Umsiedlung von Palästinensern: Eine Stadt im Schatten der Offensive
Die israelische Armee führt unter dem Namen „Eiserne Wand“ eine Militäroperation in Dschenin durch. Tausende Palästinenser wurden zur Flucht gezwungen.
Seit dem 21. Januar geht die israelische Armee unter dem Operationsnamen „Eiserne Wand“ in Dschenin vor, das als Hochburg des Widerstands gegen die israelische Besatzung gilt. Dort leben rund 25.000 Menschen auf einem halben Quadratkilometer. Mittlerweile seien laut der UNO fast alle geflüchtet. Wenig später begannen ähnliche Offensiven in Tulkarm und Tammun.
„Es hat schwer geregnet an diesem Tag und wir mussten meinen Bruder im Rollstuhl durch den Schlamm tragen“, sagt Abu Salah. Mehr als eine Stunde habe die Familie für die wenigen hundert Meter aus dem Camp heraus gebraucht. „Wir warten seit 13 Tagen auf die Rückkehr, doch ein Nachbar hat mir erzählt, dass unser Haus ausgebrannt ist.“
Die Gewalt im Westjordanland eskaliert seit Jahren, mehrfach ist die Armee seit dem Hamas-Überfall vom 7. Oktober 2023 in großen Operationen in Dschenin eingedrungen. Noch nie aber so zerstörerisch wie diesmal. Der Bürgermeister von Dschenin, Mohammed Dscharrar, nannte es gegenüber dem US-Sender CNN „vergleichbar mit Gaza im Kleinen“.
Beobachter sehen die Offensive als politisch motiviert
Israels rechtsreligiöser Finanzminister Bezalel Smotrich bezeichnete die „Sicherheit im Westjordanland“ vor Kurzem als zusätzliches Kriegsziel. Beobachter sehen die Offensive als politisch motiviert, um ihn und andere Gegner der seit dem 19. Januar geltenden Waffenruhe im Gazastreifen in der Regierung zu halten.
Auch in Dschenin ist nun ständig das Surren israelischer Drohnen zu hören. Immer wieder gibt es Luftangriffe. Am Sonntag sprengten Soldaten 23 Gebäude im Camp in die Luft, Szenen, die so bisher nur im Gazastreifen und dem Libanon zu beobachten waren. Laut der UNO wurden mehr als 100 Gebäude zerstört oder beschädigt. Die Sprengungen sollen offenbar aus dem jahrzehntealten, dicht bebauten Flüchtlingslager eine übersichtlichere Kampfzone machen. Das berichtete die Zeitung Haaretz unter Berufung auf eine hochrangige Quelle. Die „Veränderung der physischen Struktur des Lagers“ lasse sich zudem auf andere Orte im Westjordanland übertragen.
In Dschenin sind laut dem Bürgermeister die Wohnungen Hunderter Familien betroffen. Manche der vertriebenen Bewohner haben genug von der Spirale der Gewalt, wie der 22-jährige Ahmed Nada. „Meine Mutter, ich und die Bewohner des Camps: Wir sind des Hin und Hers zwischen den Militanten und der Armee müde“, sagt er. Er studiere, wolle Buchhalter werden, war aber seit zwei Monaten nicht mehr in der Universität. „Vor den Israelis haben wochenlang die Sicherheitsleute der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) Razzien im Camp gemacht.“
Die Worte von Israels Verteidigungsminister Israel Katz bei einem Truppenbesuch vergangene Woche lassen kaum auf ein Ende der Gewalt hoffen: Demnach sollen israelische Soldaten auch nach Abschluss der Operation im Lager bleiben. Dort werde „nichts mehr sein, wie es einmal war“. Indes reißen Bulldozer die Straßen des Camps auf und zerstören die Wasser- und Stromversorgung, laut Armee auf der Suche nach Sprengfallen.
25 Menschen starben seit dem Beginn der Operation
25 Menschen starben allein in Dschenin seit dem Beginn der Operation, unter ihnen immer wieder auch unbeteiligte Zivilisten. Eine von ihnen ist die zweijährige Leila al-Chatib. Sie wurde am Samstagabend vor einer Woche im Dorf Schuhada nahe Dschenin durchs Fenster am Esstisch ihrer Familie erschossen, als Soldaten das Dorf stürmten. Auch zu Angriffen bewaffneter Palästinenser auf Soldaten kommt es regelmäßig. Am Dienstag stürmte ein palästinensischer Kämpfer einen Militärstützpunkt und erschoss zwei Soldaten, bevor er getötet wurde.
Einen Plan, der über militärische Härte hinausgeht, gibt es bisher nicht. Die jüngsten Vorschläge von US-Präsident Donald Trump zur Zukunft des Gazastreifens lassen aber ohnehin befürchten, dass weder die israelische noch die US-Führung die Palästinenser bei der Frage nach einer Lösung einbeziehen wollen. Dessen Vorschläge für einen US-geführten Umbau des Gazastreifens zur „Riviera des Nahen Ostens“ ohne Palästinenser sind nicht nur rechtlich problematisch, kommen sie doch einem Aufruf zur ethnischen Säuberung gleich. Sie sind auch praktisch kaum umsetzbar.
Zunächst ist eine Realisierung der Pläne des selbsternannten „Friedensstifters“ Trump ohne eine Fortsetzung des Gazakriegs kaum vorstellbar. Der Großteil der erst vor wenigen Tagen in den zerstörten Norden zurückgekehrten Palästinenser wird nicht von allein gehen.
Bisher zeigen sich zudem weder Ägypten noch Jordanien willens, als Aufnahmeländer zur Verfügung zu stehen. Angesichts ihrer Abhängigkeit von den USA in wirtschaftlicher und militärischer Hinsicht könnte Trump sie womöglich durch Druck zum Einlenken bewegen. Doch ein Einknicken hätte für beide Länder dramatische politische Folgen. Innere Unruhen in Kairo oder Amman, die seit Jahrzehnten Friedensabkommen mit Israel haben, könnten die gesamte Region destabilisieren. Auch Saudi-Arabien erteilte dem Plan noch in der Nacht eine Absage.
Viele jüdische Israelis unterstützen die Umsiedlung
Positiv aufgenommen wurden die Pläne vor allem in Israel. Offenheit für den Vorschlag kam neben rechtsextremen Siedlern auch von den Oppositionsführern Jair Lapid und Benny Gantz: Gantz begrüßte den Vorschlag als „kreativ“.
Acht von zehn jüdischen Israelis unterstützen die Umsiedlung der Palästinenser in andere Länder laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts JPPI von Montag, auch wenn nur gut 50 Prozent sie für praktikabel halten.
Zu den erwartbaren Folgen eines solchen Schritts hilft auch ein Blick in die Geschichte: Im Zuge des Krieges nach der Staatsgründung Israels im Jahr 1948 sind rund 700.000 Palästinenser aus dem heutigen Israel geflohen oder wurden vertrieben, unter anderem nach Dschenin. Frieden hat es der Region nicht gebracht.
Mitarbeit: Abed Omar Qusini
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