Umkämpfte Bundesstaaten bei US-Wahlen: Die wichtigsten Swing States
Wisconsin, Pennsylvania und Michigan waren für Jahrzehnte demokratisch dominiert. 2016 gewann plötzlich Trump. Und dieses Mal?
Am 3. November ist Wahltag in den USA. Aber es wird vor allem eine Zählnacht. Bis Montag hatten bereits weit über 90 Millionen Wahlberechtigte ihre Stimme abgegeben, das sind rund drei Viertel aller Stimmen von 2016. Ob die auch alle berücksichtigt werden, wird Gerichte beschäftigen: Insbesondere die Republikaner*innen haben heftige Zweifel an der Sauberkeit der Briefwahl gesät. Ob am 20. Januar Joe Biden ins Weiße Haus einzieht oder Donald Trump weiterregiert, darüber entscheiden dank des Wahlsystems nur wenige Staaten, sogenannte Swing States, also Staaten, in denen keine Partei klar dominiert. Wir stellen die wichtigsten vor.
Mehr Texte zur US-Wahl und den Liveticker in der Wahlnacht finden Sie auf taz.de/USA2020
Der alles entscheidende Rust Belt
Es war die Überraschung des Wahltags 2016, als Donald Trump mit Pennsylvania, Wisconsin und Michigan gleich drei Bundesstaaten aus dem früheren Industriegürtel (heute Rust Belt, Rostgürtel) im Nordosten und Mittleren Westen gewann. Dabei galten die drei Staaten nicht einmal als Swing States, also Bundesstaaten, bei denen die Umfragewerte der Präsidentschaftskandidaten bis zuletzt ungefähr gleich sind.
Wie ist die Stimmenverteilung in Florida? Wer siegt in Ohio? Aktuelle Entwicklungen zur US-Wahlnacht gibt es ab Mitternacht in unserem Liveticker.
Bis zu Trumps Sieg hatte dort seit rund 30 Jahren kein Republikaner gewonnen. Hillary Clinton galten die drei Bundesstaaten als sicherer Teil der demokratischen „Blue Wall“, uneinnehmbar für die Gegenseite. Trump gewann Pennsylvania mit 0,72, Wisconsin mit 0,87 und Michigan mit 3,6 Prozentpunkten Vorsprung.
Trumps Sieg in diesen Staaten war Ausgangspunkt der Debatte über die mutmaßlich elitäre Entwicklung der Demokratischen Partei und ihre Abkehr vom Arbeiter*innenmilieu hin zu identitätspolitischen Prioritäten der städtisch-liberalen Mittelschichten. Clintons Fauxpas, von abhängten Milieus als „group of deplorables“ („Beklagenswerte“) zu sprechen, hatte im Wahlkampf diese Auffassung verstärkt.
Entscheidend für die jetzige Wahl ist auch die Lage im benachbarten Ohio, wo seit 50 Jahren stets derjenige Kandidat siegte, der dann auch die Präsidentschaftswahl gewann. Hier stimmten Gewerkschaftsmitglieder, traditionell den Demokrat*innen verbunden, noch 2012 mit 23 Prozentpunkten Vorsprung für Obama. 2016 gewann Trump in dieser Gruppe mit 13 Prozentpunkten vor Clinton. Ähnlich war es in Wisconsin, Michigan und Pennsylvania. Trumps Versprechen, Stahl- und Kohleindustrie wieder groß zu machen, kam gut an, umgesetzt hat er das jedoch nicht. Sein Handelskrieg mit China brachte kurzfristige Belebung in die Industrie, hielt jedoch angesichts auch umgekehrt verhängter Strafzölle nicht lange an.
Die Demorakt*innen haben gelernt
2016 hatte Clinton bis zum Wahltag in den Umfragen geführt, auch in den Rust-Belt-Staaten. Auch das hatte zu der Gewissheit beigetragen, auf einen Sieg in diesen Staaten sicher zählen und sogar eine Niederlage in Florida verschmerzen zu können. Umso größer war damals der Schock – und sind heute die Zweifel. Denn auch heute führt Biden in den Umfragen in Wisconsin (+6,6 Prozentpunkte), Pennsylvania (+4,3) und Michigan (+5,1). Lediglich in Ohio liegt Trump vorne, mit 0,2 Prozentpunkten. Allerdings beteuern die Umfrageinstitute, sie hätten aus 2016 gelernt und würden heute Wähler*innen mit niedrigem Bildungsstandard, die 2016 entscheidend für Trumps Wahlsieg waren, höher bewerten.
Und auch die Demokrat*innen haben gelernt: Führte Clinton fast keinen Wahlkampf in den drei mutmaßlichen „Blue Wall“-Staaten, war Joe Biden seit September mehrfach dort unterwegs. Er selbst, in der eher armen Stadt Scranton in Pennsylvania geboren, strahlt eine andere Aura aus als Hillary Clinton.
Pennsylvania dürfte neben Ohio und Florida entscheidend werden, wenn die Wahl eng wird. Es ist gleichzeitig der Staat, bei dem schon jetzt Anwaltsteams beider Seiten über jede noch so kleine Veränderung im Wahlprozedere streiten. Trumps Ankündigung, die Legitimität von Briefwahlstimmen anzuzweifeln, kann lange Auseinandersetzungen nach sich ziehen: Rund ein Drittel der etwa 9 Millionen registrierten Wähler*innen haben Briefwahlunterlagen beantragt und die dürfen – gegen den Willen der Republikaner – nach einer jüngsten Gerichtsentscheidung auch dann noch gezählt werden, wenn sie einige Tage später eingehen. Bernd Pickert
Trumps Wackelkandidaten
Wie immer Donald Trump sich das Ende seines Wahlkampfs auch vorgestellt haben mag: Dass ausgerechnet Georgia und North Carolina zu den letzten Schauplätzen seiner Kundgebungen gehören würden, hat er noch vor wenigen Monaten wohl kaum für möglich gehalten. Die beiden Südstaaten gelten nämlich eigentlich nicht als Swing States. Seit Jahrzehnten waren sie (ziemlich) fest in der Hand der Republikaner. Aber in diesem Jahr kann sich das ändern. Und deshalb stehen sie zwar nicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit wie Florida oder Pennsylvania, können aber überraschend zu den berühmten Zünglein an der Waage werden.
In Georgia hat mit Bill Clinton zum letzten Mal 1992 ein Demokrat die meisten Stimmen bei Präsidentschaftswahlen gewonnen. Auch 1976 und 1980 gewannen die Demokraten, aber das war eigentlich ein Heimspiel: Der ehemalige Präsident Jimmy Carter ist ein Sohn des Bundesstaats. In North Carolina hat Barack Obama zwar 2008 gewonnen, aber schon 2012 war die gewohnte Ordnung wieder hergestellt, und der republikanische Herausforderer gewann. Wenn auch knapp.
Die Entwicklung hin zu möglichen Swing States ist nicht allein auf Donald Trump und Überdruss an seiner Politik zurückzuführen. In beiden Staaten ist der Zuzug von außen hoch, vor allem in Städten. Die Wirtschaft verändert sich von einer Agrargesellschaft hin zu einer, in der Produktions- und Dienstleistungssektoren eine größere Rolle spielen. Das zieht neue, andere Schichten an.
Sowohl in Georgia als auch in North Carolina bestehen übrigens gute Chancen auf demokratische Sitze im Senat. Deshalb ist nicht nur der Republikaner Trump, sondern auch demokratisches Spitzenpersonal – wie die designierte Vizepräsidentin Kamala Harris – eilig noch einmal in diese Staaten gereist. Es bleibt spannend. Bettina Gaus
Florida, der dickste Swing State
Florida und Ohio haben nur eines gemein: Sie sind die Swing States unter den Swing States. Nur zwei Mal in den letzten 60 Jahren wurde ein Kandidat Präsident, der in Florida nicht gesiegt hatte: Bill Clinton 1992 und John F. Kennedy 1960. Floridas Bevölkerung ist divers: betuchte Rentner*innen, recht dünn besiedelte ländliche Counties, große Latino-Bevölkerung in den Städten. Gerade dort ist aber das Wahlverhalten kaum vorhersehbar: In sozialen Fragen eher konservativ, treibt sie dennoch die Frage der Migrationsfeindlichkeit eher zu den Demokrat*innen.
Zahlreiche Kubaner*innen haben Obama die Annäherung an den damaligen kubanischen Präsidenten Raúl Castro 2014 nicht verziehen und wählen deshalb Trump. Andere mit mehr familiären Beziehungen auf die Insel sehen es genau andersherum. Konservative Venezolaner*innen sind eher im Trump-Lager. Puertoricaner*innen, die nach dem Hurrikan „Maria“ 2018 eingewandert sind, verurteilen Trumps Umgang mit der Insel übel und wollen Biden wählen. Die Umfragen sehen praktisch Gleichstand.
Florida ist auch Synonym für juristische Auseinandersetzungen um Wahlen: Über einen Monat dauerte es im Jahr 2000, bis zwischen dem Demokraten Al Gore und dem Republikaner George W. Bush entschieden war: per Abbruch der Nachzählung der mit fehlerhaften Wahlmaschinen verhunzten Wahlzettel durch den Obersten Gerichtshof. Bush gewann offiziell Florida mit einem Vorsprung von 537 Stimmen und zog so ins Weiße Haus ein. Bernd Pickert
Empfohlener externer Inhalt
In Texas gibt es viel zu holen
Der Ausgang der Wahl in Texas ist unsicher. Ernsthaft? Also in dem US-Bundesstaat, der wie kein anderer als Heimat reaktionärer Ölmagnaten und Großfarmer betrachtet und von riesigen Rinderherden und Baumwollfeldern geprägt wird?
Ja, ernsthaft. Auch Texas ist einer der Staaten, in denen ein Sieg der Republikaner nicht mehr als sicher gelten kann. Dabei gilt die Region seit je als Hochburg der Konservativen. Das war schon in den Gründungstagen des US-Bundesstaats so. Wenn man die sentimentalen Nebelkerzen wie den tapferen, blutigen Kampf für die Unabhängigkeit in diesem Zusammenhang mal weglässt – „Remember the Alamo!“ –, dann bleibt übrig: Texas ist 1845 den Vereinigten Staaten beigetreten, weil den Einwanderern aus Mexiko die Abschaffung der Sklaverei in ihrer alten Heimat nicht passte.
Inzwischen allerdings missfällt immer mehr Neuankömmlingen in Texas die konservative Grundrichtung ihrer neuen Heimat. Die Bevölkerung gehört zu den am schnellsten wachsenden in den USA, viele kommen aus dem liberalen Kalifornien. Der hispanische Anteil ist inzwischen fast so groß wie der weiße – Mexiko erobere sich Texas zurück, sagen Spötter.
Noch immer ist es eher unwahrscheinlich, dass Joe Biden in Texas gewinnt, zumal seine Ankündigung, sich mittelfristig vom Öl verabschieden zu wollen, dort nicht überall gut angekommen ist. Aber ausgeschlossen ist ein demokratischer Sieg hier nicht, Umfragen sagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraus. Es geht um viel: 38 Stimmen von Wahlleuten sind zu gewinnen, mehr hat nur Kalifornien zu bieten. Bettina Gaus
Buhlen um Arizonas Frauen
Kaum jemand schaut im US-Wahlkampf derzeit nach Arizona. Das könnte sich als Fehler erweisen. In Umfragen liegt Joe Biden vorn, und die Meinungsforschungsinstitute lagen dort 2016 mit ihren Prognosen besser als in vielen anderen Staaten. Allerdings ist der Vorsprung so knapp, dass eine Wette darauf riskant wäre.
Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hatten sich die Republikaner um ihre Mehrheit kaum je sorgen müssen (Ausnahme: der Wahlsieg von Bill Clinton 1996). Zwar hat sich die Struktur der Bevölkerung in Arizona besonders stark verändert. Zwischen 1990 und 2015 stieg die Zahl der Latinos von 700.000 auf 2,2 Millionen, die meisten stammten aus Mexiko. Aber viele engagieren sich politisch nicht. Ihr Bevölkerungsanteil liegt inzwischen bei rund einem Drittel, ihr Anteil an der Wählerschaft jedoch nur bei 18 Prozent. Pech für die Demokraten, die in dieser Gruppe populärer sind als die Republikaner.
Ein anderer Trend jedoch droht Donald Trump gefährlich zu werden: Bei vielen Unabhängigen – die etwa ein Drittel von Arizonas Wählerschaft stellen und 2016 noch mehrheitlich für ihn gestimmt hatten – wächst die Kritik am Präsidenten, und auch in den weißen Vorstädten verliert er an Rückhalt. Vor allem bei Frauen. „Vorstadtfrauen, könntet ihr mich bitte lieb haben?“, hatte Trump kürzlich auf einer Kundgebung in Pennsylvania gefleht und behauptet, er sei der Garant ihres Lebensstils.
In Arizona verfing die Botschaft offenbar nicht, obwohl dort Umfragen zufolge die Angst vor Kriminalität höher ist als andernorts. Donald Trump hat Vertrauen verspielt. Das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen in Arizona könnte zu einer der großen Überraschungen von 2020 werden. Bettina Gaus
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann