piwik no script img

Ukrainischer Botschafter Andrij Melnyk„Zum Erfolg verdammt!“

Am Freitag beraten die Außenminister Deutschlands, Frankreichs, Russlands und der Ukraine über die Krise. Andrij Melnyk über Strategien und Perspektiven.

Checkpoint bei Luhansk zwischen ukrainisch kontrolliertem Gebiet und dem der Rebellen. Foto: imago

taz: Herr Botschafter, am Freitag beraten die Außenminister Deutschlands, Frankreichs, Russlands und der Ukraine in Berlin erneut zur aktuellen Lage in Ihrem Land. Manche sprechen von Hilferufen aus Kiew. Wo brennt es?

Andrij Melnyk: Es geht einzig darum, den Druck auf Moskau so lange beizubehalten, bis das Minsker Abkommen bis zum letzten Buchstaben erfüllt ist, was alles andere als leicht ist. Die Russen müssen ihre Truppen vom ukrainischen Gebiet komplett abziehen und die Kontrolle über mehr als 400 Kilometer ukrainische Grenze zurückgeben.

Was genau will Putin?

Den Krisenherd am Köcheln lassen, um zu verhindern, dass die Ukraine sich auf ihre Reformen konzentrieren kann. Endziel: keine EU- und schon gar nicht eine Nato-Annäherung der Ukraine zulassen. Stets einen Fuß in unserer Tür zu halten gehört zu Putins Taktik, die zu einer langfristigen Strategie werden könnte.

Im Interview: Andrij Melnyk

40, ist promovierter Rechtswissenschaftler und Autor vieler Publikationen zum Völkerrecht. Seit Dezember 2014 ist er ­außerordentlicher und bevollmächtigter Botschafter der Ukraine in der Bundesrepublik Deutschland.

Die Regionalwahlen vor zwei Wochen haben gezeigt, dass die Mehrheit der Bevölkerung von der Regierung in Kiew enttäuscht ist. Warum?

Diese Auffassung kann ich nicht teilen. Diese Wahl war ein wichtiger Schritt Richtung Demokratieausbau. Die Menschen sind bereit, den schmerzhaften Reformkurs mitzutragen. Die Erwartungen nach der Wende sind wohl sehr hoch gewesen. Jeder – ich bin da keine Ausnahme – würde sich wünschen, dass die Veränderungen schneller vonstatten gingen. Ich finde übrigens, dass dieser Druck, diese Unzufriedenheit vielleicht sogar gut ist. Die Gesellschaft lässt den Machthabern keine Alternative. Man ist einfach zum Erfolg verdammt. Die Existenz dieses Staates steht auf dem Spiel.

Sie schließen also nicht aus, dass die Maidan-Revolution zum zweiten Mal scheitert?

Ich bin optimistisch, dass das nicht passiert. Und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Wenn sie scheitern sollte, dann würde das auch für das Land einen Niedergang bedeuten. Jeder in der Ukraine ist sich der Verantwortung bewusst.

Was verhindert die Realisierung der Reformen?

Zum einen das Oligarchentum, das in vielen Bereichen des Lebens leider immer noch präsent ist. Und zum anderen die alten, verkrusteten Verwaltungsstrukturen, die den Erneuerungen Widerstand leisten.

Die Pro-Putin-Fraktion in Deutschland ist gewaltig. Wie erklären Sie sich die Motivation dieser Leute?

Die Gründe liegen auf der Hand. Die Ukraine war bis jetzt auf der mentalen Weltkarte nicht existent. Das Wissen über die Ukraine war mangelhaft, teils fehlerhaft. Das kann man nicht über Nacht korrigieren. Die Deutschen denken, Russland würde allein aus geopolitischen Überlegungen Verständnis und Entschuldigung verdienen.

Wie argumentieren Sie, wenn Sie mit solchen Meinungsäußerungen konfrontiert werden?

Wenn man einen Völkerrechtsbruch aus welchen Motivationen auch immer gutheißen kann, dann muss man auch nach der gleichen Logik Aggression und Mord rechtfertigen. Wo kämen wir dann alle hin?

Haben Sie eine Vision für die Ukraine?

Die Zukunft der Ukraine liegt in der Europäischen Union, das ist alternativlos. Die Nato-Mitgliedschaft wäre auch naheliegend. Wären wir übrigens jetzt schon bei der Nato, gäbe es diesen Krieg gar nicht!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Warum wohl hört man nichts, aber auch gar nichts über den Ausgang der Wahlen in der Ukraine? Vielleicht weil bereits offiziell mehr als 1.500 Verstöße gegen eine ordentliche Wahl festgestellt worden sind? Oder weil in Odessa der prorussische Kandidat 80 Prozent der Stimmen erhalten hat und Kiews Georgier Saakaschwili nur 15? Und warum hört man nichts aus Portugal, wo der Präsident mit allen Mitteln verhindert, dass die frisch gewählte linke Mehrheit eine Regierung bilden kann? Es lebe die Demokratie!

  • Wie es sich anfühlt, "zum Erfolg verdammt" zu sein, weiß der "außerordentliche[] und bevollmächtigte[] Botschafter der Ukraine in der Bundesrepublik Deutschland" vermutlich ganz genau. Wenn sein Dienstherr es nicht (mit seiner Hilfe) schafft, wiedergewählt zu werden, dann ist der Traum vom Roten Teppich aus. Dem "Autor vieler Publikationen zum Völkerrecht", jedenfalls, hat die taz meines Wissens bisher ebenso wenig Gelegenheit gegeben, die angeblich "gewaltig[e]" deutsche "Pro-Putin-Fraktion" in zwei kurzen Sätzen zu beschreiben, wie dem "promovierten Rechtswissenschaftler" Melnyk.

     

    Nun wissen wir dank dieses "Spitzen-Diplomaten" immerhin, dass deutsche Putin-Fans zwei große Fehler: Sie sind (A) alle ungebildet und/oder dumm - ihr Wissen über die Ukraine ist "mangelhaft, teils fehlerhaft" - und (B) politisch kurzsichtig und/oder blauäugig – sie glauben, Russland entschuldigen zu müssen.

     

    Schade, dass einer wie Andrij Melnyk nicht auch wissen muss, wie es sich anfühlt, Teil einer Masse zu sein, über die Leute seines Schlages so simpel urteilen. Könnte der Mann sich wenigstens ein ganz klein wenig einfühlen in andere, wäre im vielleicht noch etwas aufgefallen. Eine gefühlte Gemeinsamkeit nämlich. Die sogenannten Putin-Versteher sehen, wie mit Putin umgegangen wird - und fühlen sich dabei an sich erinnert. Der Mann wird schlicht nicht respektiert vom "Westen" und DER Ukraine. Mancher beleidigten Leberwurst ist das genug.

     

    Geografisches, historisches oder aktuelles Wissen sind für solche Leute völlig überflüssig. Wer ihrer Ansicht nach behandelt wird wie sie, der hat ihr vollstes Mitgefühl. Auch, wenn er gar nicht unbedeutend ist, sondern ein mächtiger, brutaler Diktator. Dann ganz besonders. (Sch... - Spiegelneuronen können so ätzend sein!) Und was die geostrategischen Überlegungen (Ukraine in die Nato oder Untergang!) angeht, so sind die nicht ihr Bier. Wozu hat man denn seine Botschafter?

  • Oertel / Kajafa: „Die Pro-Putin-Fraktion in Deutschland ist gewaltig.“

    Tatsächlich ? Gibt es dafür Belege ? Ich kenne nur eine ganze Menge Leute, die nicht bereit sind wegen einer korrupten Oligarchenrepublik den Konflikt mit Russland weiter eskalieren zu lassen.

     

    Melnyk: „Wenn man einen Völkerrechtsbruch aus welchen Motivationen auch immer gutheißen kann, dann muss man auch nach der gleichen Logik Aggression und Mord rechtfertigen.“

    Sehen das die Amerikaner und Franzosen, die völkerrechtswidrig Ziele in Syrien bombardieren, genauso ?

     

    Melnyk: „Wären wir [die Ukraine] übrigens jetzt schon bei der Nato, gäbe es diesen Krieg gar nicht!“

    Nein, tatsächlich gäbe es diesen begrenzten Krieg wohl nicht mehr. Er wäre wohl zu einem Krieg NATO-Russland geworden, bei dem je nach Verlauf die Möglichkeit des Einsatzes taktischer Atomwaffen bestanden hätte.

    • @jhwh:

      Wer Rechtfertigt denn das? Völkerrechtswidrige Ziele zu bombadieren. Ich kenne maximal Meldungen mit einem "versehen". Aber eine Rechtfertigung sieht anders aus. Das die Verantwortlichen fürsoetwas nicht angeklagt werden ist Problematisch.

       

      Glauben sie ernsthaft Putin schmeißt mit Atombomben um sich, nur wegen eines Mittelmeerhafens? Ja die Krim ist von sehr hoher Bedeutung für Russland, da es der einzige Stützpunkt im Mittelmeerraum ist. Aber nicht bedeutend genug um einen Atomkrieg zu riskieren. Wäre Ukraine in der Nato gewesen, dann wäre die Annektion der Kriegsfall, aber selbst da wäre wohl kein Panzer über die Russische Grenze gerollt. Dafür sthet auch für Russland zu viel auf dem Spiel.

       

      Dann JHWH stützen sie also das Pro Russische Oligarchensystem? Systemwechsel sind immer schwer und dauern an, oder sind von einer Siegermentalität geprägt die das besiegte Land ausplündert. Ob man nun Troica oder Treuhand sagt.