Uigurische Ethnologin Rahile Dawut: Seit vier Jahren verschwunden
Heute ist Tag des inhaftierten Schriftstellers. Unter anderem erinnert das Pen-Zentrum an Rahile Dawut, Expertin uigurischer Musik.
Wie Hunderte uigurische Intellektuelle ist Dawut in jener Zeit verschwunden – spurlos. Ihre offensichtliche Verhaftung war Teil einer Säuberungsaktion gegen Dichter, Akademiker und Journalisten aus Xinjiang. Die meisten von ihnen waren moderate Personen, die die „roten Linien“ der chinesischen Zentralregierung genau kannten. Doch diese haben sich zuletzt immer weiter verschoben: Allein das Präservieren einer kulturellen Identität sieht Peking mittlerweile als potenzielle Bedrohung an.
Das Pen-Zentrum erinnert an diesem Montag, dem Tag des inhaftierten Schriftstellers, auch an Rahile Dawuts Fall. Sie, die als Expertin uigurischer Musik und Handwerkskunst galt, sagte 2011 in einer chinesischen Zeitung über ihre akademische Arbeit: „Mich hat dieses lebendige Brauchtum, das sich stark von den Darstellungen in den Lehrbüchern unterscheidet, zutiefst angezogen. Wir bewahren und dokumentieren diese Volkskultur nicht für Archive oder Museumsausstellungen, sondern um sie den Menschen zurückzugeben.“
Doch das Ziel der chinesischen Regierung ist es längst, die kulturelle Identität der Uiguren nach den Vorstellungen der Kommunistischen Partei umzuformen: säkular, assimiliert und absolut loyal zu Staatschef Xi Jinping.
Seit Jahrzehnten gilt die Region im Westen Chinas als Unruheherd. Rund elf Millionen Uiguren sind dort seit Jahrtausenden beheimatet. Doch statt der Mehrheitsgesellschaft der Han-Chinesen ähneln sie vielmehr den angrenzenden zentralasiatischen Völkern: größtenteils muslimisch, kulturell und sprachlich ein Turkvolk.
Umerziehung eines ganzen Volkes
Nach mehreren Terroranschlägen von fundamentalen Islamisten und Separatisten reagierte Xi Jinping in den letzten Jahren mit der Umerziehung eines ganzen Volks: Hunderttausende Uiguren sperrten die Behörden in Gefangenenlager, wo sie laut Zeugenaussagen politische Gehirnwäsche und körperliche Folter erleiden müssen. Die gesamte Provinz glich in den vergangenen Jahren einem Freiluftgefängnis aus Checkpoints, Überwachungskameras und Polizeipatrouillen. NGOs sprechen von den schwerwiegendsten Menschenrechtsverbrechen unserer Zeit, einige beobachten gar einen Genozid.
Bis kurz vor ihrer Verhaftung gab es wenig Hinweise, dass Rahile Dawut für Peking zur Persona non grata wurde. Kurz vor ihrem Verschwinden hielt sie noch einen Vortrag über uigurische Frauen an der Universität Peking, sie erhielt bis zuletzt Stipendien vom Kulturministerium. In ihrer Forschung sprach sie sich wiederholt gegen extremistische Tendenzen unter Uiguren aus. Wie viele uigurische Intellektuelle verstand sie sich als Brückenbauerin. Doch seit Jahren bereits sind ihre Stimmen in China verstummt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“