Ukrainische Sängerin Mariana Sadovska: Kapitulation bedeutet Tod
Die Musik von Mariana Sadovska ist inspiriert von den Liedern aus ukrainischen Dörfern. Jetzt sammelt sie Spenden für Militärausrüstung der Ukraine.
Als Erstes zeigt Mariana Sadovska auf ihrem Handy das Z, auf eine Düsseldorfer Haustür gesprüht. Eine Freundin, Ukraine-Aktivistin wie sie selbst, hat es ihr geschickt. Einer anderen Freundin, aus dem belgischen Antwerpen, wurde das Auto mit dem Z beschmiert. Die russischen Putin-Unterstützer werden lauter, sagt Sadovska. In Bonn hatten sie zuletzt offen für den russischen Tyrannen demonstriert.
Eben ist sie aus Hamburg zurück nach Köln gekommen. Morgen fährt sie nach Tschechien, das Gespräch findet zwischen dem Umpacken der Koffer statt. Anfang der Woche trat sie auch in Berlin auf, prominent bei der „Reihe Kultur im Kanzleramt“. Im April wird sie in den USA sein, in Paris, aber auch im Stadtgarten Köln oder am Schauspiel Köln. Fast täglich kommen neue Anfragen hinzu.
Gerade hat Bernhard Hanneke, Leiter des größten deutschen Folkfestivals, sie gebeten, im Juli ihr Programm im thüringischen Rudolstadt zu spielen. Mariana Sadovkas Musik ist kraftvoll, ihre dunkle Stimme wühlt Emotionen auf, scheut kein Pathos.
Sie bedient, fast sieht es aus wie körperliche Arbeit, dabei mehrere traditionelle Instrumente zugleich, etwa ein rotes indisches Harmonium, das auf dem Tisch liegt und bauchtiefe, wehmütig ziehende Klänge hervorbringt. Auch Kleider und Tücher, die Mariana Sadovska auf der Bühne trägt, wirken altertümlich und stylisch zugleich.
Traditionelle Musik aus der Ukraine
Ihre Kompositionen sind inspiriert von traditioneller Musik aus der Ukraine. Sie arrangiert sie zu gewaltigen Klangwelten, die rituell, magisch, irgendwie allumfassend klingen. „Transtraditionell“ nennt Mariana Sadovska, die sich auch als Musikethnologin begreift, ihre Musik.
Einst ist sie mit ihrer israelischen Freundin Viktoria Hanna und ihrem Mann, dem Kölner Regisseur André Erlen, durch ukrainische Dörfer gefahren, um alte Lieder zu finden und jüdische Orte zu besuchen. Jede Region hat andere Melodien, die kaum je aufgezeichnet, aber mündlich weitergegeben wurden – es gibt einen wunderschönen ukrainischen Dokumentarfilm darüber. Darauf beruhen ihre heutigen Kompositionen.
„Mein Programm spielen? Nein“, lacht Sadovska, „ich möchte im Juli in Rudolstadt mit 15 geflüchteten ukrainischen Künstler*innen auf der Bühne stehen“. Etwa mit ihrer Freundin aus Donezk, der Sängerin Julia Kulinenko, die gerade in Köln ankam. „Wenn ich sie einbinde, gelingt es uns während der Konzerte noch schneller, Spenden zu sammeln“, sagt sie. Über 100.000 Euro seien so schon zusammengekommen. Mariana Sadovska wurde in Lviv, Lemberg, geboren und hat an der Ludkevycz-Musikhochschule studiert. Seit 2002 lebt sie in Köln.
Auf der Suche nach Wohnungen
Mariana Sadovska
Da klingelt während unseres Gespräches wieder das Telefon, der evangelische Pfarrer Hans Mörtter ist dran. Sie suchen eine barrierefreie Wohnung für Andrej Mai, Regisseur des Kiewer Nationaltheaters, der gestern mit seiner Mutter im Rollstuhl und seinem Sohn im Kleinkindalter aus dem russisch besetzten Cherson gekommen ist. Geflohen mithilfe einer israelischen NGO. „Eigentlich hatte ich eine Wohnung für ihn, aber der Vermieter wollte eine ukrainische Frau als Mieterin – als ob ein Mann mit Mutter und Kind nicht genauso Schutz braucht“, schnaubt sie vor Wut.
Unermüdlich Solidaritätsauftritte zu absolvieren, Wohnungen in Köln zu suchen und ihren geflüchteten Künstlerfreunden auf der Bühne Raum zu geben, ist für sie dennoch nicht das Allerwichtigste. Die Künstlerin mit der sanften Stimme redet nicht nur von humanitärer Hilfe, sondern auch von militärischen Geräten, Dingen, die ein ziviler Verein wie das Gelb-Blaue Kreuz Köln per Gesetz nicht sammeln darf.
Nachtsichtgeräte und Schutzwesten
Nachtsichtgeräte, Schutzwesten, Militärschlafsäcke. Sadovska will der Territorialverteidigung ihres Heimatlandes helfen: „Meine Freunde in der Ukraine, Musiker, unfassbar viele Künstler kämpfen freiwillig mit Waffen – dass sie das schutzlos tun müssen, macht mich verrückt.“ Wie auch ihr Bassist Mark Tokar, mit dem sie bis vor Kurzem noch auf der Bühne stand.
Seit 2014 gibt sie bereits regelmäßig Solidaritätskonzerte für die Ukraine, seit dem jetzigen Kriegsausbruch schläft Mariana Sadovska kaum noch, stellt nie das Handy ab. „Ich hätte ein schlechtes Gewissen, weil meine Freunde in der Ukraine nicht abschalten können. Ausruhen tue ich nach dem Sieg. Wenn ich militärische Schutzausrüstung schicke, habe ich das Gefühl, mit an der Front zu sein, so pathetisch das auch klingt“.
Schutzwesten für den Krieg
Sonne scheint auf das begrünte Dach vor ihrem Balkon in Köln, Bücher und Familiendinge liegen in der Wohnung herum, in einer Ecke stehen Kartons mit olivgrüner Uniform. Ein Vater hat gerade das ausrangierte Bundeswehr-Material seines Sohnes vorbeigebracht. Als Erstes hat sie persönlich 20 Schutzwesten gekauft, im Bundeswehr-Online-Shop, rund 40 Funkgeräte und schneefeste Schlafsäcke dazu.
Zunächst hat sie mit Freund*innen in Secondhandläden oder auf Ebay gesucht, dann in Polizei-Zubehör-Läden. Sie kaufte günstige Westen für 200 Euro, „aber die reichen nicht“, sagt Mariana. Nur die für 800 Euro seien wirklich schusssicher, lernte sie. Nacht- und Wärmesichtgeräte kommen aus Läden für Jagdzubehör.
„Die Funkgeräte habe ich während des Soundchecks im Hamburger Thalia-Theater mit ein paar Clicks bezahlt“, sagt sie, deren Leben sich in Multitasking-Wahnsinn verwandelt hat. Wenn das Gerät angekommen ist, wird es in Lkws verladen, von Grenze zu Grenze gefahren, eine Kette, die ebenfalls organisiert werden muss – mithilfe einer ukrainischen NGO.
Und, da es ihr vor allem um den Schutz von kämpfenden Künstlern geht, ist der andere wichtige Kontakt ins Land die Ex-Kulturdezernentin von Lviv, Iryna Podolyak, frühere Abgeordnete im ukrainischen Parlament, die für die Verteilung sorgt. Und die unermüdlich dafür eintrat, die ukrainische Kulturszene, die nach der Maidan-Revolution aufblühte, bekannter zu machen.
Alles wird zerstört
„Mit 2014 gab es einen kulturellen Boom in der Ukraine“, sagt Sadovska, „Theaterstücke, Bücher, Musik – es ist unfassbar was in acht Jahren alles entstanden ist – und jetzt zerstört wird.“
Zu den Frauen, deren Lieder sie auf den Dörfern gesammelt hat, ist seit dem Krieg der Kontakt abgebrochen. Auf die Frage, was sie dem Kölner Salonphilosophen Richard David Precht entgegnen würde, der letztens öffentlich Waffenlieferungen an die Ukraine kritisierte, reagiert sie fassungslos und wünscht ihm einen Besuch in Mariupol.
Sie ist selbstverständlich für den kompletten Bann von russischem Gas und die Einrichtung einer Flugverbotszonen. „Wenn wir Putin erlauben, zu gewinnen, dann wird der Dritte Weltkrieg kommen, aber so richtig. Es geht um den Kampf von Demokratie gegen Diktatur, Freiheit gegen Versklavung. Eine Kapitulation würde für uns den Tod bedeuten“, sagt sie.
Und deshalb muss auch sie selbst immer und immer weitermachen. „Etwas anderes würde ich mir nie verzeihen“, sagt sie – und eilt aus ihrer Wohnung, zum nächsten Zug.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen