Umgang mit chronischem Stress: Einfach mal hinlegen

Die Optimierungsgesellschaft kennt keine Grenzen: Wir googeln „was mache ich, wenn ich oft müde bin“, statt uns auszuruhen.

Eine getigerte Katze schläft auf einem Holzpfosten

Sich ein Beispiel an der Katze nehmen: ausruhen, wenn man müde ist Foto: Dan Zaugg/imago

Wir leben bekanntermaßen in einer Optimierungsgesellschaft. Leistungen sollen optimiert werden, Outcomes, Teams, Prozesse, Kommunikation, auch Freundschaften und, natürlich – der eigene Körper. Er soll nicht krank werden, er soll das leisten, was wir brauchen, zu jeder Zeit. Wer kann es sich schon „leisten“, nicht zu funktionieren?

Damit das alles reibungslos läuft, nehmen wir Pillen, Kügelchen oder auch mal Drogen. Wir fühlen uns müde? Wir googeln „was mache ich, wenn ich oft müde bin“, anstatt uns mal auszuruhen. Wir haben Kopfschmerzen, aber keine Zeit, uns hinzulegen? Auf zum Medikamentenschrank.

Wir können nicht schlafen? Wir probieren es mit Baldrian, aber das funktioniert nicht, also gehen wir zu*r Ärzt*in, ­di­e*der uns auch ziemlich schnell ein entsprechendes Schlafmittel verschreibt. Millionen von Menschen haben Schlafprobleme, liegen nachts wach und denken „jetzt habe ich noch fünf Stunden Schlaf, jetzt nur noch vier, ich werde so müde sein bei meiner Präsentation morgen …“ In Deutschland sind 1,7 Millionen Menschen abhängig von Medikamenten, und davon zum größten Teil von Schlafmitteln.

Besonders beliebt im täglichen Pillen-Mix sind Nahrungsergänzungsmittel. Die Regale der Drogerien sind voll davon. Was soll es also schaden? Denn wenn wir googeln „was mache ich, wenn ich oft müde bin“, steht da etwas von „Mangelernährung“, und das macht ja irgendwie auch Sinn, schließlich läuft das mit der Ernährung nicht gerade glatt, aber wann soll man auch kochen bei den Arbeitszeiten? Dabei zeigen Untersuchungen, dass zu hohe Dosen mancher Vitamine sehr wohl schaden, sogar zu Krebserkrankungen führen können.

Nicht jeder kann sich Erholung leisten

Die Industrie der Lifestyle- und Abhängigkeits-Pillen (Schmerz und Schlaf) ist eine Milliarden-Euro-Industrie. Sie basiert unter anderem auf den Strukturen unser Optimierungs- und Ausbeutungsindustrie. Und wir, wir interpretieren es als Schwäche, wenn der Körper „versagt“; dabei sollten wir unserem Körper dankbar dafür sein, dass er die meiste Zeit „funktioniert“. Wir könnten ihm als Dank ab und zu Pausen schenken, Fürsorge und Zeit. Oder, ganz verwegen: Liebe.

Der Staat, die kapitalistischen Strukturen werden unseren Körpern diesen Gefallen nicht tun. Diejenigen von uns, die es sich leisten können, sollten es aber tun. Auch für diejenigen, die es nicht können. Denn es gibt Menschen, die es sich nicht leisten können, gesund zu leben, gesund zu kochen, gesund zu schlafen, zum Beispiel weil sie am Rand des Existenzminimums leben oder unter psychischen Erkrankungen leiden. Gerade für sie muss sich diese Optimierungsgesellschaft ändern.

Es klingt einfach, ist aber potenziell radikal: Ausruhen, wer krank ist. Kochen anstatt Pillen schlucken. Ausschlafen, anstatt sich müde ins Büro zu schleppen. Denn: Unsere Körper sind keine Maschinen. Und am Ende des Tages werden immer sie es sein, die den Ton angeben.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Ausgebildet als Ärztin und Politikwissenschaftlerin, dann den Weg in den Journalismus gefunden. Beschäftigt sich mit Rassismus, Antisemitismus, Medizin und Wissenschaft, Naher Osten.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.