Ukrainische Krankenhäuser im Krieg: Schlaganfall bei Luftalarm
Auch im Krieg werden Menschen krank. Doch bei drohenden Raketenangriffen fahren keine Rettungswagen. Auch nicht bei schweren medizinischen Notfällen.
Coronavirus? Gibt’s das noch?“, fragte eine Bekannte, die als Freiwillige aktiv ist, als ich ihr von meiner Coviderkrankung erzählte. Und diese Reaktion ist auch verständlich. Wenn jeden Tag Menschen durch Minen und Bomben sterben und ganze Städte dem Erdboden gleichgemacht werden, verlieren Nachrichten über das Virus – und andere Krankheiten – vor diesem Hintergrund irgendwie an Bedeutung.
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Mit Kriegsbeginn galt schnell alle Aufmerksamkeit dem Kampf gegen den Gegner und der Hilfe für die Leidtragenden dieses Krieges. Die wöchentlichen Zahlen der an der Krankheit Gestorbenen wurden von den Nachrichten über die Opfer von Kampfhandlungen und Raketenangriffen abgelöst. Gleichzeitig ist die Belastung von Ärzten deutlich gestiegen. Und hier geht es nicht nur um Covid, obwohl die Zahl der Infizierten gerade wieder einmal stark ansteigt.
In den ersten Kriegsmonaten blieb mein Vater, Herzchirurg am städtischen Krankenhaus, immer bis spätabends bei der Arbeit. Einer seiner besten Kollegen war an die Front gegangen, wo er bis heute arbeitet, während fast alle anderen wichtigen Herzzentren durch die Bombardierung entweder nicht mehr in Betrieb oder vom Rest der Ukraine abgeschnitten waren. Die großen Ströme vor dem Krieg flüchtender Menschen hatten dazu geführt, dass zu jener Zeit etwa die Hälfte aller Kranken in Lwiw aus anderen Regionen des Landes stammte. Aus Mariupol, Odessa oder Dnipro zum Beispiel.
Und fast alle Krankheitsfälle waren besonders schwere. Im Krieg möchte niemand wirklich gerne ins Krankenhaus, das heißt, es gingen überhaupt nur noch die zum Arzt, die es gar nicht vermeiden konnten. Zu jener Zeit war auch überhaupt noch nicht klar, ob Kyjiw, Charkiw oder Odesa fallen würden oder nicht. Ob die Logistik in den Krankenhäusern weiter funktionieren würde, ob es dort weiterhin Medikamente, Geld und Ausstattung gäbe.
ist 33 Jahre alt, Journalist, Dolmetscher sowie Experte für Politik und Wirtschaft. Er lebt und arbeitet in Lwiw.
Mittlerweile hat sich die Lage stabilisiert. Aber der Krieg fordert weiterhin Menschenleben, auch fern der Front. Bei jedem Luftalarm stellen die Rettungswagen ihre Tätigkeit ein und die Aufnahmestationen der Krankenhäuser werden geschlossen. Und gerade während eines Luftalarms erlitt die Mutter eines meiner Freunde kürzlich einen Schlaganfall. Obwohl ihre Wohnung nicht weit von einem Krankenhaus entfernt lag, konnten die Ärzte ihr während eines Zeitraums von mehreren Stunden aus Angst vor Raketenangriffen nicht helfen. Sie starb einige Tage später.
Wenn solche Dinge in Lwiw passieren, Tausende Kilometer von der Front entfernt, wie ist es dann erst in den Städten und Dörfern, die direkt an der Frontlinie liegen oder ständig bombardiert werden? Wir werden vermutlich nie erfahren, wie viele Menschen in Cherson, Mariupol und Charkiw aus dem einfachen Grund gestorben sind, weil sie nicht rechtzeitig medizinische Hilfe bekommen konnten.
Mein Vater und seine Kollegen stellen während des Luftalarms nie die Arbeit ein. Sie können ihre Patienten nicht im einfach im Stich lassen. Oder sie nicht weiter behandeln. Und während an der Front jeden Tag Hunderte sterben, können Ärzte in den Operationssälen täglich stundenlang alles dafür tun, ein einziges Leben zu retten. Diese Kontrast ist manchmal erschütternd. Aber er gibt auch Hoffnung. Darauf, dass nach einem Ende des Krieges das Leben seinen Wert zurück erhält. Schade nur, dass es dann für viele zu spät ist.
Aus dem Russischen von Gaby Coldewey
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Einen Sammelband mit den Tagebüchern hat der Verlag edition.fotoTAPETA im September 2022 herausgebracht.
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