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Umgang mit der KlimakriseWie viele Kippen darf ich noch?

Gastkommentar von Tadzio Müller und Tadzio Müller ​

Klimaschutz ist rational – eigentlich. Aber unsere Reaktion auf die Klimakrise ist es nicht. Wo wir deshalb jetzt über Klimagefühle sprechen müssen.

Treibhausgas-Emissionen raushauen, das ist so irrational wie rauchen: „Frau Doktor, wie viele Kippen darf ich noch rauchen?“ Foto: Belkin Aleksey/imago

I n einer Zeit extremer Wetterkatastrophen, juli­artiger Meeresoberflächentemperaturen im Februar und eskalierender Klimawarnungen sollte klar sein: Es ist eminent vernünftig, das Klima zu schützen. Es ist sinnvoll, die Erderhitzung zu begrenzen – ethisch, wirtschaftlich, gesundheitlich, eigentlich aus allen Perspektiven. Mit Ausnahme rechter Spinner widerspricht dem hierzulande auch fast niemand mehr.

Trotzdem schützen wir das Klima nicht, feiern das Abschalten von drei Kohlekraftwerken, während wir den Ausbau fossiler Infrastrukturen in Form von Flüssiggas-Terminals vorantreiben, die noch 50 Jahre fossiles Gas verbrennen werden. Das hat natürlich mit den knallharten, rationalen Interessen fossiler Player zu tun. Aber die operieren auch nicht im luftleeren Raum. Die deutsche Mehrheitsgesellschaft steht Seit’ an Seit’ neben ihnen. Mitten im Klimakollaps erleben wir ein gesellschaftliches Abwenden vom Klimaschutz, ein „nee, wir haben’s versucht, hat nicht geklappt – lass ma was anderes machen“.

Die Einsicht, dass Menschen auch dann nicht rational auf eine Bedrohung reagieren, wenn sie selbst betroffen sind, ist wichtig. Seit jeher gehen nämlich klimapolitische Strategien davon aus, dass die reichen Externalisierungsdemokratien des Nordens, die üblicherweise demokratisch entscheiden, anderen ihren spätimperialen Müll aufzubürden, erst dann rational auf die Klimakrise reagieren, wenn diese sie selbst betrifft.

Allein, der Hitzesommer 2018 mit seinen Tausenden Todesfällen kam und ging, dito die Flut im Ahrtal, und anstelle von mehr Klimaschutz bekamen wir 2022 eine Moralpanik ob der Letzten Generation, der „diktatorischen“ Klimabewegung, und überhaupt „FREIHEIT!!!“. Daraus lässt sich die Hypothese ableiten, dass mehr Klimakrise nicht zu mehr Klimarationalität führt, sondern zum Gegenteil – zu mehr Verdrängung, zu immer offensichtlicherer Irrationalität, zu einem zunehmend verrohten, verdummten „Klimadiskurs“.

Nikita Teryoshin
Tadzio Müller ​

Jahrgang 1976, ist Politologe und Klimaaktivist der ersten Stunde, hat unter anderem die Gruppe Ende Gelände mitgegründet. Mittlerweile gehört er keiner spezifischen Gruppe mehr an.

Angst macht irrational

Warum aber macht mehr Klimakrise uns qua Betroffenheit nicht rationaler, sondern irrationaler und dümmer?

Erstens, weil wir uns nur ungern mit eigenem Scheitern auseinandersetzen, und am Klimaschutz sind wir gescheitert. Zweitens, weil wirklicher Klimaschutz unsere Bequemlichkeit und Privilegien in Frage stellen würde (ein klimagerechtes Deutschland wäre ein materiell ärmeres Deutschland).

Drittens, weil der Klimakollaps uns riesige Angst macht. Ich meine hier weniger die Angst vor konkreten Folgen der Erderhitzung. Ich meine die Angst, dass es die Zukunft des materiellen Überflusses, die uns die europäische Moderne versprochen hat, nicht mehr gibt, nicht mehr geben kann. Diese Zukunft, in der wir uns aus dem Reich der Notwendigkeit und Naturgebundenheit ins Reich der Freiheit und des Überflusses hineinproduzieren, in der die nächste Generation mehr Zeugs und deswegen auch mehr Freiheit hat, als jede zuvor. Die Klimakrise stellt also nicht nur die eigene Zukunft in Frage – sie stellt die „Zukunft“ an sich in Frage, das Versprechen, dass diese stets besser ist als die Vergangenheit.

Das Irrationale ist politisch

Um uns der Klimakrise realistisch zu stellen, müssten wir anerkennen, dass schon die nahe Zukunft völlig anders aussehen wird, als wir uns das die letzten 75 Jahre gedacht haben. Dass die Welt sehr schnell viel härter, brutaler, amoralischer werden wird. Und es ist um ein Vielfaches leichter, dieses Wissen zu verdrängen, als es zu akzeptieren.

Vor der politischen Arbeit der Klimatransformation steht also die emotionale Arbeit eines Trauerprozesses: Wir müssten akzeptieren, dass vieles Gute jetzt schwieriger und weniger werden wird. Dieser Arbeit entziehen wir uns, entziehen sich auch kluge Menschen wie Peter ­Unfried, wenn er schreibt, es bräuchte nur ein bisschen Markt, ein bisschen Mitte, und ein bisschen Merkelismus – schwups wäre das Klima geschützt.

Wir haben es hier mit einem blockierten Trauer­prozess zu tun, der sich weniger mit politikwissenschaftlichen Modellen verstehen lässt als mit dem aus der Krebstherapie stammenden Bild der ­„Phasen der Trauer“: Leugnung, Zorn, Verhandlung, Depression und, mit Glück, am Ende Akzeptanz.

Phasen der Klimatrauer

Szenario: Wir, die reichen Länder der Welt, bekommen die Diagnose, wegen unseres jahrhundertelangen Konsums fossiler Brennstoffe an fossilistischem Lungenkrebs zu leiden. Wie reagieren?

Zuerst leugnen wir das Ausmaß des Problems sowie unserer eigenen Verantwortung dafür und stellen die Diagnose in Frage.

Wenn wir aber immer wieder darauf hingewiesen werden, dass wir unsere Leben radikal verändern müssen, um zu überleben, werden wir wütend – eigentlich auf uns und die Krankheit, aber wir projizieren das dann auf die vor uns sitzende Kassandra.

Dann folgt das Verhandeln: „Wie wäre es, wenn ich andere dafür bezahle, für mich die Chemo zu machen?“ (Klimakompensation/Emissionshandel) Oder wenn wir berechnen, wie viel Treib­haus­gas­emissionen noch gerade so okay sind – in unserem Beispiel: „Frau Doktor, wie viele Kippen darf ich noch rauchen?“

Und weil natürlich die Klimakatastrophe trotzdem ständig voranschreitet, und wir uns unseres Scheiterns trotz aller Verdrängung jeden Tag bewusst sind, gibt es immer mehr Depression, weil die Situation unabänderlich erscheint, illustriert von ständigen Hitzetoten, Überschwemmungen, Waldbränden.

Die fünfte und letzte Phase steht bei den meisten noch aus: Akzeptanz. Der Tatsache, dass all unsere Leben sich massiv und rapide ändern werden. Das ist keine Frage von Informationen über die Vorteile von Klimaschutz – denn alle, die wollen, haben längst Zugang zu diesen Infos.

Stattdessen brauchen wir einen kollektiven Trauerprozess. Den können nicht die wenigen leisten, die sich jetzt schon in Aktivismus, Medien und Politik mit der Klimakrise befassen. Warum nicht im Alpenverein über Klimagefühle sprechen, wo der Gletscherschwund offensichtlich ist? Oder bei der Freiwilligen Feuerwehr, die die Brände in ohnehin völlig verdorrten Wäldern löscht? Dann könnte es auch wieder mit der Ratio­na­li­tät in der Klimapolitik klappen.

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7 Kommentare

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  • Vermutlich ist rauchen sogar umweltfreundlich weil Raucher ja viel früher sterben.

  • Ich denke, dass viele Menschen hier im globalen Norden kein aktivierendes Mitleid mehr verspüren mit den Menschen, die bereits unter den Folgen des Klimawandels (Hunger, Hitze, Überschwemmung) leiden und auch nicht (mehr) willens oder in der Lage sind das Leid, das auf sie und ihre Kinder / Enkel zukommt zu antizipieren Und der Mechanismus ist Verdrängung , das hat Tadzio Müller ja schon oft auch so geschrieben. Das Fatale ist, dass wir jetzt, wo es uns ganz gut geht, noch die Kraft und die Energie hätten, eine geplante Transformation zu schaffen, wenn wir dann aber das Leid an uns selbst verspüren, dann benötigen wir die Kraft und Energie für uns selbst und für eine planbare Transformation steht sie dann nicht mehr zur Verfügung.Zusammenfassend scheint es mir, dass wir als Menschen in der Mehrheit wohl zu dumm sind für das Thema Prophylaxe

  • Angst macht irrational…der beste Satz im Text.



    Zu ignorieren, dass in Deutschland der Wohlstandsverlust durch insbesondere den (notwendigen) Umbau zum Klimaschutz bereits begonnen hat, ist ein massiver Fehler, denn damit versteht man nicht mehr die Grenzen des Machbaren (ungleich Denkbaren).



    Panik ist ein schlechter Ratgeber.

    • @1Pythagoras:

      Ich halte "Angst" (bislang) für eine Fehldiagnose. Die meisten von uns haben (noch) keine Angst vor der Zukunft, sondern machen sich (mehr oder weniger große) Sorgen um die Zukunft. Das ist ein bedeusamer Unterschied.

      Wer sich "nur" Sorgen macht, hat die Hoffnung auf und das Interesse an einer Problemlösung (noch) nicht aufgegeben.

      Angst hingegen ist diffus, lähmt und steht dadurch selbst Teillösungen im Wege.

      • @Al Dente:

        Ich tendiere zu 1Pythagoras´s Meinung.



        Die Hoffnung ist weitgehend aufgegeben, das Verhalten ist "Da simma dabei, solange es noch geht".

        Ich weiß nicht, ob das Wort "Endsiegstimmung" dafür hier durchgeht, es wäre aber zutreffend.

  • Das Problem hat eigentlich zwei Teile: Wir sind in der Nachkriegszeit in eine Welt des ständig wachsenden Wohlstands hineingewachsen, also zumindest in den Industrieländern. Das bedeutet, wir definieren uns über das Materielle, über das, was wir uns leisten können. Das ist in jeder gesellschaftlichen Schicht - je nach Geldbeutel - etwas anderes. Auch der oft kritisierte Arbeitsfetisch ist eigentlich nur Mittel zum Zweck - es geht nicht um Befriedigung durch Arbeit (sonst gäbe es viel weniger Bullshitjobs), sondern um die Befriedigung durch die Dinge, die uns durch unsere Einkommen ermöglicht werden.



    Das zweite Problem ist, dass die Politik es geschafft hat, die Verantwortung für das Abwendens der Klimakatastrophe an den Einzelnen delegiert, anstatt regulierend und gestaltend einzugreifen. Es ist sattsam bekannt, dass es zwar toll ist, Müll zu vermeiden, mehr Rad/ÖPNV zu fahren, auf Fleisch zu verzichten und privat nicht mehr zu fliegen, aber es staatliches Handeln nicht ersetzen kann. Doch die Regierungen drücken sich nach wie vor aus Angst vor Akzeptanzverlust.

    • @Anne Pipenbrinck:

      Zu den letzten Sätzen:



      Ich glaube, das alles ist mittlerweile voll akzeptiert - solange die anderen es tun.