Ukraine-Krieg und Kaukasus: Der Krieg entzweit die Nordosseten
In Russland leben nicht nur Russen. Aber auch bei den anderen Nationalitäten im Land gibt es unterschiedliche Meinungen zu den aktuellen Ereignissen.
R ussland – das sind nicht nur Russen. Hier leben auch Menschen Hunderter anderer Nationalitäten. Und obgleich für die ganze Welt alle Bewohner Russlands Russen sind, ist das bei Weitem nicht so. Ich bin Ossete und lebe in der Hauptstadt von Nordossetien, in Wladikawkas. Das ist Russland. Und alle meine Verwandten, nahe und weiter entfernte, alle meine Vorfahren, sind Bürger Russlands. Und bleiben das auch. (Auf Russisch unterscheidet man „russkije“, ethnische Russen, und „rossyjane“, Staatsangehörige Russlands; d. Red.).
Чтобы как можно больше людей смогли прочитать о последствиях войны в Украине, taz также опубликовал этот текст на русском языке: here.
Es ist unser Land, mein Land. So wie das von vielen, vielen anderen: Kabardinern, Balkaren, Tschetschenen, Inguschen, Tscherkessen, Tataren, Baschkiren, Lesginen, Laken … So könnte ich noch lange aufzählen und würde trotzdem noch jemanden zu erwähnen vergessen.
Die Einstellungen hier in Ossetien zu dem, was in der Ukraine passiert, sind unterschiedlich. Die einen unterstützen den Krieg, die anderen nicht. Die, die ihn unterstützen sind mehr, auf jeden Fall sind sie sichtbarer.
Sich jetzt öffentlich gegen den Krieg zu positionieren, ist schwierig. In den sozialen Netzwerken hat mittlerweile ein echtes Mobbing begonnen. Kürzlich wurde zum Beispiel bekannt, dass ein 20-jähriges Mädchen in Wladikawkas für Flugblätter gegen den Krieg eine Geldstrafe von umgerechnet etwa 100 Euro zahlen musste. In den Kommentaren wurde sie von offenbar ganz gewöhnlichen Menschen angegriffen, und es ist nicht bekannt, wie es ausgegangen wäre, wenn die Polizei ihren Namen öffentlich gemacht hätte.
der Autor ist Journalist und lebt in Wladikawkas, der Hauptstadt Nordossetiens im Kaukasus. Er schreibt unter Pseudonym.
Ich kenne keinen einzigen Menschen, der den Beschuss und die Bombardierung der Zivilbevölkerung in der Ukraine gutheißen würde. Hier in Ossetien ist dies schon deshalb nicht möglich, weil 2004 die ganze Welt Zeuge des entsetzlichen Terroranschlags in Beslan wurde (nordkaukasische Terroristen hielten in einer Schule drei Tage lang über tausend Geiseln, darunter viele Kinder, fest. Bei der Erstürmung durch russische Einsatzkräfte starben über 300 Menschen; d. Redaktion)
Damals haben alle verstanden, was getötete Kinder in Friedenszeiten bedeuten. Darum versuchen jetzt sogar die, die für die „Spezialoperation Z“ (so die offizielle russische Bezeichnung des Angriffskriegs auf die Ukraine; d. Redaktion) sind, die Informationen über die Opfer in der Zivilbevölkerung zu verdrängen. Man versucht uns davon zu überzeugen, dass das alles Fake News seien. Und die Menschen glauben das, weil es einfacher ist.
Überall hängen Plakate mit dem Buchstaben Z, Politiker und andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens versuchen, ihre Unterstützung zu demonstrieren. Aber ein Level darunter ist die Stimmung deutlich gedämpfter. Gleichzeitig ärgern sich viele auch über ukrainische Videos von toten russischen Soldaten. Sie sind so wütend, dass selbst diejenigen, die gegen den Krieg sind, sagen, dass sie bereit wären, in die Ukraine zu gehen, um sich zu rächen. Aber wie dem auch sei, niemand wünscht unseren Soldaten, unter denen Russen, Osseten, Inguschen und Dagestaner sind, den Tod.
Das Schwungrad des Hasses dreht sich jedoch immer schneller. Es anzuhalten wird schwer.
Aus dem Russischen von Gaby Coldewey
Finanziert wird das Projekt durch die taz Panter Stiftung
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Überraschende Wende in Syrien
Stunde null in Aleppo
Liberale in der „D-Day“-Krise
Marco Buschmann folgt Djir-Sarai als FDP-Generalsekretär
Trumps Wiederwahl
1933 lässt grüßen