Umgang mit Fehlgeburten: Lasst sie doch trauern
Chrissy Teigen zeigt sich nach einer Fehlgeburt auf Instagram. Die Kommentare teilen sich in tröstende Worte und moralische Überlegenheit.
Es ist ein Bild, das auf die eine oder andere Weise berührt. Chrissy Teigen sitzt weinend auf ihrem Krankenhausbett. Im Text, den sie dazu auf Instagram teilt, erfährt man, dass sie eine Fehlgeburt hatte. Sie war etwa im fünften oder sechsten Monat schwanger. Auf dem nächsten Bild hält sie ihr Baby Jack in ein Handtuch gewickelt, ihr Mann, der US-Sänger John Legend, neben ihr.
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Der Instagram-Post hat zu Redaktionsschluss bereits zehn Millionen Likes und eine halbe Million Kommentare, die sich im Grunde in zwei Lager teilen: Die einen bekunden ihr Beileid, sprechen oft auch über ihre eigene Erfahrung mit Fehlgeburten. Die anderen verabscheuen, dass Teigen ihr Leid auf diese Weise öffentlich macht.
Nun ist Teigen nicht nur Model, TV-Star und Kochbuchautorin, sie ist auch bekannt für ihre Offenherzigkeit und ihre Schlagfertigkeit. Dass sie keine Konfrontation oder Konsequenzen scheut, weiß man spätestens seit ihrem sehr expliziten Schlagabtausch mit US-Präsident Donald Trump. In der Vergangenheit hat sie sich regelmäßig gegen Mom- und Bodyshaming gewehrt – Dinge, die auf Instagram alltäglich sind.
Aufmerksame Instagram-Follower:innen konnten in den letzten Wochen schon sehen, dass ihr wegen einer Blutung in der Schwangerschaft strenge Bettruhe verordnet worden war. Sie blutete aber immer weiter, schuld sei ihre „shitty placenta“, wie sie sagte, ein Thema, das ihr schon bei den beiden ausgetragenen Schwangerschaften zuvor Probleme gemacht habe. Sie postete dennoch weiter ihre Insta-Stories, erzählte, wie es ihr erging, wer sie besuchte und was sie an Fresspaketen und Geschenken von Freunden geschickt bekam, um ihr die Zeit im Liegen zu erleichtern.
Auf die Frage, wieso sie das teile, sagte sie mal in einer Insta-Story: „Ich teile sonst auch alles, wieso dann nicht auch das hier.“ Nun lag sie bereits einige Tage im Krankenhaus, bekam Bluttransfusionen, weil die Blutung einfach nicht aufhören wollte. Dann die Fehlgeburt. Die Fotos. Stunden später twitterte sie: „Auf dem Heimweg vom Krankenhaus ohne Baby. Wie kann das wahr sein.“
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Ein Satz, den wohl sehr viele Frauen, sehr viele Eltern, nachfühlen können. Wie viele genau, darüber gibt es in Deutschland keine soliden Zahlen. Ärzte unterscheiden bei einer Fehlgeburt (spontaner Abort) zwischen einem Frühabort (bis zur 12. SSW) und einem Spätabort (etwa bis etwa zur 22. SSW). Danach, sobald das Baby 500 Gramm wiegt, spricht man von einer Totgeburt. Allein die Totgeburten unterliegen in Deutschland einer standesamtlichen Meldepflicht: Auf 1.000 Geburten kommen etwa zwei bis drei Totgeburten. Zahlen zu Aborten gibt es nur für jene Fälle mit ambulanter oder stationärer Behandlung.
Viele Schwangerschaften gehen ab, bevor man überhaupt von ihnen weiß. Oder wenn man es gerade erst erfahren hat. Das Risiko eine Fehlgeburt zu erleiden, hängt von vielen Faktoren ab: Alter der Eltern, Zahl der vorangegangenen Fehlgeburten, Vorerkrankungen, Umwelteinflüssen und einiges mehr. Die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit liegt etwa bei 10-15 Prozent, ab 35 Jahren bei etwa 20 Prozent und sie steigt mit zunehmendem Alter immer weiter. Je nach Studie liegt das Risiko im Alter von 45 Jahren dann schließlich bei 50 bis 75 Prozent.
Nun hat die Debatte darum, ob man so offenherzig über eine Fehlgeburt sprechen darf oder soll natürlich mehrere Ebenen. Eine ist etwas verlogen, etwa wenn man einer „Influencerin“ vorwirft für Aufmerksamkeit ihr Leben zu teilen. Vor allem dann, wenn sie nicht den schönen Schein wahrt. So wie es nun auch ausgerechnet die Bild tut, die urplötzlich in einer verstaubten Ecke des Redaktionskellers ihr Gefühl für Privatssphäre entdeckt haben muss.
Was die Debatte aber auch zeigt ist, dass viele es nicht gewöhnt sind, Fehlgeburten zu sehen. Auf Instagram sieht man dafür ständig Bilder von abgekämpften Frauen, die gerade erst entbunden haben. Das ist genauso intim, der einzige Unterschied ist: Sie zeigen sich in einem vermeintlich glücklichen Moment. Es scheint also, nur glückliche Frauen sind auf Instagram als zulässig anerkannt. (Zumindest solange sie keine Nippel zeigen.)
Jede Person, die schon mal eine Fehlgeburt erleben musste, kennt das Gefühl, das wohl auch Teigen haben wird. Die eintretende Leere, die erdrückenden Emotionen und der Kopf, der gar nicht mehr hinterherkommt. Dieser Schmerz und die irgendwann aufkommenden Fragen: Darf ich eigentlich darüber sprechen? Was werden die Leute sagen? Werden sie denken, es war meine Schuld? Und ist es überhaupt wichtig, was die denken?
Still ertragen
Die meisten Eltern entscheiden sich dazu, nicht über Fehlgeburten zu sprechen, das ist ihr gutes Recht. Aber sie sind trotzdem da. Die, die vom einen auf den anderen Tag ihre Babys gehen lassen mussten. Die, die sie noch eine Weile in ihrem Bauch mit sich rumtragen, weil sie auf einen bestimmten Termin warten müssen oder jene, die auf den Tag warten an dem auch ihr Körper bemerkt, was los ist. Sie sitzen in der U-Bahn neben einem. Sie sind die Arbeitskolleg:in, die Nachbar:in, die Bekannte.
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Sie tragen ihren Schmerz die meiste Zeit still durch die Welt. Sie lassen die aufdringlichen Kommentare über sich ergehen. Die Fragen, wann denn nun endlich ein Kind geplant sei? Ob das Bäuchlein hoffen ließe? Sie ertragen das beknackte „Es hat nicht sollen sein“, das grauenhafte „Wer weiß, wofür es gut war“ und das vernichtende „Du kannst es ja nochmal probieren“.
Sie ertragen die Hobby-Ärzt:innen, die nach dem Grund und somit der Schuld suchen, weil die wiederum nicht in der Lage sind Grundloses zu ertragen. Die genau wissen, was man hätte anders machen müssen: dieser Tee, jener Sport, weniger Zucker und natürlich – der Stress.
Sie ertragen selbst die absoluten Spezialist:innen, die eine Diskrepanz sehen wollen, zwischen der Trauer um eine Fehlgeburt und der Befürwortung von Selbstbestimmung bei Schwangerschaftsabbrüchen. Kurzum: Vom Thema Fehlgeburten sind viele Menschen betroffen, die schon viel ertragen müssen. Vielleicht lässt man sie jeweils mit ihrer Trauer umgehen, wie sie das für richtig empfinden. Ob auf Instagram oder auf dem Sofa.
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