Ukrainische Rockband in Berlin: Saitenschrammen gegen den Krieg
Die ukrainische Band „Love’n’Joy“ hat ihr Album „Half Home“ herausgebracht. Ihr Konzert in Berlin galt den Freunden an der Front.
Wenn Sergey Zlobin seine Sticks auf die Drums loslässt, den Takt angibt, damit Anton Pushkar die Saiten seiner Strat schrammen kann und Andrii Sukhariev seinen Bass anhauen, dann könnte das ein Abend wie jeder andere sein. Eine psy-rockige Releaseparty mit Indie-Touch, wie man ihn gerne hört im verrauchten alternativen Kulturzentrum Schokoladen in Mitte.
Doch es ist kein Abend wie jeder andere. Das Album, das Love’n’Joy – wie die dreiköpfige Band heißt – an diesem Donnerstagabend vorstellt, wurde am 21. Februar fertiggestellt. In Kiew. Drei Tage bevor Russland die Ukraine angriff. Plötzlich ist es nicht eine weitere Platte einer jungen ukrainischen Band, sondern ein nationales Statement. „Euer Sommer in Berlin war bestimmt schön“, spricht Anton ins Mikro. „Wir hatten keinen Sommer.“ Vom Mikrofon hängt blau-gelb die Ukraineflagge.
„Here I'm only half home, the other half I miss so“, singt Anton, spielt die verzerrten Riffs, um dann mit vollem Körpereinsatz sein Solo hinzulegen. Fast prophetisch klingen die Zeilen des Songs, nach dem auch das Album benannt ist. „Bei uns begann der Krieg schon 2014 mit der Besetzung der Krim“, erklären die drei im Gespräch hinter der Bühne. Sergey und Anton sind aus dem jetzt russisch-besetzten Gebiet. Ihre Familien leben noch heute dort. Zusammengefunden hat die jetzige Bandformation sich 2015 in Kiew, wo sie zum Studieren hingegangen waren. Seit einigen Monaten sind sie nun in Europa unterwegs. „Half home“, also.
„Man ist irgendwo dazwischen gefangen“, erklärt Anton auf Englisch. „Kann nicht zurück und weiß nicht, wo man als nächstes hingeht.“ Gehen die Love’n’Joy – Mitglieder zurück, heißt das auf jeden Fall für sie, so wie für ihre Freunde, die dort geblieben sind: kämpfen an der Front. „Eines der traurigsten Dinge ist, dass dieser Krieg uns gerade die besten Ukrainer nimmt“, meint Andrii. „Die junge Generation, die eigentlich gerade ihre Arbeit darin stecken sollte, die Nation aufzubauen.“ Stattdessen sterben sie im Krieg.
Konzerte für die Kollegen an der Front
Love’n’Joy organisieren die Spendenaktion „Musicians defend Ukraine“, um Musiker an der Front zu unterstützen. Dafür sind sie inzwischen seit einigen Monaten in Europa auf Tournee, haben über 40 Konzerte in sieben Ländern gegeben, mindestens 20 sollen nun folgen. Das Geld geht an ihre Kollegen an der Front für das nötige Equipment. Dafür stehen sie in Kontakt zu ihnen, fragen nach, was benötigt wird. „Manche kennen wir persönlich“, erzählen sie. „Zum Beispiel den Drummer, mit dem wir vor einem Jahr zusammen auf einem Festival gespielt haben. Jetzt ist er an der Front und bedient Maschinengewehre.“
Dass Love’n’Joy überhaupt in Berlin ist, funktioniert nur mit einer Ausnahmegenehmigung des ukrainischen Kulturministeriums, denn eigentlich dürfen junge Männer gerade die Ukraine nicht so einfach verlassen. Es sei denn, ihre Tätigkeit im Ausland dient der Verteidigung des Landes. Die stellen die drei nicht infrage: „Das wichtigste ist, dass wir unsere Armee unterstützen, denn Russland versteht keine andere Sprache. Wir haben den Krieg nicht begonnen.“ Der Krieg, die Ukraine als Nation, der absolut gewordene Gegner „Russland“. All das schwingt die ganze Zeit über mit, während Love’n’Joy spielt.
„Krass, wie politisch plötzlich alles ist“, sagt einer der etwa 50 Fans, der die drei schon vor Kriegszeiten kannte, und tanzt weiter. Doch ganz ausgelassen fühlt es sich eben nicht an, wenn die drei in ihre Instrumente hauen. Ist da Wut dabei? Ganz sicher. Doch auf was? Auf den Krieg? Darauf, dass ihre Musik jetzt nicht mehr einfach nur Musik sein darf?
Mit ihren Pilzfrisuren sehen zumindest Anton und Sergey ein bisschen aus wie die Beatles. Die Musik wechselt zwischen psychedelisch und rockig. Erinnert an die 60er und 70er. Doch für Anti-Sein ist bei ihnen kein Raum. Love’n’Joy und ihre Musik sind Teil eines kulturellen Kampfes geworden. Seit einem halben Jahr spielt es eine Rolle, dass ihre Musik – englische Texte und westliche, rockige Riffs – ukrainisch ist, dass sie unabhängig von Russland ist. Darum geht es.
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