Überwachung und die Folgen: Brauchen wir noch Geheimnisse?
NSA, Facebook, Wikileaks. Heute ist es schwer geworden, etwas geheim zu halten. Aber ist das so schlimm?
Diese Woche hat US-Präsident Barack Obama ein ganz besonderes Lob bekommen. Edward Snowden, Amerikas Staatsfeind Nummer eins, findet es gut, dass Obama die National Security Agency (NSA)reformieren will. //www.aclu.org/technology-and-liberty/edward-snowden-statement-administrations-nsa-reform-plan:In einer Pressemitteilung der amerikanischen Bürgerrechtsorganisation ACLU bezeichnete Snowden Obamas Reformpläne als einen „Wendepunkt“.
Am Montag hatte Obama seine zaghaften Vorhaben vorgestellt. Künftig soll die NSA keine Telefondaten mehr sammeln dürfen, das werden die Telefonkonzerne selbst übernehmen. Statt bisher fünf Jahre lang sollen die Daten nicht mehr länger als 18 Monate gespeichert werden dürfen. Auf die Telefondaten soll die NSA in Zukunft nur mit einen richterlichen Beschluss zugreifen dürfen, der nur in Ausnahmefällen erteilt werden soll.
Edward Snowden war bereit, viel für seine Überzeugungen zu zahlen. Als Techniker arbeitete er bei der NSA. Dort hatte er Zugriff auf hochsensible Daten und wurde zum Geheimnisträger. Er erfuhr, dass die NSA die Telefondaten von Millionen Amerikanern auswertete und mit dem Programm PRSIM den weltweiten Internetverkehr überwachte. Das was er nun wusste, wollte er nicht länger mit seinem Gewissen vereinbaren. Snowden wandte sich an die Presse, seitdem lebt er auf der Flucht.
Menschliches Grundbedürfnis
Die ganze Geschichte „Sag's nicht weiter“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 29./30. März 2014. Außerdem: Chinas berühmtester Künstler darf sein Land nicht verlassen, aber seine Kunst reist um die Welt. Ai Weiwei hat die taz-Titelseite gestaltet. Und: Wie ist die Lage in Zentralafrika, ein Jahr nachdem muslimische Rebellen die Macht übernommen haben? Ein Besuch in Bangui. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
In seiner Heimat, den USA, droht ihm ein Verfahren wegen Landesverrat – weil Informationen weitergab, die eigentlich geheim bleiben sollten. In der Titelgeschichte der taz.am wochenende vom 29./30. März 2014 schreibt taz-Autor Dominik Drutschmann darüber, welche Bedeutung Geheimnisse heute noch haben. Darüber sprach er etwa mit der Entwicklungspsychologin Inge Seiffge-Krenke. Sie sagt, dass Geheimnisse ein menschliches Grundbedürfnis sind.
Besonders für Kinder und Heranwachsende sei es wichtig, etwas vor den Eltern zu verheimlichen, erklärt Seiffge-Krenke. Das lehre sie, eine Grenze zwischen sich selbst und anderen zu ziehen. Mit dem Geheimnis beginne die Autonomie des Individuums. Deshalb sei es wichtig, dass Kinder Geheimnisse vor ihren Eltern bewahren dürfen. Zu viel Fürsorge von übervorsichtigen Helikopter-Eltern wirkt kontraproduktiv.
Wer in den Tagebüchern seiner Kinder herumschnüffelt, zerstört ihre Privatsphäre. Seiffge-Krenke beobachtet deshalb mit Sorge, dass die elterliche Kontrolle „in einem unglaublichen Maße“ zugenommenen hat. Und was Helikopter-Eltern für ihre Kindern sind, das ist der Staat für seine Bürger. Der Autor Ilija Trojanow kämpft schon lange für bürgerliche Freiheiten, zusammen mit der Schriftstellerin Juli Zeh hat er vor fünf Jahren das Buch „Angriff auf die Freiheit“geschrieben. Darin warnen sie vor einem Staat, der systematisch seine Bürger überwacht. Vor fünf Jahren hätten er und Zeh als Hysteriker gegolten, sagt Trojanow. Jetzt, nach dem NSA-Skandal, glauben die Menschen ihnen zwar, ihre Privatsphäre schützen aber trotzdem nur wenige.
Zukunft ohne Privatsphäre
Es macht Trojanow wütend, wenn Menschen ihre Daten Unternehmen wie Facebook überlassen. Er findet es erschreckend, wie viele Menschen meinen, dass man an der permanenten Überwachung nichts ändern könne: „Auch intelligente, kritische Menschen. Sehr viele haben sich mit dem Tod der Privatsphäre abgefunden.“ Einer dieser Menschen ist der Netztheoretiker Christian Heller. Er gehört der „Post-Privacy-Bewegung“ an, die das Recht auf informationelle Selbstbestimmung für ein überholtes Konzept hält – in der Zukunft sei es ohnehin nicht mehr durchsetzbar.
In seinem Buch „Post Privacy. Prima leben ohne Privatsphäre“ schildert Heller etwa, dass Forscher am Massachusetts Institute of Technology ein Programm entwickelt haben, mit dem man nur über die Analyse der Facebook-Kontakte mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit bestimmen kann, ob eine Person homosexuell ist. Ein Algorithmus übernimmt das Online Coming-Out.
Doch auch wenn Heller glaubt, dass die sexuelle Orientierung eines Menschen privat ist und das auch bleiben soll, ist für ihn die Entwicklung hin zu Big Data nicht erschreckend. Ganz im Gegenteil: Auf der Website plomlompom.de zelebriert er seine digitale Nacktheit und protokolliert akribisch sein gesamtes Leben, angefangen bei seinem Tagesablauf, über seine persönlichen Finanzen, bis hin zu Details seines Sexuallebens.
Er nennt das „Post-Privacy-Experiment.“ Den Verlust der Privatsphäre empfinden Heller und seine Mitstreiter als etwas Gutes. Ihre These: Bisher versteckten Menschen ihre Andersartigkeit im Privaten, weil sie Angst vor gesellschaftlicher Ausgrenzung hätten. Dieses Verhalten führe aber zu noch mehr Stigmatisierung. Wenn hingegen nichts mehr privat sei, gäbe es auch keine gesellschaftlichen Tabus. Völlige Transparenz führe langfristig zu einer toleranteren Gesellschaft, sagen sie.
Entwickeln wir uns hin zu einer völlig transparenten Gesellschaft, so wie es die Post-Privacy-Aktivisten prophezeien?
Sind Geheimnisse ein überholtes Konzept oder ein Grundrecht eines jeden Menschen, für das man kämpfen muss? Ist eine transparente Gesellschaft erstrebenswert oder brauchen wir gerade digitalen Zeitalter noch Geheimnisse?
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Die Titelgeschichte „Sag's nicht weiter“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 29./30. März 2014.
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