Umgang mit zweiter Coronawelle: Nur Mut!
Albtraumvokabeln können zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden. Was es braucht, sind aufbauende Worte und der Mut zur Differenzierung.

D er Gesundheitsminister höchstpersönlich hat Corona. Der Bundespräsident ist in Quarantäne. Die täglichen Infektionszahlen in Deutschland sind auf einem neuen Höchststand. 11.287, wow. In Berlin brennt auch noch ein Lagerhaus voller Klopapier ab, das bald beim Hamstern fehlen könnte. Uff. Alles Probleme, um die uns die meisten anderen Länder aber noch beneiden, denn bei ihnen ist die Lage schon viel schlimmer. Kurzum: Die zweite Welle ist zweifellos da, in ganz Europa. Wer ruhig und locker bleiben will, muss gute Nerven haben, Corona leugnen – oder den Nachrichtenkonsum einstellen.
Was vielleicht helfen könnte, wären aufbauende Worte von patenten Regierungsmenschen, denen man Schutz und Tatkraft zutraut. Als besonders kräftig gilt weiter Markus Söder, doch was tut der zweifellos fleißige, aber auch besserwisserische Bayer, der gern das Berliner Feiervolk und andere Laschis belehrt?
Söder sagt, er wolle „keine Endzeitstimmung propagieren“ – und schürt sie genau mit solchen Worten erst, denn Albtraumvokabeln bleiben natürlich in den Ohren und werden leicht zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung – wenn vor lauter Sorgen irgendwann der Mut ausgeht. Das darf nicht passieren.
Also Mut zur Ehrlichkeit: Ja, dieser Winter wird hart. Um ein gesundheitliches Desaster zu verhindern, müssen jetzt alle viel Disziplin aufbringen. Aber es ist nicht alles hoffnungslos. Im Gegenteil, die übergroße Mehrheit hat längst bewiesen, dass sie zu nötigen Einschränkungen bereit ist. Deshalb nur Mut: Denkt positiv – auch wenn sogar dieses schöne Wort gerade negativ besetzt ist.
Nichts wäre schädlicher, als nur noch panisch auf die nächsten Zahlen zu starren. Das lähmt. Dagegen hilft: Mut zur Differenzierung: Nicht alle steigenden Zahlen sind gleich schlimm. Exponentiell steigende Infektionen sind nicht automatisch gleichbedeutend mit ebenso stark steigenden Ernstfällen. Der Schutz für Risikogruppen und die Behandlungsmöglichkeiten haben sich seit dem Frühjahr verbessert.
Fantasie wäre nötig
Mut zur Fantasie: Statt Handel, Schulunterricht oder Sport wieder einfach komplett zu verbieten, sollten die Entscheidungsträger*innen kreativere Konzepte entwickeln als bei der ersten Welle. Damals wurden beispielsweise Bibliotheken einfach monatelang geschlossen, statt zu überlegen: Wie kann man online bestellen und Bücher geschützt abholen? Wie kann man Kinder motivieren, mit Vorsicht Sport zu treiben, statt sie sich selbst und ihren Smartphones zu überlassen?
Mut zum Eingeständnis: Niemand weiß genau, wie die Krise überwunden werden kann. Deshalb sollte, siehe Söder, auch niemand selbstherrlich so tun, als ob – und stattdessen Mut zur Gelassenheit aufbringen: Wer andere sieht, die sich regelunkorrekt verhalten, sollte sie ruhig ansprechen. Aber mit der Betonung auf ruhig. Und ohne versteckte Kamera für den Social-Media-Pranger. Nichts spaltet mehr als Denunziantentum.
Und ja, es braucht auch in der schlimmsten Krise Mut, die Maßnahmen der Regierung in Frage zu stellen. Wenn sie zu locker, aber auch wenn sie sinnlos strikt erscheinen. Das muss diskutiert werden, nicht nur bei Bund-Länder-Treffen.
Und: Mut zum Humor! Über die Hinweise eines Hotels zur „Corona-Eindämmerung“ wie im letzten „Hohlspiegel“ zu lächeln, ist auf jeden Fall besser, als sich Söders Endzeitstimmung hinzugeben.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!