Überwachung von Amri und Rigaer 94: Polizei im Visier
Eine Ermittlungsakte belegt, dass für die Observation von Anis Amri und der Rigaer Straße die gleichen Spezialkräfte zuständig waren.
Später macht sich die Personengruppe auf den Weg. Vom Volkspark Hasenheide radelt sie in einer unangemeldeten Spontandemonstration durch Neukölln und Kreuzberg. Zwei Wochen zuvor, am 22. Juni 2016, haben PolizistInnen die Autonomenkneipe Kadterschmiede in der Rigaer Straße 94 unrechtmäßig geräumt und sind zu diesem Zeitpunkt immer noch im Haus, um Umbaumaßnahmen der von der Hausverwaltung beauftragten Bauarbeiter abzusichern. Die Linken auf ihren Fahrrädern wollen dagegen ihr Zeichen setzen. Während der Tour wird aus der Gruppe heraus etwa das Büro der damaligen Hausverwaltung der Rigaer 94 Belima in der Nähe des Marheinekeplatzes mit Farbbeuteln beworfen. Die Polizei beziffert den Sachschaden auf 10.000 Euro.
Die Ermittlungen gegen zunächst 14 Personen, zu denen später noch drei weitere hinzukamen, wegen Landfriedensbruch in einem besonders schweren Fall sind in einer sechsbändigen, mehr als 1.000-seitigen Akte festgehalten, die die taz einsehen konnte. Geführt werden die Ermittlungen von der „EG Linx“, einer 14-köpfigen Sonderkommission des Landeskriminalamts (LKA). Sie war Ende Juni 2016 vom damaligen Innensenator Frank Henkel (CDU) eingesetzt worden, eine Woche nach der Räumung, als es bereits mehrere Anschläge mit Bezug zur Rigaer 94 gegeben hatte.
Wie aus den Akten hervorgeht, fordert die EG Linx in einem Schreiben vom 12. Oktober eine „zeugenschaftliche Äußerung der Kollegen LKA 62“ zu Beobachtungen der „konspirativen Gruppe“, die sich im Park versammelt hatte und später zur „Fahrraddemo“ aufbrach. Als Abteilung 62 des LKA firmiert das Mobile Einsatzkommando (MEK), eine Polizeieinheit für „operative Dienste“, vorwiegend Observationsaufgaben. Es sind dieselben Einsatzkräfte, die auch für die Beobachtung islamistischer Gefährder eingesetzt werden. Die späte Anfrage an das MEK, über drei Monate nach der Tat, deutet darauf hin, dass die Observation des MEK nicht auf direkte Weisung der EG Linx stattfand.
Verdacht der politischen Weisung
Auf die Zeugenanfrage findet sich in den Akten auch die Antwort eines MEK-Beamten, der am fraglichen Tag „in bürgerlicher Kleidung“ im Einsatz war und die Gruppe bis zu ihrem Aufbruch in Kleingruppen beobachtete und fotografierte. Als Grund seines Einsatzes nennt er „eine gefahrenabwehrende Observation“. Es ist davon auszugehen, dass der Beamte nicht zufällig in der Hasenheide war. Das Deckblatt der nach dem Einsatz angelegten Fotomappe zeigt: Das Feld „Zielperson“ ist ausgefüllt – aber geschwärzt. Demnach handelte es sich um eine laufende Observation einer oder mehrerer Zielpersonen. Zielpersonen aus dem Umfeld der Rigaer Straße 94.
Wie die taz vergangene Woche berichtete, gibt es Hinweise darauf, dass MEK-Beamte auf Weisung aus der Innenbehörde von der Observation des späteren Breitscheidplatz-Attentäters Anis Amri abgezogen wurden, um stattdessen die Szene um die Rigaer Straße in den Blick zu nehmen. Der ehemalige Vizechef des MEK hatte im Amri-Untersuchungsausschuss gesagt, dass die Rigaer zu der Zeit ein großes Thema war. Polizeikreise hatten danach der taz geschildert, dass es eine direkte politische Weisung gegeben habe. Demnach hatte die Rigaer Straße in Wahlkampfzeiten Priorität für den CDU-Innensenator.
Benedikt Lux, Grüne
Am Dienstag hatte Henkels damaliger Staatssekretär Bernd Krömer (CDU) im Tagesspiegel etwaige Zusammenhänge zurückgewiesen. Die Zeitung schrieb: „Während für Amri Observationskräfte eingesetzt wurden, seien in der Rigaer Straße Einsatzkräfte verantwortlich gewesen“ – und zitiert Krömer wörtlich: „Das sind ganz unterschiedliche Aufgabenstellungen.“
Die Ermittlungsakte hingegen zeichnet ein anderes Bild: Das MEK war im Umfeld der Rigaer und mit konkreten Personen beschäftigt. Ob das MEK direkt nach dem Ende der Observation Amris am 15. Juni oder erst nach der Rigaer-Räumung im Einsatz war, geht aus dieser Akte nicht hervor. Polizei-Insider hatten aber darauf verwiesen, dass ein Einsatz gegen das linke Szeneobjekt nicht ohne vorherige Observation möglich sei. Benedikt Lux, innenpolitischer Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus sagt dazu: „Natürlich waren Observationskräfte bei Amri und in der Rigaer tätig.“
Unbestimmte Aussagen
Krömer wurde im vergangenen November im Amri-Untersuchungsausschuss befragt: Zur EG Linx sagte er da laut Wortprotokoll: „Sicherlich sind da auch Observationskräfte eingebunden gewesen. Ich weiß nicht, in welcher Größenordnung. Aber dass deswegen nun sozusagen die Ermittlung im Fall Amri eingestellt worden ist, den Zusammenhang sehe ich nicht.“ Die „Einstellung der Observation von Herrn Amri“ hätte „andere Ursachen“.
Mehrfach fragten die Abgeordneten Lux, Canan Bayram (Grüne) und Hakan Taş (Linke) nach einer möglichen politischen Einflussnahme auf die Ermittlungen zu jener Zeit. Krömer stritt ab, selbst Einfluss genommen zu haben. Weiter sagte er: „Nun ist ja die Frage der islamistischen Gefährder sicherlich zu jener Zeit nicht so im Fokus der öffentlichen Diskussion gewesen wie die kriminellen Ereignisse in der Rigaer Straße.“ Dies sei auch Thema bei ihm und Henkel gewesen: Diese Thematik konnte „schwer an der Hausspitze der Innenverwaltung vorbeigehen“. Auf Nachfrage ergänzte Krömer, dies bedeutete nicht, „dass ansonsten Dinge nicht zur Kenntnis genommen wurden“. Der Name Anis Amri war ihm zu jener Zeit nicht bekannt.
Lux sagt dazu heute: „Krömer hat dem Untersuchungsausschuss selbst gesagt, dass der Fokus auf dem Bereich Links lag und nicht auf dem Islam. Es wäre schön, wenn man zu seinen Fehlern auch stehen könnte.“
Gegen die verdächtigen Personen der Fahrraddemonstration richteten sich im Oktober 2016 insgesamt 14 Hausdurchsuchungen. Inzwischen sind die Ermittlungen gegen sieben Verdächtige eingestellt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen