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Ukrainischer Historiker über Timoschenko„Eine Politikerin der Vergangenheit“

Ihr eilt der Ruf voraus, tief in Korruptionsaffären verstrickt zu sein. In der Politik sollte Timoschenko keine führende Rolle mehr spielen, meint Andrij Portnov.

Julia Timoschenko spricht auf dem Maidan. Bild: dpa
Interview von Barbara Oertel

taz: Herr Portnov, war der vergangene Samstag ein historischer Tag für die Ukraine?

Andrij Portnov: Ja. Die Regierung von Wiktor Janukowitsch ist am Ende. Sie hatte ihre Legitimität sowieso schon komplett verloren, nachdem so viele Menschen auf den Straßen von Kiew getötet worden waren. Die Ukraine steht jetzt vor der größten Herausforderung seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Die Frage ist jetzt, in welche Richtung sich das Land entwickeln wird.

Welche Rolle kann jetzt die frühere Regierungschefin Julia Timoschenko spielen?

Auf der eine Seite sind die meisten Menschen froh darüber, dass Timoschenko wieder in Freiheit ist, weil der Prozess gegen sie ein politischer war. Gleichzeitig glauben aber auch viele, dass sie nicht an der Spitze der Reformen stehen sollte, die in der Ukraine stattfinden müssen.

Warum nicht?

Timoschenko hat den Ruf einer Populistin, einer Politikerin, die ständig versucht, mit den Gefühlen und Erwartungen der Bevölkerung zu spielen. So jemanden braucht es jetzt in der Ukraine, angesichts der massiven Wirtschaftskrise, nicht. Nein, es muss ein Politiker her, der sich rational und verantwortungsvoll der Probleme des Landes annimmt. Dazu kommt noch, dass Timoschenko der Ruf vorauseilt, tief in Korruptionsaffären verstrickt zu sein.

Dessen ungeachtet: Glauben Sie, dass Timoschenko in der Lage ist, die Bevölkerung des Landes zu einen?

So ist sie nicht gestrickt. Außerdem ist sie eine Politikerin der Vergangenheit, die radikale und einsamen Entscheidungen trifft, ohne dass den politischen Partnern zu kommunizieren …

Im Interview: Andrij Portnov

geb. 1979, stammt aus Dnjepropetrowsk, ist Historiker und Politologe. Derzeit ist er mit einem Stipendium des Wissenschaftskollegs in Berlin.

Was bedeutet die erneute Präsenz der früheren Regierungschefin auf der politischen Bühne für die Opposition?

Die Rückkehr von Julia Timoschenko birgt für die Opposition neues Konfliktpotenzial. Wenn sie fähig ist, ihre eigenen Ambitionen zurückzustellen, kann aus der Situation etwas Positives entstehen.

Und Vitali Klitschko?

Ich glaube, Klitschko wird sich nicht um das Amt des Regierungschefs bemühen, sondern sich auf die Präsidentschaftswahlen konzentrieren.

Derzeit ist viel von einer möglichen Spaltung der Ukraine die Rede. Wie real ist dieses Szenario?

Ich bin selbst im Osten der Ukraine, in Dnjepropetrowsk, geboren und aufgewachsen. Deshalb verstehe ich auch, wie die Menschen dort auf die Ereignisse blicken. Natürlich werden einige Kräfte, wie Vertreter der örtlichen politischen und ökonomischen Eliten und Kräfte, die mit dem Kreml verbunden sind, mit einer Spaltung der Ukraine drohen und dieses Thema für ihre Zwecke instrumentalisieren. Dem Süden und Osten ist eine andere Art der politischen Mobilisierung eigen als im Westen oder in Kiew. Dabei geht es eher um eine gewisse Anpassungsfähigkeit und nicht um eine offene politische Konfrontation. Wenn die Organe der neuen Staatsmacht die Lage recht schnell unter Kontrolle bekommen und Reformen einleiten, dann hat der Separatismus keine Chance.

Wie sollen die neuen Machthaber mit nationalistischen Gruppierungen innerhalb der siegreichen Opposition umgehen?

Die Bedrohung durch den Rechtsradikalismus wird in Deutschland und anderen westlichen Staaten stark überschätzt. Natürlich gab es auf dem Maidan eine Minderheit, die man den verschiedenen Spielarten des Rechtsradikalismus zurechnen kann, und davor sollte auch niemand die Augen verschließen. Doch das sind marginalisierte Gruppen. Ich glaube, dass es nicht allzu schwierig werden wird, sie aus politischen Entscheidungen herauszuhalten.

Und die Partei Swoboda?

Swoboda ist sehr heterogen. Dort gibt es skandalöse Figuren, die im Parlament absolut untragbar sind. Doch während der jüngsten Krise haben sich die Führer von Swoboda sehr zurückgehalten und haben versucht, der Einheit der Opposition nicht zu schaden. Das bedeutet, dass es eine Möglichkeit gibt, diese Partei unter Kontrolle zu halten.

Sollte Swoboda in der Opposition bleiben?

Es wäre gut, wenn die Partei in der nächsten Regierung nicht vertreten wäre. Doch derzeit müssen wir davon ausgehen, dass einige Vertreter von Swoboda im Kabinett sitzen werden. Dann müssen die anderen Regierungsmitglieder, aber auch die ukrainische Öffentlichkeit versuchen, diese Leute genau zu kontrollieren und in Schach zu halten. Davon abgesehen wäre ich natürlich sehr erleichtert, wenn diese Partei nach den nächsten Wahlen nicht mehr im Parlament vertreten wäre.

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13 Kommentare

 / 
  • AD
    Aus der Geschichte lernen

    "Dann müssen die anderen Regierungsmitglieder, aber auch die ukrainische Öffentlichkeit versuchen, diese Leute genau zu kontrollieren und in Schach zu halten."

     

    Hat der "Historiker" Portnov mal etwas von der 'Einrahmungsstrategie' gehört. Immerhin ist Swoboda noch lange nicht so stark wie das historische Vorbild.

    • P
      Peter
      @Aus der Geschichte lernen:

      Tja, wer den schon etwas älteren Ingmar-Bergman-Film "Das Schlangenei" gesehen hat, kennt vielleicht noch den Ausspruch des einen Großkapitalisten, der da sagte, die Nazis seien ganz nützlich, da sie "mit den Kommunisten aufräumen" würden, und hinterher würde man schon "mit ihnen fertig" werden. Ein Irrtum, wie sich zeigte, und auch verschiedene Vertreter der Oberschicht fielen den Nazis zum Opfer. Deutet sich jetzt in der Ukraine etwas ähnliches an? Faschistische Traditionen hat man ja in diesem Land, als man im 2. Weltkrieg mit den Deutschen kollaborierte.

  • M
    MD

    "Doch derzeit müssen wir davon ausgehen, dass einige Vertreter von Swoboda im Kabinett sitzen werden."

     

    Werden jetzt "skandalöse" Vertreter von Swoboda oder nicht-"skandalöse" Verteter von Swoboda im Kabinett sitzen?

    Die Swoboda selbst findet der Herr Historiker ja nicht "skandalös".

  • O
    Oligarch

    so weit ich weiß, ist die ehemalige Videothekarin, im Umbruch des Ostblock, zügig zu Reichtum gekommen. Sauber ist diese Dame gewiss nicht.

  • PH
    Peter Haller

    Eigenartiger "Historiker".

    Erst erzählt er, dass der "Prozess gegen Timoschenko ein politischer" war, andererseits, dass diese Frau "tief in Korruptionsaffären verstrickt" sei. Was denn nu ? Ist sie verurteilt worden, weil sie korrupt war, oder weil sie Politikerin war ??

    Und dass die Partei "Swoboda" unter Kontrolle gehalten werden kann ist ja wohl ein Scherz.

    Dieses Interview passt aber haarscharf zur Berichterstattung der taz in den letzten Wochen bzgl. Ukraine !!

    • KP
      Kapital, Politik und Justiz
      @Peter Haller:

      Timoschenko ist kriminell, Janukowitsch ist kriminell. Timoschenko wurde verurteilt, Janukowitsch nicht. Es war also ein rechtmäßiger Prozess, der aber hauptsächlich aus politischen Gründen auch durchgeführt wurde.

       

      Eigentlich müsste es Prozesse nicht nur gegen Timoschenko, sondern wohl auch gegen Janukowitsch, Putin, Abramowitsch, Klatten, die Quandts, Mohn, die Kochs, Soros etc. geben.

       

      Aber in Deutschland wie USA gibt es eigentlich keine Verfahren gegen Vertreter des Großkapitals und kaum gegen die des Kapitals (wie z.B. gegen Hoeneß) insgesamt. (Außer die verklagen sich gegenseitig als Konkurrenten.)

    • @Peter Haller:

      Der Prozess war sicher politisch gewollt. Die Vorwürfe waren aber wohl nicht erfunden und der Druck der EU auf Freilassung von Timoschenko daher ziemlich problematisch.

    • T
      Tolokno
      @Peter Haller:

      einfach statt taz die junge welt lesen. das ist besser für ihre herzgesundheit, wenn sie sich nicht mehr über die taz aufregen müssen. bei mir ist es umgekehrt: ich bekomme brechreiz, wenn ich die ukraine-berichterstattung der jungen welt lese.

      • C
        cosmopol
        @Tolokno:

        Hast du da auch einen Tip für mich? Ich gehe leider bei beiden ziemlich schnell kotzen...

        • T
          Tip
          @cosmopol:

          jungle world...

          • C
            cosmopol
            @Tip:

            Nö. Die ist oft aus anderen Gründen scheiße.

            Hatte die mal kurze Zeit im Abo, nachdem ich die Taz so irgendwann um 2004/2005 rum gekündigt hatte weil sie deutschen Patriotismus hochgejubelt hat. Und das dann auch schnell wieder beendet.

            Die Jungle hat zwar oft symphatische Artikel, aber eben auch die von der Bahamas-Fraktion von der sie sich nach wie vor nicht ordentlich losgeeist kriegt. Sobald es um deren klassische Themen (Israel, Antisemitismus, Antisexist*innen/Antirassist*innen-Bashing) geht, fliegt die Jungle schon mal zusammengeknüllt in die Ecke.

             

            Die AK wäre meine Alternative bzgl linker Zeitungen, die ist wirklich gut. Leider erscheint die nicht so häufig, wie ich gerne hätte.

            • T
              Tip
              @cosmopol:

              hehe... wäre auch kein ernstgemeinter Tip gewesen. Und Deine Beiträge wären wohl zu gut dafür(kenne die jungle world aber auch kaum).

              Ich lese selten, aber immer häufiger junge welt und seit längerem taz, sz, Kampagnen-spiegel. Die Zeit kann ich einfach nicht mehr lesen.

               

              Gucke mir mal die AK an.

  • C
    cosmopol

    "das sind marginalisierte Gruppen."

    "derzeit müssen wir davon ausgehen, dass einige Vertreter von Swoboda im Kabinett sitzen werden."

     

    ...