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Umdeuten anstatt ärgernVerkehrspolitik durch gezieltes Atmen reframen

Unzählige Psycho-Spiri-Ratgeber können nicht irren: Man muss das Gute nur sehen. Das gilt auch für Schienenersatzverkehr, Abgase und Autobahnen.

Ein verwaschenes Fahrradsymbol. Aktivisten von Sand im Getriebe Berlin sprühten einen Pop-up-Radweg auf der Berliner Allee Foto: Markus Lenhardt/dpa

E ine Kollegin von mir verschickt regelmäßig Newsletter. Ich kenne sie eigentlich von Krimi­lesungen, inzwischen hat sie sich auf Wunsch­erfüllungsbücher verlagert. Darin schildert sie ihre Vision davon, Millionärin zu sein, feiert Krankheiten als Möglichkeit zur Auszeit und erläutert, wie sie in aller Sanftheit Freundschaften und Beziehungen beendet.

Ich habe deshalb jetzt überlegt, wie sich dieses Geschäftsmodell des Selbstempowerment durch Umdeutung allen Geschehens auf die Verkehrswende ummünzen lässt. Blöderweise kann man ja einen Radweg nicht selbst bauen. Leider: Bei meinem jüngsten Blick in die politische Glaskugel, so viel sei hier verraten, konnte ich die Verkehrswende gar nicht mehr im Aura­feld Deutschlands ausmachen.

Aber so ganz ohne Zukunftshallodri geht es ja auch nicht. Deshalb soll mein geplantes Werk politische und esoterische Bubble miteinander verbinden. Titel „Refraiming von Verkehrspolitik durch gezieltes Atmen“. Den Anfang stelle ich mir ungefähr so vor: „Unzählige Psycho-Spiri-Ratgeber können nicht irren: Das Universum hält alles bereit, was wir uns so sehnlich wünschen! Wir können in Zeiten wie diesen also entweder das Fahrrad ins Korn werfen und am Haltestellenmast des Schienenersatzverkehrs weinen – oder den Blickwinkel ändern.“

Das Buch imaginiere ich mir als eine Entdeckungsreise der Dankbarkeit, unterlegt mit praktischen Übungen. Etwa in dieser Richtung: „Tritt vor deine Tür. Breite die Arme zum Sonnengruß. Verbinde dich mit deinem Ursprung. Atme. Sei dankbar! Falls du Abgase riechst: Das Universum hat dir einen Geruchssinn geschenkt. Sei dankbar!“

Niemand hat die Absicht, eine Autobahn zu bauen

Ich würde darauf hinweisen, wie wichtig es ist, in dem zu ruhen, was ist: „Du gehst auf eine politische Veranstaltung. Wichtige Menschen sind eingeladen: solche, die Entscheidungen über eine Verkehrswende treffen könnten. Sie erklären, warum sie keine Entscheidungen für die Verkehrswende treffen können. Das Universum zeigt dir durch diese Begegnungen, wie sehr alles mit allem zusammenhängt. Niemand hat die Absicht, eine Autobahn zu bauen. Nur geht es ohne eben nicht. Sei dankbar.“

Als Abschluss denke ich an Körperübungen. „Du hast ein Zugticket gebucht und stehst am Bahnsteig. Zusammen mit vielen Menschen. ihr habt euren Zug früher erwartet und verweilt jetzt gemeinsam in der Erfahrung der Enttäuschung. Nutze diese Erfahrung für dich! Enttäuscht zu sein. Wie fühlt es sich an? Wo nimmst du dieses Abfallen der Täuschung in deinem Körper wahr? Atme. Nimm dich selbst wahr. Vielleicht kannst du diese Chance nutzen, dich aus der Hektik des Alltags auszu­klinken und zur Ruhe zu kommen? Sei dankbar!“

Ich visualisiere große Erfolge für mich, den Verlag und alle Lesenden. Natürlich gibt es dann immer noch keine Verkehrswende, denn Realität ist, was bleibt, auch wenn man nicht daran glaubt. Aber wenn wir unseren Glauben an die Vernunft ganz achtsam loslassen, könnte das nicht helfen, sich irgendwie besser zu fühlen? Auf unserem Weg zu vielleicht irgendwann Tempo 30 innerorts, einer akzeptablen Radinfrastruktur und halbwegs pünktlichen Zügen.

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Kerstin Finkelstein
Dr. phil, Expertin für Verkehrspolitik und Migration. Studium in Wien, Hamburg und Potsdam. Volontariat beim „Semanario Israelita“ in Buenos Aires. Lebt in Berlin. Fährt Fahrrad. Bücher u.a. „So geht Straße“ (Kinder-Sachbuch, 2024), „Moderne Muslimas. Kindheit – Karriere - Klischees“ (2023), „Black Heroes. Schwarz – Deutsch - Erfolgreich“ (2021), „Straßenkampf. Warum wir eine neue Fahrradpolitik brauchen“ (2020), „Fahr Rad!“ (2017).
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2 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Da ist was dran. Durch Beeinflussung der eigenen Wahrnehmung verändern sich Denken und Handeln. Wenn viele das tun, verändert sich die Welt ganz real.



    Im Negativen hat das bereits deutlich sichtbare Auswirkungen. Diskutiere ich mit Impfgegner:innen oder Anhängern populistischer Parteien, stelle ich regelmäßig fest, dass diese in einer komplett verschiedenen Wahrnehmungswelt leben. Sie befinden sich bereits in einer anderen Realität. Und da es viele sind, hat das konkrete Auswirkungen - auch auf die Realität aller anderen.



    Jetzt meine Frage: Ist es ein guter Rat, der Autorin zu folgen? Es genau so zu machen, wie "die da drüben", aber in eine andere Richtung?



    Ich habe keine Ahnung.

  • Rad-geber-literatur ...



    Es ist nebenbei "Reframing" ohne "i", "frame"= Rahmen.

    Selbstempowerment ist übrigens, konsequent in der Mitte der Fahrspur zu bleiben als Radler(in), denn die Autofahrers können sowieso nicht legal überholen und haben womöglich für diesen schrägen Wegner gestimmt.



    Ansonsten ist die noch fehlende Wiederbelebung von Fuß, Bahn, Bus und Rad eine der ganz großen Baustellen, wo staatliches Handeln und Anreize seit 1933 in die falsche Richtung gehen. Es ist unser Handeln an Wahlurne und in Initiativen, die das korrigieren können. Wer ist noch nicht im ADFC oder VCD?