Umgang mit Corona in Frankreich: Eine Krise – dreifaches Nachspiel
Das schlechte Abschneiden Frankreichs in der Pandemie beschäftigt nun drei Untersuchungsausschüsse. Außerdem ermittelt die Justiz.
Erst hatten sowohl die Abgeordneten der Nationalversammlung als auch die Senatoren je eine parlamentarische Kommission angekündigt; der Ausschuss der Nationalversammlung startet am Dienstag mit den Anhörungen. Nun hat aber auch die Regierung ihren Wunsch nach einer „unabhängigen und kollegialen“ Untersuchung durch bisher nicht bekannte Experten bekannt gegeben.
Die linke und rechte Opposition ist empört über diesen Wunsch – da werde eine der elementarsten Aufgaben des Parlaments infrage gestellt, nämlich die Kontrolle der Regierungstätigkeit im Auftrag der Wähler. Diese „Pseudokommission“ sei „deplatziert“ und staatsrechtlich „bizarr“, erklärt Damien Abad, Abgeordneter der rechten Oppositionspartei Les Républicains (LR).
„Abgesehen davon, dass es ein Schwindel ist, stört mich daran die offensichtliche Absicht, letztlich mit einem Expertenkomitee die Dinge zu vertuschen“, meint der konservative Abgeordnete. Der sozialistische Senator Patrick Kanner sieht im außerparlamentarischen Ausschuss einen neuen Beweis dafür, dass Präsident Emmanuel Macron für die Parlamentsarbeit bloß „Verachtung“ habe.
Tatsächlich dürfte Frankreichs Staatsführung noch in guter Erinnerung seine, wie eine Senatskommission in der sogenannten Benalla-Affäre hochrangigen Élysée-Mitarbeitern unbarmherzig alle peinlichen und brisanten Fragen gestellt hat – und so die Protektion des ehemaligen Sicherheitsverantwortlichen des Präsidenten entlarvt hatte. Von einem Ausschuss der Nationalversammlung mit einer großen Mehrheit der Regierungskoalition dagegen hat die Staatsführung viel weniger zu befürchten als vom Senat, wo Macrons Partei La République en marche (LREM) bisher nur ganz wenige Sitze hat.
Die vom LR-Senator, einem ehemaligen Arzt, geleitete Senatskommission plant bereits, den derzeitigen Regierungschef sowie drei seiner Vorgänger vorzuladen. Auch sollen alle Gesundheits- und Sozialminister von 2010 bis heute angehört werden, um zu prüfen, wie sie ihrer Verantwortung gerecht wurden – oder eben nicht.
Justiz ermittelt wegen „fahrlässiger Tötung“
Der von der Regierung eingesetzte Ausschuss soll „überparteilich“ sein, wird aber von der LREM-Abgeordneten Brigitte Bourguignon präsidiert, die bereits vorausschickt: „Wir möchten alle besser verstehen, um besser Antworten zu finden. Unsere Kommission ist nicht unbedingt dazu da, Schuldige zu nennen, sondern zu begreifen, warum Dinge nicht funktioniert haben und manchmal auch, was geholfen hat, weitere Dramen zu verhindern.“
Um Schuld oder Unschuld geht es dagegen bei den Ermittlungen der französischen Justiz. Die ermittelt nach zahlreichen Klagen wegen „fahrlässiger Tötung“, meistens gegen „unbekannt“. Rechenschaft verlangen etwa Angehörige von Covid-19-Opfern in Altenheimen und Krankenhäusern, aber auch Ärzte und andere Beschäftigte des Gesundheitswesens, die ohne ausreichenden Schutz an die „Front“ des von Macron mit Pathos erklärten „Kriegs“ geschickt wurden.
Für bisher rund 80 namentliche Klagen gegen Regierungsmitglieder ist eine gewöhnlich sehr langsame Sonderinstanz zuständig, die Cour de justice de la République. Der Staatschef genießt in Frankreich eine verfassungsrechtlich garantierte Immunität.
Gleich drei Kommissionen muten zwar grotesk an, aber die Untersuchungen folgen auf einen massiven Vertrauensverlust. In keinem anderen europäischen Land stieß die Staatsführung mit ihrer Coronapolitik auf ein so großes Misstrauen wie in Frankreich. Freilich hatte sich schon vorher etwa wegen der umstrittenen Rentenreform viel Unmut angesammelt. Doch das zögernde Hin und Her der Regierung, die organisatorischen Mängel in der Prävention und der Skandal des bis heute geleugneten Mangels an Masken und Tests hatte die Glaubwürdigkeit Macrons zusätzlich untergraben.
Erste Runde der Kommunalwahlen war heftig umstritten
Umstritten war und bleibt vor allem unter den Regierungskritikern auch die Durchführung der ersten Runde der Kommunalwahlen am 15. März, als wegen der sich ausbreitenden Epidemie bereits Cafés und Restaurants geschlossen waren und zwei Tage danach strenge Ausgangsbestimmungen angeordnet wurden. Die Beteiligung lag um 20 Prozent tiefer als normalerweise erwartet.
Jetzt werden am 28. Juni in rund 5.000 Städten, in denen die Entscheidung nicht auf Anhieb gefallen war, die Stichwahlen organisiert. Das gibt den Stimmberechtigten dort die Gelegenheit, im Wahllokal indirekt ihr eigenes Urteil zur Regierungspolitik zu fällen. Die Ausgangslage für die LREM-Listen ist nicht vielversprechend. Aufgrund der Ergebnisse des ersten Durchgangs dürfte die Regierungspartei in keiner größeren Stadt das Bürgermeisteramt erobern. Für diese erwartete Schlappe von LREM ist die Ansicht der Bürger zur Coronapolitik aber nur ein Teil der Erklärung.
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