Ukraine meldet Erfolge: Siegeszug oder zermürbender Krieg?

Die Ukraine meldet die Rückeroberung dreier Dörfer und Russland droht. Derweil fällt im AKW Saporischschja die letzte Leitung aus.

Russischer Panzerwagen vor dem AKW Saporischschja

Ein russischer Panzerwagen vor dem AKW Saporischschja während des Besuchs der IAEO-Inspektoren Foto: Alexander Ermochenko/reuters

KIEW taz | Natascha ist ganz aufgeregt. Soeben hat die Verkäuferin gelesen, dass der Präsident verkündet hatte, die Ukraine habe im Zuge ihrer Gegenoffensive drei Dörfer zurückerobert. „Jetzt geht es endlich los, unsere Gegenoffensive“, sagt sie am Telefon und scheint vergessen zu haben, warum sie eigentlich anruft. „Mein Junge, mit dem ich vor einigen Wochen aus der Ostukraine geflohen bin, fragt mich jeden Tag, wann er wieder zurückkann nach Bachmut. Wenn das so weitergeht, kann er das bald“, meint sie in euphorischem Ton.

Die ukrainische Nachrichtenagentur Unian zitiert einen ukrainischen Militär mit den Worten: „Wir haben der Rosgwardija gezeigt, wo es langgeht. Wir befreien unser Land Stück für Stück, Dorf für Dorf. Der Sieg liegt vor uns.“ Unterdessen berichten russische Quellen, die Besatzungsbehörden von Cherson hätten ein geplantes „Referendum“ zur Eingliederung an Russland erst einmal verschoben. Das scheint zu bestätigen, dass die russischen Truppen in gewissen Schwierigkeiten stecken.

Gleichzeitig berichtet Kirill Stremousow, Sprecher der Separatisten von Cherson, in russischen Medien, man habe einen Gegenangriff der Ukraine zurückgeschlagen. Nicht alle in Kiew sind so begeistert wie Verkäuferin Natascha. „Dieser Krieg ist ein Zermürbungskrieg“, meint Sportlehrerin Ella. „Daran ändert auch die Einnahme von drei Dörfern nichts.“ Und ihre Kollegin, die neben ihr steht, will diese Erfolgsnachricht noch nicht glauben. Vieles können die Militärs erzählen, meint sie.

Reaktor 6 ist noch in Betrieb

Unterdessen ist im AKW Saporischschja die letzte Leitung, die das Atomkraftwerk mit dem ukrainischen Stromnetz verbindet, eine Reserveleitung, wegen Beschuss ausgefallen. Dies berichtet der Atomkonzern Energoatom auf seinem Telegram-Kanal. Gleichwohl sei der Reaktor Nr. 6 noch in Betrieb und bediene das Kraftwerk mit dem nötigen Strom.

Das Gefährdungspotenzial wird durch den Ausfall der Leitung nicht erhöht. Wirklich gefährlich wird es erst, wenn auch der letzte Reaktor nicht mehr läuft. Dann wäre das AKW, das auch im Offline-Modus Strom braucht, ganz auf die Diesel-Generatoren angewiesen. Und wie es um diese bestellt ist, ist zumindest fraglich.

So fragt gegenüber NV.ua Dmitro Gumenjuk vom staatlichen wissenschaftlich-technischen Zentrum für atomare Sicherheit, ob die IAEA-Delegation auch den Zustand der Dieselgeneratoren überprüft habe. Dieses Thema könne aus dem Blickfeld geraten sein, so Gumenjuk, sei es der Kommission doch vor allem um die Frage gegangen, ob da radioaktives Material unkontrolliert in Umlauf gelange. „Kann ja sein, dass die Besatzer einen Teil des Diesels für eigene Zwecke gestohlen haben.“ Das IAEA-Team hätte auch untersuchen müssen, ob genügend Ersatzteile für die Generatoren da sind, so Gumenjuk.

Weniger pessimistisch sieht hingegen Petro Kotin, Chef von Energoatom, den IAEA-Besuch. Die im AKW verbliebenen Techniker seien gute Leute, Profis. „Denen kann man keine Geschichten erzählen.“ Er sei sogar vorsichtig optimistisch. Denn Grossi habe ihm etwas gesagt, so der Chef von Energoatom, was ihn optimistisch stimme. Leider dürfe er diese Äußerung nicht öffentlich wiederholen. Wirklich sicher sei das AKW Saporischschja erst, wenn das russische Militär aus diesem abgezogen sei.

Präsident Selenski denkt nicht daran, das AKW Saporischschja aus Sicherheitsgründen völlig vom Netz zu nehmen. Man brauche dieses AKW für die Energieversorgung im nächsten Winter, so Selenski gegenüber dem US-amerikanischen Sender ABC.

Unterdessen wirft Dmitrij Peskow, Sprecher von Präsident Putin, dem Westen vor, selbst an der Unterbrechung der russischen Gaslieferungen über die Nord-Stream-1-Pipeline schuld zu sein. Und diese Probleme, so zitiert ihn die russische Nachrichtenagentur Interfax, würden so lange dauern, wie die Sanktionen anhielten.

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