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Ukraines Abkehr vom WestenNeue, alte Partner

Das Parlament hat ein Assoziierungsabkommen mit der EU gestoppt und sich damit Russlands Druck gebeugt. Julia Timoschenko darf nicht ausreisen.

Wiktor Janukowitsch und Wladimir Putin bei einem Treffen 2010. Bild: dpa

BERLIN taz | Die Ukraine hat am Donnerstag die Vorbereitungen für ein Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union (EU) vorerst gestoppt. Ein entsprechendes Dekret veröffentlichte die Regierung auf ihrer Website. Statt der Hinwendung zum Westen bemühe sich die Regierung, die Wirtschaftsbeziehungen zu Russland „wiederzubeleben“, heißt es dort. Zudem schlägt Kiew die Bildung einer Dreierkommission vor, die mit Russland und der EU gemeinsam über Handelsfragen beraten soll.

Wenige Stunden zuvor hatte das Parlament sechs Gesetzentwürfe abgelehnt, die der inhaftierten und schwer erkrankten Oppositionsführerin Julia Timoschenko eine medizinische Behandlung im Ausland ermöglicht hätten.

Das Assoziierungsabkommen, das einen umfassenden Freihandelsvertrag vorsieht, hätte in der kommenden Woche bei dem EU-Gipfel zur Östlichen Partnerschaft in Vilnius unterzeichnet werden sollen. Die Voraussetzung dafür sind laut EU Fortschritte in den Bereichen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Dazu gehört vor allem ein Ende politisch motivierter Justiz, für die stellvertretend der Fall Timoschenko steht. Die Oppositionspolitikerin war im Oktober 2011 wegen Amtsmißbrauchs zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Die EU fordert die Freilassung Timoschenkos, verbunden mit der Möglichkeit einer Behandlung im Ausland.

Nicht zuletzt die Einleitung eines Strafverfahrens gegen Timoschenkos Anwalt Sergej Wlassenko wegen Körperverletzung hatten bereits in der vergangenen Woche Zweifel an der Bereitschaft Kiews wachsen lassen, das Abkommen überhaupt noch unterzeichnen zu wollen.

Nach Angaben der Tageszeitung Kyiv Post vom Mittwoch habe Präsident Wiktor Janukowitsch in einem Gespräch mit EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle verlauten lassen, dass er nicht plane, das Abkommen zu unterzeichnen. Am Donnerstag sagte Janukowitsch in Österreich, die Ukraine werde „weiter an dem Weg zur Integration in die EU arbeiten“. Natürlich gebe es Schwierigkeiten. „Wir müssen diese Probleme prüfen, sie lösen oder vermeiden“.

Die Rolle Moskaus

Beobachter führen die Absetzbewegungen der ukrainischen Führung auf Druck aus Moskau zurück. Es ist kein Geheimnis, dass Russlands Präsident Wladimir Putin das Assoziierungsabkommen torpedieren will. Stattdessen soll sich die Ukraine einer von Russland dominierten Zollunion anschließen.

Nach einem mehrwöchigen Embargo gegen die Ausfuhr ukrainischer Waren nach Russland im Sommer, hatte Russlands Präsident Wladimir Putin der Ukraine erneut mit Strafmaßnahmen gedroht, sollte das Assoziierungsabkommen unterzeichnet werden. Am Donnerstag bot Putin der EU Gespräche über die wirtschaftlichen Folgen der Unterzeichnung des Abkommens an. Diese müssten jedoch vor dem Gipfeltreffen stattfinden.

Die EU wollte sich nach den Rückschlägen noch nicht ganz von dem Abkommen verabschieden. EU-Kommissar Füle werde erneut nach Kiew reisen, kündigte sein Sprecher in Brüssel an. Demgegenüber sprach der grüne EU-Abgeordnete Werner Schulz von einem Aus des Abkommens. Diese sei eine bittere Enttäuschung. Es zeige sich, dass die stark angeschlagene Ukraine dem Druck Russlands nicht habe standhalten können.

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5 Kommentare

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  • E
    extrateller

    alle Menschen sind gleich, auch blonde Milliardärinen. Ein Sondergesetz für einen Person!

    Der angebliche moralisch überlegene Westen sollte sich nicht so weit aus dem Fenster lehnen. Politisch motivierte Verurteilungen haben wir auch auch genügend auf dem Kerbholz. Wäre schön wenn man sich mal für normale Leute einsetzt. Es gibt genügend tapfere Menschen, die täglich sehr viel auf sich nehmen. Aber anscheined muss man hübsch (Pussy Riot) oder reich (Timoschenko) sein, sonst interessiert sich keine Zeitung oder Regierung für einen.

  • A
    Arne

    Welche Bedingung ist das denn, die für eine Zusammenarbeit mit der EU das Recht aller Gefangenen zur Behandlung in einem Land ihrer Wahl voraussetzt?

    Ich wusste gar nicht, dass deutsche Gefangene dazu das Recht haben.

    In den NL scheint das nicht zu gelten. Milosevic wurde die Behandlung seiner Herzkrankheit in Rußland verweigert und er starb.

     

    Ich schätze, dass man heute entweder ein Mensch mit moralischen Grundsätzen und mit einer positiven Haltung zum Gleichheitsgrundsatz vor einem Gericht sein muss oder eben ein sog. Guter Europäer.

    Beides zusammen geht nicht. Ein "guter Europäer" scheint nix von Gleichheit vor dem Gesetz zu halten.

    • @Arne:

      Sollte Timoschenko etwa auch sterben, weil Menschen wie Sie gleiche Maßstäbe fordern. Es ist in jedem Fall falsch, Schwerkranken nicht alle erdenkliche Hilfe zukommen zulassen, mögen diese auch schlimme Dinge getan haben. Es ist einfach ein Akt der Menschlichkeit, dem Gebot der Stunde Geltung zu verschaffen.

  • T
    Tramp

    Die korrupte und hoch kriminelle EU-Spitze will eine Kumpanin freipressen.

    (Wenn es tatsächlich um Rückenschmerzen ginge: Diese liessen sich überall, auch in der Ukraine und möglicherweise sogar im Gefängnis behandeln.)

  • R
    roland

    oh Gott! : hoffentlich wird hoeneß (bayern) wegen steuerbertugs nicht eingesperrt.

    da könnten andere länder auf die idee kommen, den hoeneß als "aktivisten"

    frei zu pressen!