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Umgang mit NS-ErinnerungWas der Opa von Friedrich Merz mit der Gegenwart zu tun hat

Der Kanzler will sich offenbar nicht mit der NS-Geschichte seiner Familie befassen. Das sagt viel über sein Verständnis von Erinnerungspolitik.

Der Bundeskanzler (Dritter rechts) beim Gedenken zum 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs in der Gedächtniskirche Berlin Foto: Michael Kappeler/dpa

L etzte Woche haben wir in der taz über den Großvater von Friedrich Merz berichtet (jetzt fängt der damit wieder an, werden einige Leserbriefschreiber und Kollegen jetzt denken).

Wir haben recherchiert, dass der Großvater des Bundeskanzlers, anders als sein Enkel bisher behauptet hat, nicht in die Abgründe des Nationalsozialismus „hineingeraten“ ist und auch nicht „ohne eigenes Zutun“ Mitglied der NSDAP wurde. Sondern dass der Großvater, damals Bürgermeister von Merz’ Heimatstadt Brilon, ein „eifriger“ SA-Mann war und seine NSDAP-­Mitgliedschaft persönlich und früher als bisher bekannt beantragt hat. So steht es in seiner Personalakte aus dem Landesarchiv Nordrhein-Westfalen.

Überraschend ist die Geschichte von Merz’ Großvater nicht, er war einer von Millionen Mitläufern und Profiteuren, die sich mit dem neuen System arrangierten. Überrascht hat uns auch nicht, dass Friedrich Merz auf eine taz-Anfrage zu seinem Großvater auch nach seinem Wechsel ins Kanzleramt nicht antwortete. Merz findet offenbar nicht, dass er in seiner neuen Rolle als deutscher Kanzler in einer besonderen Verantwortung steht, die Halbwahrheiten, die er über die NS-Vergangenheit seiner Familie verbreitet hat, öffentlich zu revidieren.

Unwille, sich mit der Täter-Geschichte zu befassen?

wochentaz

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Wirklich erstaunlich war nur, wie vielen Leserbriefschreibern nicht mehr einfiel als: Jetzt lasst den Merz doch damit mal in Ruhe, niemand kann etwas für seinen Großvater. Viele teilen mit dem Bundeskanzler womöglich den Unwillen, sich mit den Geschichten der Täter und Mitläufer zu beschäftigen.

Es stimmt, niemand kann etwas für seinen Großvater. Aber ein deutscher Bundeskanzler sollte über die Verstrickungen seiner Familie in den Nationalsozialismus besser Bescheid wissen als Friedrich Merz. Vor allem, wenn eine stets hilfsbereite Zeitung ihm die Mühe abnimmt, in den Archiven nachzuschauen.

Spätestens seit 2004, als die taz das erste Mal über seinen Großvater berichtete, wusste Merz, dass die Familienlegenden nicht stimmten. Er hatte 20 Jahre Zeit, sich mit dieser Geschichte auseinanderzusetzen. Aber er hat sich anders entschieden. Und schweigt weiter, auch als Bundeskanzler, 80 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus.

Friedrich Merz ist damit der passende Kanzler für die neue deutsche Erinnerungspolitik: Man gedenkt in den immer gleichen Floskeln und spricht von historischer Verantwortung, sagt aber nicht, was denn diese Verantwortung konkret für das eigene Handeln in der Gegenwart bedeutet. Das zeigt sich in diesen Tagen beispielhaft in der Asylpolitik, aber auch in der Nahost- und der Verteidigungspolitik.

Wettstreit bei Aufrüstungsplänen

In der neuen Bundesregierung findet man nichts dabei, die deutsche Armee wieder zur „stärksten Europas“ machen zu wollen, wie Merz es angekündigt hat, und überbietet sich in Aufrüstungsplänen.

Die Bundesregierung steht an der Seite der in Teilen rechtsextremen Regierung in Israel und hört selbst dann nicht auf, ihr Rüstungsgüter zu liefern, wenn sie Vertreibung und dauer­hafte Besatzung ankündigt und Kriegsverbrechen begeht.

Für die Bundesregierung ist es kein Widerspruch, fast auf den Tag genau 80 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus das deutsche Asylrecht so zu verändern, dass nicht mehr jeder politisch Verfolgte an der deutschen Grenze zumindest einen Antrag stellen darf.

Es ist deshalb nur folgerichtig, dass in der Bundesregierung niemand schamesrot wird, wenn er betroffen, aber auch ein bisschen stolz, Bilder von Begegnungen mit der verstorbenen Holocaustüberlebenden Margot Friedländer postet. Hauptsache, man ist auf dem Foto auch selbst zu sehen.

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Kersten Augustin
Ressortleiter Inland
Kersten Augustin leitet das innenpolitische Ressort der taz. Geboren 1988 in Hamburg. Er studierte in Berlin, Jerusalem und Ramallah und wurde an der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München ausgebildet. 2015 wurde er Redakteur der taz.am wochenende. 2022 wurde er stellvertretender Ressortleiter der neu gegründeten wochentaz und leitete das Politikteam der Wochenzeitung. In der wochentaz schreibt er die Kolumne „Materie“. Seine Recherchen wurden mit dem Otto-Brenner-Preis, dem Langem Atem und dem Wächterpreis der Tagespresse ausgezeichnet.
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1 Kommentar

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  • Es gab etliche Leute, die in den Kommentaren zu den Artikeln über das Thema etwas ganz anderes als nur "Schwamm drüber" äußerten.

    Und daß Sauvigny nicht lange Bürgermeister geblieben wäre, würde er die neuen Machthaber - bspw. in seiner teils wörtlich überlieferten Rede zum 1. Mai 1933 - übergangen oder gar gegeißelt haben, ist klar eine Binse. Weniger offensichtlich bzw. bekannt dürfte die Tatsache sein, daß Mitgliedsanträge, die gestellt worden sein mußten, (auch mal) liegenblieben bzw. liegenbleiben konnten. Aus der Tatsache, daß der Antrag erst kurz vor seiner Pensionierung aufgegriffen wurde, hätte man ja eine Zögerlichkeit schlußfolgern können, die nicht zu den im Übrigen bekannten Tatsachen paßt.