildete Leser der taz ausmalen, wie die Redaktion in diesem Fall getitelt hätte...

    Ausserdem hat die taz die problematischste Stelle weggelassen:

    "Es ist mir mehrmals passiert, dass einige Kinder meinen Hosenlatz geöffnet und angefangen haben, mich zu streicheln. Ich habe je nach den Umständen unterschiedlich reagiert, aber ihr Wunsch stellte mich vor Probleme. Ich habe sie gefragt: "Warum spielt ihr nicht untereinander, warum habt ihr mich ausgewählt und nicht andere Kinder?" Aber wenn sie darauf bestanden, habe ich sie dennoch gestreichelt.»

  • S
    S.K

    Er war also damals schon ein kleines Ferkel.